Das erste Jahr seit der für viele überraschenden Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten neigt sich dem Ende zu, und zwei Aspekte kann man zumindest jetzt schon festhalten. 1. Es war nicht langweilig. 2. Es gab noch keinen Atomkrieg (Stand heute 10.15 Uhr). Bleiben also noch 7 Jahre, die hoffentlich genau so bleiben, aber sollte sich in der zweiten Amtszeit etwas am zweiten Aspekt ändern, so werden sich die Überlebenden vielleicht am Lagerfeuer fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Schuld sind die Feministinnen, die Trump eine zweite Amtszeit ermöglichten.
Denn Trump ist fraglos ein in vielerlei Hinsicht schlechter, schrecklicher, unbeherrschter und peinlicher Präsident, und jetzt geht es eigentlich nur noch darum, seine unbestreitbar schlechten Seiten so auszuleuchten, dass eine Mehrheit der Wahlmänner für seinen Gegner der demokratischen Partei durch die Stimmen des Volkes zustande kommt. Die Kräfte der Ausleuchtung sollten sich zusammen tun, und erklären, belegen und aufzeigen, nüchtern natürlich und beherrscht, dass es auch anders geht. Möglicherweise finden die Demokraten auch eine Person, die das Volk mehr als Frau Clinton überzeugen kann. Senator Sanders, dem die Herzen der Jugend zuflogen, ist dann vermutlich zu alt, und privat denke ich, dass Frau Obama beispielsweise eine phantastische Präsidentin wäre. Aber wer auch immer es ist – er müsste erst einmal gewinnen. Und dass es nicht klappen wird, liegt nicht nur am traurigen Zustand der Demokraten, sondern auch am Feminismus und Harvey Weinstein.
Denn der Filmproduzent Weinstein soll laut den Veröffentlichungen der New York Times auch ein schlechter, schrecklicher, unbeherrschter und peinlicher Schürzenjäger sein. Trump tätigte bei eingeschaltetem Mikrophon den Satz über das Pussy grabben, der ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Glaubt man der New York Times und weiteren Frauen, die Weinstein inzwischen belasten, könnte Weinstein Frauen gegenüber real in etwa so aufgetreten sein, wie Trump das verbal ausgedrückt hat. Bei Trump wissen wir, dass er es wirklich gesagt hat. Für Weinstein dagegen sollte trotz der schwierigen Lage und der allgemeinen Empörung gelten, dass er als unschuldig zu gelten hat, bis die Schuld erwiesen ist.
Denn die New York Times zitiert Fälle, die sehr unterschiedlich sind, und mitunter mit dem Makel von Zahlungen für Schweigeabkommen versehen sind. Manche Angreiferin ist eine erklärte Aktivistin mit einer Agenda, nicht alle haben einen guten Leumund, und es wäre nun an einem Richter oder an einer wie auch immer gearteten Jury herauszufinden, was denn nun wirklich stimmt. Die Fälle von sexueller Belästigung liegen teilweise Jahrzehnte zurück, eine Vergewaltigung konnte die New York Times zuerst nicht beibringen – erst jetzt gibt es Anklagen, die in diese Richtung gehen. Vieles, was da aufgelistet wird, wäre menschlich äußerst unangenehm und durch das Machtgefälle zwischen Produzent und Untergebenen moralisch hässlich – aber nicht zwingend strafbar. Gäbe es so etwas wie ein unabhängiges Gericht, könnte man sich ein umfassendes Bild machen, Fakten von Hörensagen trennen, und zu einer Gesamtbewertung kommen. Vermutlich würde die Bewertung in diesem Fall dann kein gutes Bild von Weinstein zeigen. Vielleicht wäre er gar nicht das zynische Monster, als das er momentan dargestellt wird, sondern auch ein Typ, dem mit dem Aufstieg das Verhältnis zu seiner Umwelt verloren gegangen ist. Vielleicht gab es auch Menschen, die er nicht lange nach Sex fragen musste. Vielleicht ergäbe sich ein vielschichtiges, präzises Bild von den Abgründen und strahlenden Momenten Hollywoods.
Dazu wird es aber nicht kommen, denn es gibt den Empörungsfeminismus, und der kennt keine Gnade. Der Feminismus sieht die Gelegenheit, jetzt eine Welle zu reiten, und generell mit dem System Hollywood aufzuräumen: Mit der schlechten Bezahlung der Schauspielerinnen und der männlichen Dominanz der Regisseure, mit den alten, weissen Männernetzwerken in den Studios und bei der Verwertung, wo das grosse Geld verdient wird. Dafür stehen schon Denunziationsseiten im Netz. Mit Weinstein fällt ein Titan des Geschäfts, und sein Fall muss als Drohung verstanden werden: Wenn es Weinstein erwischt, kann es jeden erwischen. Und es hilft Weinstein auch nichts dass seine Frauenfiguren in den Filmen fortschrittlich waren, dass er den Film “The Hunting Ground” über sexuelle Übergriffe an Universitäten trotz aller Kritik in die Kinos brachte, und persönlich gegen Trump demonstrierte. Er war ´der beste Freund der Demokraten, er requirierte Millionen für Wahlkämpfe, und seine Filme zeigten Gesellschaftsmodelle, die ganz anders als das sind, was sich die Trumps und Penns und Huckabees wünschen: Es hat ihm nicht geholfen.
Es ist ein Megaskandal, und das Urteil wurde schon gefällt. Wer schweigt, wird öffentlich vorgeführt. Wer es dennoch wagt, sich vorsichtig für Weinstein auszusprechen, gerät im voll entflammten Internet in Verdacht, entweder auf Weinsteins Gehaltsliste zu stehen, oder gar selbst Dreck am Stecken und daher Angst vor dem anstehenden Purgatorium zu haben. Die Heldinnen sind die Frauen, die jetzt den Mund aufmachen und erzählen, wie mies sie behandelt wurden, und die früheren Täter benennen. Die Verdammten sind jene, deren Namen nun durch die Gazetten und sozialen Netzwerke getrieben werden, und es ist klar, dass Hollywood dabei als mieser, sexistischer, verkommener Sündenpfuhl gebrandmarkt wird, mit Nebenstellen im Journalismus und der das alles deckenden Unterhaltungsindustrie an beiden Küsten.
Es sollte einen stutzig machen, dass sowohl das feministische Portal Jezebel als auch das alt-right-Portal Breitbart eine stetig erweiterte Sammlung zu den Vorwürfen haben, und die Debatte gegen Hollywood von den gegenüber liegenden Rändern des politischen Spektrums gemeinsam anheizen. Ich weiss, es ist verpönt, Breitbart zu lesen und Alt-Right-Aktivisten zu folgen. Aber diese Leute haben eine gewisse Durststrecke hinter sich. Breitbart hat viele Werbekunden verloren, Alt-Right machte sich mit Verschwörungstheorien zur Pädophilie in einer Pizzeria und dem Naziaufmarsch in Charlottesville unmöglich. Die Szene war auf dem absteigenden Ast, Buzzfeed wartete mit einem Kassiber an interner Kommunikation von Breitbart auf.
Und nun kommt dieses Gottesgeschenk für diese Szene, die hier nur gewinnen kann. Mit jedem Vorwurf, mit jeder Anschuldigung wird genau jenes liberale Küstenamerika vorgeführt, das dazwischen in seiner angeblich arroganten Haltung so gehasst wird. Die Kultureliten, die alle geschlossen hinter Clinton standen, sind bei dieser Darstellung schlimmer, zynischer und korrupter als Trumps Lager . Neben dem egomanen Weinstein, den Feministinnen vorführen, ist Trump moralisch gar nicht so schlimm. Und je weiter die Kreise sind, die der Skandal zieht, desto euphorischer werden die Kommentare bei Fox und Breitbart. Das liberale Amerika misst seine Protagonisten an schärfsten Kriterien und erlaubt keine Revision. Trumps Lager muss nur zuschauen, wie CNN fordert, dass sich endlich auch Clinton und Obama öffentlich – und natürlich im Sinne des Schuldspruchs – von Weinstein distanzieren. Was sie bislang, abgesehen von kurzen Statements, nicht getan haben.
Das ist für Trump eine herrliche Gelegenheit. Ausgerechnet Clinton, die die Frauenrechte in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellte und sich mit Feministinnen aller Art zeigte, und die als Hoffnung für ein weibliches und besseres Amerika galt – diese Clinton bekommt bei Veranstaltungen den Mund nicht auf, wenn so ein Fall in ihrem eigenen Umfeld passiert. Es kann bei seinen Anhängern als der Beleg für Trumps Wahlkampf gegen “crooked Hilary” gelten, der man nicht trauen kann, und die als Teil des Establishments – oder des Swamps – nie auf die Idee käme, gegen ihre eigenen Verbündeten und Interessen vorzugehen. Clinton könnte hier mit einer harschen Reaktion beweisen, wie ernst es ihr mit den Versprechungen im Wahlkampf ist. Hier wäre ein Fall, in dem sie den Stab brechen könnte. CNN würde das gern vermelden und liefert die Demokraten ans Messer. Es kommt nichts. Clinton und Obama, der betonte, eine von fünf Frauen an den Colleges werde Opfer sexueller Gewalt – vermeiden öffentliche Einlassungen.
Völlig zurecht übrigens, wenn man das alte System von Schuld und Nachweis anwenden würde. In einem System der massvollen Betrachtung wäre der Rückzug auf das Beschweigen kein Akt der Feigheit oder des Verrats an den eigenen Idealen, sondern ein Zeichen des Respekts vor der Wahrheitsfindung. Aber wir haben alle Internet und eine gut eingefahrene Empörungsindustrie, und Weinstein ist schon am Ende: In dieser Neuinszenierung der chinesischen Kulturrevolution muss nur noch der Parteichef zeigen, dass er sofort bereit ist, seinen alten Freund hinzurichten. Freundschaft, Verdienst und Zuneigung – ist es nicht denkbar, dass Weinstein neben ein den mutmasslichen Vergehen auch ein netter Kerl ist, den man aus einer subjektiven Betrachtung heraus mögen kann? – gelten nichts mehr. In diesem liberalen Amerika kann jeder der nächste sein. Rücksichten gibt es keine, dafür jede Menge neue Beschuldigungen gegen Abweichler von der reinen Lehre. Angesichts des Umstandes, dass die realen Bedingungen in Hollywood keinem feministischen Streichelzoo entsprechen, kann das noch lange dauern, und viele werden sich noch in Selbstkritik von anderen öffentlich distanzieren müssen.
Wie so ein moralisch fragwürdiges und skandalerschüttertes Lager dann den Amerikaner erzählen will, sie hätten eine bessere Alternative zum unmoralischen Trump, und man sollte doch zu ihnen rüber kommen, wo es doch so menschlich und liebevoll zugeht, so offen und rein und frei von allem Bösen – nun, das wird sicher eine gewisse Herausforderung, kaum kleiner als der Skandal um die Nominierung Clintons durch die Partei, die Bernie Sanders mit schmutzigen Methoden verhindern wollte. Trump hat fraglos seine Fehler, aber seine Wähler empfinden das als kantig, authentisch und kraftvoll. Sie mögen es, wenn er dem republikanischen Establishment Druck macht. Die Gegenseite ist dabei, das ohnehin schon nach den Wahlen beschädigte Ansehen der Medien und Kulturbranche weiter zu ruinieren. Jezebel erkennt das Problem sogar, macht aber einfach weiter, auch wenn die Demokraten dabei frontal angegriffen werden. Aktivistinnen dieser Sorte kümmern sich nicht um langfristige strategische Ziele, sondern um maximalen Schaden für jeden, den sie für einen Gegner halten. Das Lager der Trumpgegner zerfällt in moralischen Tugendterror und genüsslich inszenierte Autodafes, während die Anhänger Trumps noch eine Dose Bier aufmachen und Magazin der AR-15 verballern, und ihre Frauen am Grill stehen, Fleischbrocken braten und dem Radioprediger zuhören.
Noch 7 Jahre.
Mindestens.