Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Abfackeln, niederschiessen, abschieben: Wie die Netzempörung den Datenschutz ruiniert

Jahrelang erklärten Überwachungspolitiker, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, und müsste viel schärfer kontrolliert werden. Vorratsdatenspeicherung. Schärfere Gesetze. Cyberpolizei. Netzsperren. Besondere Befugnisse. Funkzellenabfragen. Verbot von Anonymisierung und Verschlüsselung. Online-Personalausweis. Backdoors. Staatstrojaner. Zugriff auf Emailkonten und Skypekommunikation.

Jahrelang erklärten wir der Öffentlichkeit, dass im Internet selbstverständlich Gesetze gelten wie überall, dass diese Gesetze scharf genug sind und die Gefahr besteht, durch Überwachung und Einschüchterung die Freiheit zu zerstören. Stasi2.0 schrieben wir und Zensursula, wir zeigten die Ahnungslosigkeit der Politik auf, die den Behörden nachplapperte, und waren froh, wenn das Bundesverfassungsgericht entsprechende Pläne und Gesetze torpedierte. Wir wiesen auf die Snowden-Enthüllungen hin, forderten Aufklärung und kämpften aktuell gerade gegen Pläne, Geheimdienste das soziale Netz ausspionieren zu lassen.

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Bis vor ein paar Wochen. Inzwischen feiern Aktivisten aber auch das Blog Perlen aus Freital, das jetzt schon genau das macht, war wir immer befürchtet und verdammt haben: Es ist anonym, es sucht Aussagen, die seines Erachtens rassistisch sind, legt die Identitäten der Nutzer offen und legt seinen Lesern nahe, bei den Arbeitgebern gegen diese Personen vorzugehen. Manche kritisierten Aussagen sind eindeutig ein Fall für Ermittlungen, andere durchaus rassistisch, aber das Grundgesetz pflegt Meinungsfreiheit weit auszulegen. Es mag manchen nicht passen, aber auch empfundener “Rassismus” ist oft von der Meinungsfreiheit gedeckt – das bestätigen viele erfolglose Versuche, Leute wegen Volksverhetzung anzuzeigen. Es ist nicht schön und man kann sich darüber empören – aber es ist legal. Dass „Perlen für Freital“ nun den anderen Weg geht und Internetnutzer anstiftet, selbst als Richter und Henker anderen Menschen private Probleme zu bereiten, ist möglicherweise ebenfalls legal. Wie auch der Wunsch der Geheimdienste, so etwas zu tun. Es ist halt nur eine Art Sonderjustiz des Netzes, wo genau das praktiziert wird, was Datenschutzaktivisten eigentlich nicht wollen. Aber beim politischen Gegner meint man zu dürfen.

Natürlich kommen jetzt auch wieder aus der Politik Wünsche nach Eingriffsmöglichkeiten auf. Das kleine Problem ist, dass diese Eingriffe, in Gesetze, Vorschriften und Arbeitsverträge gegossen, keinesfalls spezifisch für Rassisten sein werden. Es wird sich um Regeln handeln, die sich den Schutz aller Bürger und des gesamten Staates vor solchen Taten auf die Fahnen schreiben, und damit kommen wir zur Frage, ob es denn legitim ist, ein achtjähriges Kind einer Flüchtlingsfamilie in Berlin niederzuschiessen, wegzusperren, abzuschieben oder anderweitig dazu aufrufen, es jenseits der Gesetze dieses Land in Selbstjustiz zu schädigen. Solche Wünsche formulieren auch Linke. Leute, die sonst begeistert sind, wenn Rechtsextreme ihren Job verlieren. Dazu braucht man lediglich eine brennende Turnhalle im Berliner Bezirk Reinickendorf in der Nähe eines Flüchtlingslagers, eine ungeklärte Brandursache und empörte Menschen, die auf Twitter ihr Entsetzen äussern

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Natürlich wissen sie ganz genau – lange bevor auch nur die Halle untersucht wurde – wer das gewesen ist.

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Weil es natürlich auch von Politikern behauptet wird, die auf die Empörung aufspringen. Zum Beispiel das frühere, inzwischen ausgetretene Piratenmitglied Christopher Lauer im Abgeordnetenhaus, für das nur der Schluss einer “rechtsterroristischen” Täterschaft zugelassen ist.

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Oder die Grünen, mit einem hübschen Zitat.

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Oder Journalisten wie der „Korrespondent im Hauptstadtstudio mit Schwerpunkt Netzpolitik“ des Deutschlandradios Falk Steiner.

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Mitschuldige am Brandanschlag und Verantwortliche sind natürlich auch schnell gefunden.

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Und überhaupt, wie können sie es wagen, vor der Untersuchung am Vorgang zu zweifeln?

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Na dann ist ja alles klar in Reinickendorf, wenn die Grünen und der Lauer und der Steiner vom Deutschlandfunk das sagen, und so beginnt dann auch die Überlegung, was man mit dem Brandstifter machen soll.

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Die Sache ist nur: Wie sich danach herausstellte, ist der Brand dem zündelnden Kind einer dort untergebrachten Flüchtlingsfamilie passiert. Soll man das alles jetzt mit ihm machen? Bude abfackeln, niederschiessen, ohne Erbarmen abschieben?

Man könnte, hätte man abgewartet, sinnvolle Debatten führen und sagen: Zum Glück gab es keinen Personenschaden. Kinder zündeln manchmal, das passiert halt. Sie sind nicht strafmündig und das ist zu respektieren. Da sieht man wieder, wie wichtig der Brandschutz bei der Unterbringung der Flüchtlinge ist. Turnhallen sind als Lager nicht ungefährlich. Das alles wären, hätte man gewartet, kluge Sätze und fraglos richtig und kein Anlass, die Identität von Hetzern festzustellen, die auf dem Niveau von Nazis Konsequenzen und auch Übergriffe fordern, die in unserem Rechtsstaat nicht zu machen sind. Aus besten Gründen.

Man hat aber nicht gewartet, sondern gleich in den sozialen Netzen losgelegt: Leute, die vermutlich auch nicht wollen, dass man ihnen nachforscht, ihre Telefonnummer ins Netz stellt und Andersdenkende aufruft, sie beim Staatsanwalt anzuzeigen, beim Verfassungsschutz, oder wenigstens bei ihrem Arbeitgeber mit der Hoffnung, dass sie als militante Gewaltfreunde einen Rüffel kriegen. Wie schlimm so etwas letztlich für die, sagen wir es freundlich, ungeschickten Nutzer ausgeht, wie hart so etwas dann verfolgt und durchgesetzt wird, hängt ganz davon ab, wie weit man Staat und Behörden agieren lässt, Ausnahmen toleriert, nicht auf die Probleme solcher Strategien hinweist, und am Ende selbst in den Chor der Überwacher einstimmt. Wenn es Gesetzesverschärfungen und härtere Regeln bei Facebook und Co. gibt, gelten sie für alle. Wer die harte Faust des Staates gegen Nazis fordert und selbst die Materialsammlung für militanten Linksextremismus erweitert, muss halt mit den Konsequenzen leben.

Den Schaden haben all jene, die nicht nur gern ihre persönliche Freiheit behalten, sondern auch mit den Flüchtlingen teilen möchten. Flüchtlinge, die sicher nicht zu uns kommen, weil es hier einen Wettlauf um die krasseste Morddrohung im Netz zwischen Links- un Rechtsextremen gibt.