Ich füge den unten stehenden Link nur der Vollständigkeit halber ein – und auch nur nicht aktiv – weil ich denke, dass solche Inhalte nicht verbreitet werden sollten. Es geht da um einen Beitrag von Buzzfeed, in dem der neue Chef eines britischen Schwulenmagazins moralisch hingerichtet wird, weil er in den letzten Jahren ab und zu ein paar wenig geschmackvolle Sachen auf Twitter geschrieben haben soll – ich muss zugeben, ich habe ein paar Mal laut gelacht.
https://www.bu zzfeed.com/patrickstrudwick/the-editor-of-gay-times-posted-dozens-of-offensive-tweets?utm_term=.dnaK7eEDGa#.yew025ogVW
Wer eine Weile mit Mitarbeitern eines schwulen Magazins zugebracht hat, der kennt das, denn diese Szene ist nun mal in den klassischen Kanon bürgerlicher Tugenden und Ausdrucksformen eingebunden, und das ist auch witzig so. Da sind solche Scherze nicht ungewöhnlich. Nicht gelacht hat der von Buzzfeed dann stolz zitierte Arbeitgeber, der den Betroffenen auf den Beitrag hin gefeuert hat – da steht dann irgendwas mit “values”. Man darf davon ausgehen, dass die Bemerkungen über fette, körperlich hässliche und moralisch abstoßende Personengruppen diverser Abstammung den kommerziellen Interessen der Zeitung entgegen stehen. Buzzfeed garniert das alles noch mit Krokodilstränen der linken Szene, bisher seien die Chefs der Zeitung immer nur weiße Männer gewesen, und nun endlich käme jemand mit nicht rein weißem Hintergrund, und dann so etwas. Schrecklich! Das müssen Sie gelesen haben! Skandal.
Nun leben wir in Zeiten, in denen eine vom Staat bezahlte “NGO” namens No Hate Speech es völlig in Ordnung findet, wenn eine iranischstämmige Fett-Akzeptanz-Aktivistin in der taz in Bezug auf Deutsche von “Kartoffeln” und “deutscher Dreckskultur” spricht. Diese Person wird dann auch noch in drei Beiträgen von taz-Autoren verteidigt, und Kritik an den Aussagen wird als “rechts” diffamiert. Der Unterschied ist, dass sich die lockeren Sprüche im britischen Fall gegen das richtete, was man allgemein als Minderheiten bezeichnet, wohingegen die taz ernsthaft gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu Felde zieht. Zweimal Rassismus, einmal fühlt ein Magazin seine Werte betroffen, und einmal fühlt eine angeblich antirassistische Zeitung ihre Werte bewahrt. Und bei Buzzfeed meint man, mit dieser Denunziation auf der richtigen Seite gewesen zu sein.
Den Link übeer den schwulen Journalisten habe ich übrigens von Twitter, von einem Journalisten des Guardian. Der gleiche Journalist hat vor ein paar Tagen eine weitere Geschichte von Buzzfeed verlinkt. In diesem Fall ging es um den Guardian selbst, namentlich einen leitenden Angestellten der Onlinebereichs, der wegen des Verdachts sexuell unangemessenen Verhaltens freigestellt wurde. Das kann man prinzipiell richtig oder angemessen finden, aber ich frage mich schon, ob sich dieser Kollege gut fühlt, wenn er so etwas über seine eigenen Kollegen öffentlich verbreitet. Vermutlich findet er das richtig, denn Journalisten geben oft vor, auf der richtigen Seite zu stehen.
Ein anderer, deutscher Journalist, der ansonsten nicht eben ein Freund des ausgeglichenen Wortes ist, wartete heute empfehlend mit einem Link zu einem Beitrag auf, in dem die Meinung vertreten wird, der Feminismus müsste sich jetzt noch einmal mit seinen Fehlern in Bezug auf Bill Clinton auseinander setzen. Seit über zwei Jahren lese ich bei rechten Verschwörungstheoretikern immer wieder Versuche, den früheren US-Präsidenten moralisch doch noch zu diskreditieren, ihm Lustreisen nachzusagen oder ihn in Verbindung mit pädophilien Zirkeln zu bringen. Die Rechten hassen Clinton, seitdem das Impeachment gegen ihn gescheitert ist. Sie kamen damit nicht durch. Aber jetzt wird das Tribunal wieder eröffnet. Von denen, die Clinton damals eigennützig verteidigt haben, weil sie Angst vor einem politischen Umschwung hatten´. Feministen sollten sich jetzt beeilen und auch ein paar Hit Pieces über Clinton verbreiten, und so auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.
Nur über den Umstand, dass die von den meisten Medien einseitig gelobte Gina Lisa Lohfink nun auch nach der Revision zu einer Geldstrafe wegen der Falschbehauptung einer Vergewaltigung verurteilt wurde: Davon schweigt das Unterstützerteam jetzt lieber. Aber die Frage für mich ist: Wann wurde das hier draußen im Netz eigentlich so moralisch, dass man jetzt noch mal Bill Clinton jagen und schwulen Journalisten die Existenz zerstören muss?
Denn wer wirklich eine bombensichere Moral ohne Debatte und Widersprüche will, benötigt eigentlich kein Internet. Rudimentäre Lateinkenntnisse und ein Besuchsschein für jede theologische Fakultät reichen aus, um sich ein ganzes Leben lang in katholischer Moralliteratur zu vertiefen. Ich kann da besonders das 18. Jahrhundert empfehlen. denn damals hatte sich die Geistlichkeit mit Büchern wie “Die philosophische Therese” oder “Die Nonne” herumzuschlagen, die einen direkten Angriff auf jene Ideale von Keuschheit und Zurückhaltung darstellten, die heute wieder im Mode sind. “Shut up and listen” war damals schon die übliche Erwartungshaltung gegenüber abweichenden Meinungen, da unterscheidet sich der kahlrasierte Dominikaner nicht von der grünhaarigen SPON-Aktivistin. Wer ein schweigendes Publikum will, muss sich selbst eines suchen.
Das Problem, speziell im Internet, sind die quasi unbegrenzten Möglichkeiten. Es ist nicht so erfolgreich, weil dort alles steht, was bislang gedruckt und erlaubt wurde, sondern alles, was man daneben unkompliziert schreiben will und braucht. Kleines Beispiel, weil wir oben die linke taz und den Kartoffel-Rassismus hatten: Ich habe gestern etwas über die “Strategie der Spannung” in Italien recherchiert, und bin dabei auf den Ordine Nuovo-Gründer, Neofaschisten und Rassisten Pino Rauti gestoßen, der sich selbst auch für “links” hielt. Rauti war Anhänger des Rassentheoretikers und Antisemiten Julius Evola. Ich bin absolut unverdächtig, Evola zu schätzen, aber es ist angenehm, dass ich im Netz ein pdf seines Werks “Revolte gegen die Moderne Welt” herunterladen und betrachten kann, ohne es bei einem obskuren, rechten Verlag bestellen und bezahlen zu müssen. Im Buch steht, dass auch Evola wie die neuen, exterminatorischen Moralisten des Netzes einer von der Sorte ist, die in der modernen Welt die Verrottung und schlimme Moral erkennt – und beseitigen will.
Es gäbe durchaus Gründe, warum Evolas faschistisches Werk besser vergessen wäre, aber so, wie es im Netz steht, kann sich wenigstens jeder sein eigenes Bild machen, und darüber zu lachen: Evola ist wie so viele Dogmatiker, egal ob Marx oder Rosenberg, gefangen im Irrglauben an einen Idealzustand, den es weder jemals gegeben hat, noch jemals geben wird. Das Beste, was man aus Evola lernen kann ist, auf keinen Fall wie Evola zu werden. Evola war ein widerlicher Frauenhasser, er schrieb wörtlich von der “Frau als Ding” – gestern suchte dagegen eine taz-Autorin Männer, die wegen des “Patriarchats” Angst vor sexuellem Versagen haben.
Das muss einem nicht gefallen, aber so, wie man hier draußen Evola lesen kann, Karl Marx oder Anhänger eines Israelboykotts, kann man auch fragen, ob nicht Männer Lust haben, ihre Erektionsprobleme in der Öffentlichkeit dem feministischen Bild des Patriarchats zuzuschreiben. Die Freiheit, die uns garantiert, Evola lesen zu können, garantiert auch anderen die Freiheit, völlig konträre Meinungen lesen zu können. Das geht aber nur mit einer gewissen moralischen Gelassenheit und Differenzierungsvermögen gut aus: Wenn Evola ein Neofaschist ist, ist nur er ein Neofaschist, aber nicht jeder, der nicht 100% auf der Linie der Antifa ist. Diese Differenzierung geht momentan aber rapide verloren: Wenn beispielsweise eine Feministin im grünenfreundlichen österreichischen Standard einen Harvey Weinstein auf eine Stufe mit dem Ex-Grünen Peter Pilz stellt, und dann im nächsten Schritt Grüne in Innsbruck die Hexenjagd nutzen wollen, einen innerparteilichen Kritiker mit falschen Gerüchten zu ruinieren.
So macht frau das heute. Ich kann mir da noch eine gewisse Freiheit leisten, aber ich kenne etliche Personen in Berlin, die in den letzten Jahren schlau genug waren, mit niedrigen Zinsen Immobilien zu kaufen. Diese Personen haben allesamt einen guten Schnitt gemacht. Manche haben vor ein paar Jahren auch noch offen ins Internet geschrieben, dass ihnen ihr entslumtes Viertel besser als früher gefallt, als sich dort noch Leute herumtrieben, die nicht westdeutsch waren. Vor dem Immobilienboom konnte man ganz offen über solche Themen in sozialen Netzwerken reden. Heute sind die Gewinner allesamt verstummt. Weil der Zeitgeist in Berlin und in den Netzen dazu tendiert, jeden Eigentümer vom mühsamen Sparer bis zum börsennotierten Immobilienkonzern in einen Topf zu werfen. So, wie man jeden Verteidiger früherer Gesellschaftsordnungen in die Nähe von Evola rücken will, wird jeder, der kein Geschmier an der Wand und keine Beule im Auto haben will, zum Miethai und antisozialen Verdränger. In den Massenmedien finden sich viele entsetzte Artikel über steigende Mieten, aber nur sehr wenige weisen darauf hin, dass Miete in Deutschland lang zu billig war, was sich jetzt in Zeiten steigender Preise wegen der niedrigen Eigentümerquote rächt. Im Ergebnis kenne ich zwar viele Profiteure der Entwicklung, aber die Sichtweise in den sozialen Medien sieht so aus, dass eine “Refugees welcome” rufende Soziologin unwidersprochen meint, jetzt auch noch Anspruch auf 2 Zimmer und Balkon für 750€ warm in einer beliebten Großstadt zu haben.
Gäbe es eine vernünftige Debatte im Netz, gäbe es so etwas wie einen Diskurs, der im Abgleichen von Erfahrungen keine Beleidigung und keinen Verstoß gegen die richtige Ideologie sieht, wäre die Konstruktion der Realität aus vielen Sichtweisen einfacher. Dazu müsste man den Wünschen und Erwartungen der anderen aber zuerst einmal ein Existenzrecht einräumen. Die grüne Partei in Österreich war fraglos vorbildlich feministisch und ist gerade aus dem Parlament geflogen, weil sie damit auch Frauen kaum angesprochen hat. Das liegt daran, dass es auf der einen Seite durchaus so etwas wie eine Diskurshoheit gibt, die in Parteien mit internen Regeln, in Religionen mit Dogmen, im Faschismus mit Faschismus und im Netz mit Meldeknöpfen, Shitstorms und Schweigespiralen erzwungen wird. Auf der anderen Seite gibt es aber genug Privatleben, das davon nicht berührt wird, und sich unerwartet zur Wehr setzt. Es gibt gute Gründe, warum man heute in theologischen Bibliotheken viel Platz hat, warum die Bürger in Polen gegen die Regierung auf die Strasse gehen, und manche, die brav Angriffe auf Sexismus in den deutschen Medien retweeten, privat trotzdem nehmen, was sie aufgrund ihrer Netzbekanntheit kriegen können. Wenn ich nach dem gehe, was ich bei Twitter sehe, kennt zwar jeder die New York Times und den Guardian, aber Anbieter von Pornoseiten und sexuellen Dienstleistungen hätten dortselbst keine Kundschaft.
Ich glaube das nicht so ganz, denn wenn es so wäre, bräuchten wir hier nur ein paar Druckereien und einen Vertrieb und eine Beilage aus der Feder von Herrn Ratzinger, und keinen weiteren Netzausbau. Julius Evola würde das sicher auch begrüssen, aber der normale Mensch ist nun mal kein spiritueller Krieger, der das Richtige tut und das Falsche vernichtet, ohne vorher auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Im normalen Leben, vom Kantinenbrei bis zum in China zusammengeschraubten Handy, dominiert nicht die Reinheit, sondern die Einsicht, dass man Kompromisse eingehen muss. Leider laufen im journalistisch-aktivistischen Komplex nach dem Kantinenessen solche ethisch reinen Aufpasser mit Kontrollhandy herum. Da gibt es einen, der ein Opfer eines schmerzlichen Diebstahls zur verbalen Ordnung rufen wollte, weil die Betroffene das klauende Gesindel als “Gesindel” bezeichnete. Das sind die moralisch reinen Intoleranten, die tatsächlich eine neue Ordnung und ein System wollen, das keine Abweichung zulässt: Weil sie alle Werte haben, die bis aufs Blut der anderen verteidigt werden.
Evolas Anhänger haben zu diesem Zweck Bomben gelegt, aber die Methoden von Buzzfeed und diverser anderer mag ich deshalb noch lange nicht. Ich kann im Netz prima ohne solche Werte leben.