Es gab nach dem Anschlag auf das Olympia-Einkauf-Zentrum OEZ viele interessierte Parteien, die sich auf Twitter ausgiebig an Spekulationen beteiligten. Und das, obwohl die Polizei dort eindringlich darum bat, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu tun.
Da waren die einen, die in der Folge des IS-Anschlags von Würzburg erneut von einem islamistisch motivierten Terroranschlag ausgingen. Und da waren die anderen, die auf den Tag genau 5 Jahre nach dem Anschlag von Utoya fest davon überzeugt waren, dass der Täter rechtsextremistisch eingestellt sein müsse. Erstere berichteten breit über Allahu-Akbar-Rufe, von denen bei CNN die Rede war, und über die in Videos angeblich erkennbare dunkle Hautfarbe. Zweitere wollten Springerstiefel erkannt haben, und nahmen anhand von Videos Sprachanalysen vor, die auf eine deutsche Herkunft hinwiesen.
Und dann gibt es noch auf Twitter Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Strengmann-Kuhn hat im Gegensatz zu den meisten anderen Spekulierern, die sich an der Tatzuweisung beteiligen, einen verifizierten Account. Das ist wenig überraschend, denn er ist für die Grünen Mitglied des deutschen Bundestages aus Frankfurt/Offenbach. Dort fungiert er als sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Sein Slogan lautet: GGG – Garantiert Grün Gerecht. Heute Morgen, kurz vor 10 Uhr, als weitgehend klar ist, dass der Anschlag von einem in Deutschland geborenen 18-Jährigen mit iranischen Wurzeln verübt wurde, beschäftigt sich Strengmann-Kuhn mit einem ganz anderen, allgemein überraschenden, aber sehr grünen Verdacht zu Amokläufen: Gender.
Jeder normal ahnungslose Mensch würde bei solchen Fragen vermutlich erst Google oder Wikipedia konsultieren, wenn er sie ernst meint, statt sie ins Netz zu bringen. Dortselbst liesse sich in Erfahrung bringen, dass der letzte grössere Amoklauf einer Frau in Deutschland 2010 in Lörrach stattgefunden hat. Eine Anwältin erschoss vermutlich geplant ihren früheren Mann, erstickte den gemeinsamen Sohn, stürmte dann in ein Krankenhaus und schoss wahllos um sind. Sie tötete einen Pfleger, der sich ihr in den Weg stellte, und verletzte einen eintreffenden Polizisten schwer, bevor sie erschossen wurde. Ausserdem wurde hierzulande erst in jüngster Vergangenheit veine 15-Jährige weithin bekannt, die unvermittelt mumasslich versuchte, einen Polizisten zu erstechen. Am Anschlag von San Bernardino 2015, dessen Brutalität mit München vergleichbar ist, beteiligte sich mit Tashfeen Malik auch der weibliche Teil eines Terrorpaarres.
Und dann ist da noch Brenda Ann Spencer, die durch das Musikstück der Boomtown Rats “I don’t like Mondays“ weltberühmt wurde: Sie tötete 1979 im ersten Schulamoklauf der neueren amerikanischen Geschichte zwei Menschen und verletzte neun weitere. Will man Dr. Strengmann-Kuhn nicht totale Ignoranz und Unfähigkeit der Benutzung von Google unterstellen, muss man annehmen, dass er mit seiner Frage den Blick auf das Geschlecht von Amokläufern richten will. Es geht nicht um “Nazi oder Flüchtling“- Spekulationen, die Strengmann-Kuhn mit einem Link zum Tagesspiegel selbst entkräftet
Sondern mutmasslich um ein beliebtes Thema dieser politischen Szene, nämlich der Frage, inwieweit Gewalt ein dezidiert männliches Problem ist. “Toxic Masculinity“ ist das Erklärungsmuster feministischer Kreise für männliche Gewalt und die deutlichen statistischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Der sozialpolitische Sprecher der Grünen bedankt sich dann hier, nachdem er noch fünf Bilder für sein Garantiert Grün Gerecht Tour bei Facebook gepostet hat, für die ernstgemeinten Antworten, die auf die wenigen Amokläuferinnen hinwiesen. Und bringt darunter – 18 Stunden nach dem Anschlag von München mit bislang neun Todesopfern, und nachdem bei Twitter mehrfach Kritik laut wurde, dass schon seine provozierende Genderfrage nicht sonderlich weise ist –
auch noch das heiter-ironische Amoklauf-Video der Boomtown Rats zu “I don’t like Mondays“.
Für seine 4933 Follower und jeden, der es sehen will. Von Bestürzung oder Bedauern mit den Opfern findet sich auf dem Account des Volksvertreters dagegen keine Spur.
Jeder Radio-DJ, der so etwas bringen würde, wäre im Gegensatz zu einem grünen MdB seinen Job los. Feministinnen sagen, dass mangelnde Empathie einer der Hauptgründe für toxische Männlichkeit ist. Vielleicht ist da doch etwas dran, denn Frau Künast ist mit ihren indezenten Fragen zum Axt-Attentäter bei den Grünen offensichtlich alles andere als ein Einzelfall.