worin unter Zuhülfnahme incommodierender Grabplatten,
Professores und Sudelfeden erkläret wird,
zu welchem Nutzen das Internet sey
und welch Verderbnüss alljenen
droht welche es gröblich
verteuffeln
Ach ja, das Internet. Der Tatort, der Pornotauschplatz, der Raum, in dem alle Verrückten sind, wo sich Menschen hinter Pseudonymen verstecken und sarkastische Dinge sagen, die grenzenlose Verdummungsmaschine, angetrieben von hässlichen Kästen, in denen ignorante Prozessoren nur 0 und 1 unterscheiden können und daraus Katzenbilder machen, wo geplündert wird und geraubt, und sei es nur Aufmerksamkeit und Arbeitszeit. Das Internet hat einen, gelinde gesagt, bescheidenen Ruf in Deutschen Landen, und in manchen besseren Kreisen gehört es heute einfach mit zum guten Ton, das Internet abzulehnen. Oder es gar nicht zu haben. Es sei, so vernimmt man allenthalben, einfach die falsche Umgebung für klugen, dauerhaften Diskurs, zu schnell, zu wüst, zu offen, was will man denn mit einem Medium, bei dem jeder bei komplexe Fragestellungen der Finanzmarktregulierung dumm mit- und reinreden kann, der am Morgen seine Freundin per Twitter absägt und am Abend bei Youporn Trost sucht.
So schlecht ist das Internet, dass heute Bücher von Autoren verfasst werden, die einige Zeit ohne Netz leben, man liest Beiträge über Verdummung und Berichte von Multitasking und faselnden Bloggern, die das Hirn überfordern, und schon vor ein paar Jahren wurde mal versucht, unwürdige Blogger aus dem Internet wie mich mit echten Professoren in einen Raum zu stecken, und zu schauen, was passiert. Der Professor, mit dem dieses Experiment unternommen wurde, gilt als herausragender Vertreter der Politikwissenschaften. Ich schätzte einige seiner absolut nicht verstaubten Bücher und dachte, es könnte angenehm werden. Der Professor jedoch sagte dem Auditorium, Blogs in ihrer bestehenden Form, wo jeder alles sagen und kommentieren könnte, wären gar nicht gut. Aber er sehe darin wenigstens gute Chancen, einen abgeschlossenen Raum für einen “Elitendiskurs” zu schaffen, in dem Spezialisten kluge Dinge besprechen würden, und der Rest könnte das lesen und die Ergebnisse aufnehmen. Und danach einen Kotau machen und die Professorenstiefel für diese Gnade lecken, sagte er nicht dazu. Aber es kam bei mir so an. Später bot eine bekannte Regionalzeitung diesem Professor ein Blog für seinen Elitendiskurs an. Er schrieb genau einen Beitrag. Er bekam keine Antworten für seinen Diskurs. Er schrieb nie wieder. Nach ein paar Monaten machte die Zeitung das Blog wieder zu.
Ich weiss nicht, wo er jetzt seinen Elitendiskurs betreibt, an der Uni, in Gremien, auf Konferenzen, wo er andere Professoren trifft. Zu so einem Diskurs will ich nun auch geleiten, zu einem Zusammentreffen wichtiger Personen der Geistesgeschichte, die im obigen Raum versammelt sind, und die nicht minder in ihrer Zeit den Diskurs mit den Anderen, den Andersdenkenden, den Normalen verweigerten. Es handelt sich um das Mortuarium von Eichstätt, ein Anbau an den dortigen Dom, in dem die Gräber und Grabplatten wichtiger Würdenträger des Fürstbistums versammelt sind. Die Grabplatten entwickeln sich im Laufe der Jahrhunderte vom einfachen Stein mit Namensinschrift zu halbplastischen Darstellungen der Verstorbenen, von der dezenten Erinnerung an einen Toten im Boden einer Kirche hin zu äusserst repräsentativen und geschützten Darstellungen bedeutender Persönlichkeiten. Niemand sollte mehr auf diesen Grabdenkmälern herumlaufen und die Namen und Titel abtreten; jeder sollte sehen, wie gebildet, weise, prächtig und erfolgreich der Tote gewesen ist. Im hohen Mittelalter genügte noch die Darstellung von Kelch und Hostie, um den geistlichen Stand zu dokumentieren. Im späten Mittelalter verlangt die Mode dagegen nach Körperlichkeit, Kleiderprunk und Büchern, die als Zeichen der geistigen Elite anfänglich dezent, aber doch sichtbar vorgezeigt werden.
Dieses Grab ist an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit entstanden; der Buchdruck hat gerade seinen Siegeszug angetreten, aber noch schreibt man in Klöstern Bücher mit der Hand ab. Das Buch ist alleiniger Besitz der Reichen, Mächtigen, Gebildeten und Geistlichen, es ist enorm teuer, und enthält Texte, die damals nur wenige lesen können. Es ist Zeichen einer Elite und der Repräsentation, es definiert, salopp unter dem Arm getragen, die Grenze zwischen Klug und Dumm, Ober- und Unterschicht, Elite und allen anderen.
Ein paar Jahrzehnte gingen ins Land, die Papierherstellung wurde billiger und die Druckverfahren erlaubten Kostensenkungen, als dann obiger Herr das Zeitliche segnete und sich in diesem Raum zur Ruhe legte. Noch immer ist das Buch Künder der Wahrheit der christlichen Lehren, und sein Besitzer derjenige, der darüber zu befinden hat. Aber es wird ganz anders vorgezeigt, und es ist auch kein billiges Büchlein: Es ist ein schwerer, bedeutender Foliant in einem Prunkeinband, ein Stück Text und Information, das allein aufgrund seines Äusseren immer noch unerschwinglich für die Allermeisten ist. Der Einband sagt: Deutungsmacht. Wichtigkeit. Relevanz. Dieses Buch. Andere nicht.
Wieder ein paar Jahrzehnte später, der 30-jährige Krieg hat gerade siegreich für die Katholiken begonnen, und das Fürstbistum ist mächtiger denn je, gehört das Buch zum guten Ton auf den Grabplatten. Mögen woanders Aufrufe an Kirchentüren stehen und Flugschriften den Unglauben verbreiten: Hier, in diesem Herrschaftsbereich, bestimmt die geistliche Elite, was gelesen werden darf, und welches Buch mitsamt Besitzer verbrannt wird. Zu jener Zeit wird die protestantische Hälfte der Bevölkerung wieder katholisch gemacht, mit allen Mitteln. Auf dem obigen Grab ist 1622 noch das richtige Buch, das schwere Buch der Kleriker, der Mächtigen zu sehen. Dann kommt der Schwede Gustav Adolf hier vorbei, es kommen Landsknechte und kümmern sich nicht um Bücher und Verbote, aber sehr um Raub und Plünderung, denen die Grabplatten nur wegen Wertlosigkeit entgehen. In den Jahrzehnten danach schwindet die Macht der geistlichen Elite. Andernorts werden Bücher mit fingierten Druckorten veröffentlicht, Autoren leisten sich den Schabernack der Pseudonyme, und es ist auch in Eichstätt nicht mehr so leicht zu bestimmen, was denn nun gelesen und als Wahrheit akzeptiert werden soll. Das Buch ist allgemein verfügbar, die Analphabetenrate sinkt, die Leute lesen nicht mehr nur die eine Wahrheit und stellen Fragen, und das Buch ist auch nicht mehr der einzige Künder einer einzigen Wahrheit. Im Mortuarium ändert sich die Mode, und das Buch ist nicht mehr der Mittelpunkt der Grabplatten, sondern nur noch Ornament, ein Einsprengsel unter Wappen der Familie, die nun von althergebrachter Macht und Einfluss künden, von alter Bedeutung, die nicht anzuzweifeln ist.
Aber eben nicht mehr von der einzigen Wahrheit in den Händen der Eliten. Den Diskurs geben jetzt andere vor, die Aufklärer in Paris und Genf, die Drucker in Amsterdam und London. Alles wird hier unter kirchlicher Macht auf den Index gesetzt, all das sollen die Untertanen nicht wissen, und so wird das Buch langsam zum ambivalenten Gegenstand, zum Träger gefährlicher Ideen, das man besser nicht mehr vorzeigt, um nicht falsche Begehrlichkeiten zu wecken. Für die Fürstbischöfe ist es wichtig, dass die Untertanen weiter an ihre Gottgewolltheit glauben und nicht die neumodische Encyclopedie von Diderot lesen, in der Gott bezweifelt wird. Das geht einige Zeit gut, die Entwicklung kann man im hinterwäldlerischen Deutschland bestens ignorieren, und ihre Protagonisten verhöhnen. Man muss hier keine Aufklärer lesen, um sie verbieten und von den Jesuiten in jener Art herabwürdigen zu lassen, über die sich die Elite absolut einig ist.
Bis dann mit der Aufklärung die französische Revolution kommt, ein gewisser Herr Bonaparte durchs Land zieht, und bei der Gelegenheit das Fürstbistum aufheben und in gute Stücke teilen lässt. Die Grabplatten mit den Besitzern der einzigen Wahrheit der Eliten darf der Bischof behalten. Das passiert dem Elitendiskurs in diesem Raum im Jahre 1802. 208 Jahre später sind Professoren immer noch stolz darauf, sich Internet ausdrucken zu lassen, Journalisten weigern sich, Blogs zu lesen, Politiker möchte das Internet regulieren. Wenige Mitglieder der deutschen Eliten haben Lust, über dieses Ding da draussen in den Netzen anders als mit Abscheu zu reden, während anderswo Banken mit Bewertungsmodellen in Rechnern und Internethandel die Wirtschaft ungehindert an den Abgrund bringen, Unternehmen ihre Mitarbeiter mit Datensätzen ausspionieren und sich unter den Milliarden Internetnutzern durchaus kluge Leute finden, die was zu sagen haben. Mit denen man reden kann. Die man dort kennen und vielleicht sogar lieben lernt. Ein Internet, das in jeder Hinsicht spannend sein kann, so klug wie seine Benutzer, und so gefährlich wie seine Schurken. Über das man aber nach Ansicht vieler Eliten nicht reden sollte, und wenn doch: Dann wenigstens nicht mit ihm und denen, die sich darin aufhalten. Und keine Eliten sind.
Dabei wäre im Internet der Platz dafür. Wenn die nicht wollen, machen wir es eben selbst. Hier. Jetzt. Jeder kann mitreden. Oder es bleiben lassen. Es muss nicht sein. Eliten, die unter sich bleiben wollen, können gerne einen anderen Platz aufsuchen. Im Mortuarium von Eichstätt ist übrigens noch viel Platz auf den Gängen, wo man an den alten, vergessenen Eliten entlamngläuft und kaum mehr entziffern kann, was sie denn einst zu Eliten machte.