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Krebs und Glyphosat – Die Angst vor dem Unbekannten

Viele Menschen habe Angst vor Krebs. Und sie haben Recht damit, denn etwa 26% der Menschen in Deutschland sterben an Krebs. Der Rest stirbt natürlich auch irgendwann, wahrscheinlich an Herz-Kreislauferkrankungen (39%). Aber nichts fürchten die Menschen so sehr wie den Krebs. Demenz und Herzinfarkte werden mit Galgenhumor weg gelacht, die eine Erkrankung vergäße man eh, die andere kriegt man angeblich kaum mit. Beides ist falsch. Wer in die flehenden Augen Demenzkranker sieht, die ihre Enkel nicht mehr erkennen oder wer eine Patientenverfügung unterschreibt, weiß, dass es andere schlimme Möglichkeiten gibt, aus dem Leben zu scheiden.

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Trotzdem ist gerade Krebs ein Schreckensgespenst. Alles ist entweder krebserregend (das, was Spaß macht) oder schützt vor Krebs (das, was langweilig ist). Ich habe lange gelernt, neutral auf das Thema Krebs zu schauen. Nicht, dass ich nicht auch um Verwandte und Freunde bange, die von der Krankheit betroffen sind, aber wir Krebsforscher haben eben auch andere Erfahrungen gemacht. Wenn man daran forscht, wenn man buchstäblich auf Krebszellen hinabschaut, dann verliert das Gespenst ein wenig von seinem Schrecken.

Die Hälfte aller Krebspatienten können heute geheilt werden, sagte Otmar Wiestler, ehemaliger Chef des Deutschen Krebsforschungszentrum und jetzt Präsident der Helmholtz Gesellschaft. Dabei sollte man sich auch vor Augen halten, dass viele Menschen eine Krebsdiagnose in einem bereits höheren Alter bekommen. Viele Menschen leben auch sehr lange mit Krebs.

Aber die Angst ist da. Sie dient derzeit wieder zur Abschreckung, zur emotionalisierten Debatte. Über die Zulassung von Glyphosat zum Beispiel. Die Abstimmung über die Neuzulassung von Glyphosat durch die EU-Kommission, die für letzten Montag geplant war, verlief jedoch ohne Ergebnis. Auch wenn die meisten Landesvertreter sich vorher noch für eine Verlängerung aussprachen, zögern sie die Entscheidung nun hinaus. Denn diverse Gruppen sind dagegen, sie halten Glyphosat für krebserregend und selbst in winzigsten Mengen für gefährlich. Dabei wäre es eigentlich nicht zu erwarten, dass Glyphosat bei sachgerechter Verwendung Krebs erzeugt. Nutzt man das Herbizid nicht als Badezusatz sondern zur Unkrautvernichtung, werden die zulässigen Grenzwerte beim Endverbraucher nicht überschritten. Besonders absurd aber ist es, wenn winzige Rückstände von Glyphosat in einer bereits von sich aus krebserregenden Substanz nachgewiesen wurden, dem Bier. Das war wieder ein herber Schlag für die deutsche Seele. Man fragt sich, ob ein Nachweis von Glyphosat in Cornflakes ähnlich gewirkt hätte.

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Aber welche Faktoren begünstigen eigentlich Krebs? Da ich mich in meiner Doktorarbeit damit beschäftigt habe, wurde ich das des Öfteren gefragt. Das ist keine so einfache Frage – nicht weil ich die Antwort nicht wüsste, sondern weil diese verstörend ist. Denn Krebs entsteht vor allem durch das Leben an sich.

Unser Erbgut, die DNA, ist ein sehr robustes Molekül, das dennoch anfällig für Fehler ist. Ein Teil dieser Fehler sind Schäden, molekulare Veränderungen der DNA, die so nicht vorgesehen sind: Kleine Hubbel, falsche Verbindungen und sogar die gänzliche Durchtrennung der Stränge. Eine einzelne Zelle erhält bis zu 100000 dieser Schäden pro Tag, aber sie kann damit umgehen. Zumeist kann sie den Schaden selbst reparieren und wenn nicht, schaltet sie sich selbst aus. Werden diese Schäden aber nicht repariert und der Selbstabschaltungsmechanismus funktioniert nicht, kann sich das Erbgut verändern. Passiert das an der falschen Stelle unserer 22500 Gene, kann das, mit vielen weiteren Zwischenschritten, zu Krebs führen.

Zu diesen Schäden führt zum Beispiel Strahlung, wie durch UV-Licht und ionisierende (radioaktive) Strahlung. Letztere gibt es übrigens überall, nicht nur in Tschernobyl und Fukushima, dort sind die Werte nur viel höher. Ein weiterer Schadensverursacher ist der Sauerstoff. Simples Atmen schädigt unser Erbgut. Das ist schlecht, denn wir haben uns an den Sauerstoff gewöhnt und die Entzugserscheinungen sind immer tödlich. Es ist auch vor allem der Stoffwechsel an sich, der unserem Erbgut zu schaffen macht. Dadurch entstehen besonders reaktive Sauerstoffverbindungen, die unsere DNA angreifen.

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Und dann gibt es noch Zellgifte. Diese sind, wie der Name schon sagt, den Zellen nicht freundlich gesonnen. Oft greifen auch sie in die DNA ein und schaffen oder kappen Verbindungen, wie sie gerade lustig sind. Das kann man nutzen, um ungewollte Zellen – wie eben Krebszellen – zu töten. Allerdings ist keine Wirkung ohne Nebenwirkung, daher bekommen auch andere Zellen etwas davon ab.

Schäden in der DNA können auch zu Ablesefehlern führen. Bei der Zellteilung können dann fehlerhafte Kopien erstellt werden. Diese fehlerhaften Kopien können natürlich auch einfach zufällig entstehen. Und je häufiger sich eine Zelle teilt, desto öfter können diese Fehler natürlich passieren. Auch diese Fehler können unter gewissen Umständen wieder dazu führen, dass Krebs entsteht.

Es müssen aber viele Dinge zusammen kommen, damit Krebs entstehen kann. Die Zelle muss bestimmte Veränderungen durchlaufen, damit sie sich kontinuierlich teilen kann, sie muss resistent gegen die programmierte Selbstabschaltung sein und auch gegenüber dem Immunsystem. Sie muss einen Weg finden, sich immer wieder zu teilen, dazu benötigt sie Nährstoffe und für diese benötigt sie wiederum Blutgefäße. Außerdem muss sie, um ein bösartiger Tumor zu werden, ihre Saat weiter streuen, also Tochtergeschwulste ausbilden.

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Natürlich ist es wichtig abzuklären, welche Substanzen die Entstehung von Krebs begünstigen könnten. Allerdings wird man wenig finden, was nicht in irgendeiner Form und Dosis krebserregend ist. Das bedeutet, man muss Grenzwerte festlegen, bis zu denen eine Substanz als nicht schädlich gilt. Trotzdem erwecken Klassifizierungen wie „wahrscheinlich krebserregend“ die Angst vor dem Risiko, selbst wenn die Grenzwerte deutlich unterschritten bleiben.

Fehlerhafte Risikobewertungen entstehen vor allem dann, wenn der Stoff um den es geht irgendwie fremd und komisch ist. Mittlerweile gibt es Leute, die nichts mehr essen, was sie nicht aussprechen können. Würden diese nun „die Tomaten von den Augen“ nehmen, würden sie auch in diesen komische, aber absolut natürliche Inhaltsstoffe wie Glykolalkaloide oder Chlorogensäure entdecken. Vollkommen einfach auszusprechendes und natürlich vorkommendes Belladonna würde ihnen zwar auch die Augen öffnen, könnte aber ungewollte Nebeneffekte haben.

Die Bewertung und Einschätzung von Risiken basieren auf statistischen und dadurch sehr abstrakten Methoden. Andererseits ist deren Wahrnehmung von Gefühlen und nicht von Wissen gelenkt. Alles Fremde ist erstmal schlecht. Dies wird von Aktivistengruppen gerne und viel ausgenutzt. Sachliche Argumente gehen in emotionalen Debatten stets unter. Wer jedoch ohne Grundlage Ängste schürt, hat vielleicht auch gar keine sachlichen Argumente.

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Die Frage ist allerdings auch, inwiefern wir auf unser Krebsrisiko überhaupt Einfluss nehmen können. Mittlerweile gehen einige Forscher davon aus, dass Krebs vor allem durch eines entsteht: Pech. An der Debatte um Rotes Fleisch konnten wir sehen, wie geringfügig unsere Lebensweise das Krebsrisiko beeinflusst. Wer sein Krebsrisiko gering halten will, sollte möglichst aufhören zu rauchen, sein Gewicht in einem normalen Rahmen halten und am besten nicht alt werden.

Wir haben lange versäumt, zu lernen Risiken zu verstehen. Wir haben verpasst die Deutung von Wahrscheinlichkeiten verständlich zu vermitteln. Dies rächt sich nun damit, dass kaum eine Diskussion rational geführt wird. Geschürten Ängsten wird medial mehr Raum gegeben als den Fakten, die diese beruhigen könnten. Denn emotionale Aufrufe bekommen mehr Aufmerksamkeit, mehr Klicks, mehr Likes. Vermutlich können wir aber bloß mit unserer Ohnmacht nicht umgehen, irgendwann an einer uns kaum verständlichen Krankheit sterben zu müssen. Wir projizieren unsere Existenzialangst auf externe Sündenböcke, um uns selbst davon abzulenken, dass wir irgendwann den Löffel abgeben müssen.

Stattdessen sollten wir die Forderung von Verboten kritisch hinterfragen. Denn was ist denn die Folge von Verboten? Welchen Ersatz gibt es, wenn bestimmte Dinge verboten werden? Emotionale Debatten neigen dazu, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, und sich vollkommen von den eigentlichen Tatsachen zu entfernen. Dem kann man nur begegnen, wenn mehr Aufklärergeist durch die Medien fließt, statt skandalgetriebener Inquisition.