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Foto-Sharing: Filter für Gefühle

Foto-Sharing-Dienste sind besonders aufgrund ihrer Filterfunktionen beliebt, die Schnappschüssen aus dem Alltag Patina verleihen. Die Bearbeitung der Fotos verrät jedoch mehr als ästhetische Vorlieben.

Recently, photography has become almost as widely practiced an amusement as sex and dancing-
which means that, like every mass art form,
photography is not practiced by most people as an art.
It is mainly a social rite, a defense against anxiety, and a tool of power.
Susan Sontag

 

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Auf der Couch der sozialen Medien genügt es nicht mehr nur mitzuteilen, was man gerade tut (und dabei hört und schmeckt und riecht), was man gerade denkt oder was man gerade fühlt. Die Dokumentation des Alltagslebens in Echtzeit geschieht ebenfalls darüber, was Menschen gerade gesehen haben. Denn das Smartphone ist als Kamera immer dabei. Mit Sharing-Diensten wie “Instagram” oder “EyeEm” gibt es soziale Netzwerke, in denen ausschließlich Fotografien mit anderen Nutzerinnen und Nutzern geteilt werden können. Täglich wachsen digitale Fotobücher mit kurzen Notizen zu einem Jahr in Bildern heran. Neun Monate nach seinem Start waren über Instagram bereits 150 Millionen Fotos mobil fotografiert und mit anderen Menschen geteilt worden. Im September, ein gutes Jahr nach Launch, verzeichnete die iPhone-Applikation schon über 10 Millionen User. Was auch immer uns vor die Linse läuft, schießen wir ab. Wie einst das Blog oder die regelmäßige Mitteilung zum aktuellen Befinden in einem sozialen Netzwerk bilden kleine quadratische Schnappschüsse nun die Kapitel eines visuellen Tagebuchs, das Nutzer für sich und andere befüllen.

Die Mehrzahl der mobil fotografierten Bilder sind also kein Handwerk mehr, keine Kunst, ja selbst ob sie der Erinnerung dienen, und nicht dem Augenblick, ist fraglich. Denn die Entscheidung über die Preisgabe von Informationen und Persönlichem im Internet dient vor allen Dingen einer Frage: Wie wollen wir gesehen werden? Dieser Maßgabe für die Selbstdarstellung folgen also auch die Dinge, die Menschen sehen und durch ein Objektiv festhalten. Das fotografiertes Leben als Beitrag zum digitalen Persönlichkeitsschliff bietet den anderen Menschen im Netzwerk nicht den Blick durch die Brille der Fotografierenden. Über einem Bild, das geteilt, bewertet und kommentiert werden kann, liegen mehrere Filter.

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Die visuellen Aktualisierungen der Ich-Erzählung im Netz unterscheiden sich von Fotos, die man früher für das Familienalbum machte. Sie werden nicht als Teilstück einer Serie aufgenommen, das irgendwann Stationen einer langen Reise wiedergibt; sie sind kein Anker für eine ausschweifende Erinnerung an einem Dia-Abend. Fotos für das Social Web erstellt der Mensch am Auslöser der Kamera mit einer veränderten Haltung. Über ein Foto, das als Status Update für ein soziales Netzwerk geknipst wird, um es sofort zu publizieren und darauf Rückmeldungen zu bekommen, will sein Urheber den Betrachtenden etwas mitteilen. Etwa etwas, dass er nicht in Worte fassen will oder kann. Oder, um überhaupt etwas zu teilen, wenn er nichts zu sagen hat. Das Bild signalisiert: “Ja, ich lebe noch! Manchmal verlasse ich sogar das Haus.” Für ihn steigern sich die Fotos im Wert, wenn sie von anderen Nutzern gemocht oder wohlwollend kommentiert werden. Simple Selbstbestätigung über den kleinen Klick.

Vor allem aber dient die Auswahl von Fotografien aus dem eigenen Alltag dem Impression Management: andere sollen sehen, was er alles ist und kann. So transportieren diese Bilder zum einen Sachinformation, zum anderen sie bauen Beziehungen auf, denn sie schaffen gemeinsame Referenzen. Die emotionale Distanz des Fotografierenden zur Aufnahme für das Social Web verkürzt sich zudem: er kann das Foto als Platzhalter für Empfinden verwenden.

Die Auswahl des Motives und die Entscheidung ein Bild zu teilen, sind dabei die ersten Filter, die ein Foto für Kommunikation und Wettbewerb striegeln. Wiederkehrende Motive und Sammlungen zu einem oder zu mehreren Themenbereichen dienen als Narrativ. Anders als Fotosammlungen, die über Alben in Kapiteln erzählen, findet man in einem Foto-Stream in einer Sharing-App eher einer fortlaufende Storyline, die über Wiederholung eine Rhythmus erhält und dem Fotografen Charakteristika zuschreibt. Doch wie erschließen wir den Kontext der mobil veröffentlichten Bilder? Sehen wir Bilder von jemandem, der Kunst fotografiert oder von jemandem, der Kunst versteht? Was möchte eine Person Ihnen erzählen, oder andersherum gefragt, welche Assoziationen weckt es bei Ihnen, wenn jemand vorrangig eines der folgende Motive fotografiert und mit Ihnen teilt? 

Street Art, Sonnenuntergänge, das Leben in der Großstadt, Babys, Katzenkinder, Stillleben vom Mittagstisch, schmeichelhafte Selbstportraits, graue Fassaden, randvolle Rotweingläser.

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Die Filter der Fotoprogramme, die den Originalaufnahmen einen neuen Anstrich geben, wirken beim Betrachten dämpfend wie ein Sedativum. Sie ändern nicht nur Lichtverhältnisse und Farbigkeiten, viele der automatisierten Bearbeitungsstufen sind vor allem darauf ausgelegt, der digitalen Fotografie Patina zu verleihen. Sie altert künstlich. Das Gefühl der Nostalgie, was beim Anblick eines leicht vergilbten, 20 Jahre alten Foto aufkommen mag, kann das Programm binnen von Sekunden erzeugen. “1977” heißt beispielsweise einer der Filter, die man bei Instagram auswählen kann. “Wir sehnen uns nach der Ästhethik vergangener Jahrzehnte (Schwarzweiß, Vignetten, Lomographie etc.) und verwenden destruktive Filter, um unser visuelles Ideal zu erreichen”, schreibt André Krüger im boschblog. Ein Klick erzeugt Vergangenheit, doch die Geschichte fehlt, um die verstrichene Zeit zu füllen. Denn was vor ein paar Minuten war, zieht keine Erzählung nach sich, die davon handelt, was seitdem geschah. Ohne ein “damals” und ein “Weißt Du noch?”, wirkt das gealterte Bild allenfalls schief. Soll der erzwungen antike Anblick der jungen Erinnerung Gewicht verleihen? Oder spendet ein Bild, das aus einer anderen Zeit stammen könnte, die Wärme der Kindheitstage wieder? Weckt es Gefühle, zu denen wir keinen Zugang mehr haben? 

Anstatt eine zweiten Ebene der Erzählung durch das Foto selbst zu erzeugen, die sich erst beim längeren Betrachten erschließt, legen Nutzer von Photo-Sharing-Diensten eine zweite Ebene über das Bild, um seine Bedeutung zu mästen. Wer kein ein Foto schaffen kann, das vor lauter Gefühlen platzt, legt einen romantischen Weichzeichner darüber. Die Betrachter dürfen raten, ob derjenige nun verliebt oder verlassen ist. Ein vages Bild für den, der nicht darüber sprechen möchte. Ein Filter für jede Stimmung – eine große Bandbreite von Emotionen bleibt folglich nicht über.

Die Bearbeitung der Fotos produziert zudem das, was viele Menschen an Produktwerbung kritisieren: eine weiche, nette, und artifizielle Welt mit Happy End. Vielleicht habe ich die Nutzer, die Instagram für Fotoreportagen aus Kriegsgebieten nutzen, auch einfach noch nicht entdeckt.

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Am Gendarmenmarkt reihen sich in Menschen mit mächtigen Kameras, blitzenden Mobiltelefonen und großen Augen auch fotografierende Touristen, die ihr iPad anheben um Berlin als Bild festzuhalten. Da wir für Fotos keinen Film mehr verschwenden müssen, nur ein wenig Speicherplatz und einen Fingerdruck auf den Auslöser, fotografieren und filmen wir alles, mit allem. Menschen zeichnen diese Erinnerungen mit allerlei Geräten auf, die an irgendeiner Ecke Raum für eine Kamera lassen. Durch den Prenzlauerberg schlendern mit einer Brille auf der Nase: Klick. Verschlafen und zerknautscht vor dem Laptop: Klick.

Welche Bilder aus der Vergangenheit bleiben, wenn Menschen mit einem iPad vor dem Kopf durch ihr Leben gehen? Wie verändern sich Erinnerungen, wenn an die Stelle des Auf-sich-wirken-lassens ein Sammeleifer für Memoiren auf dem Datenträger tritt? Welche Art der Erinnerung bleibt, wenn das Stück Alltag erst durch ein Like für das Foto legitim erscheint? Wie blicken wir in ein paar Jahren auf Fotos von heute Morgen, denen wir den Look aus einem anderen Jahrzehnt verpasst haben? Ist der Vintage-Look von Instagram das visuelle Ideal dieser Zeit? Ist der ungefilterte Blick auf diese Welt nichts wert? Muss der Mensch am Auslöser des Smartphones ein verfärbtes Heute erschaffen, um seinen Alltag zu ertragen?

Vielleicht lohnt es sich zu fragen, welche Ästhetik diesem Tag, diesem Jahr, diesem Jahrzehnt tatsächlich gerecht wird. Die Epoche der Sehnsucht liegt weit zurück. Vielleicht macht es sogar Spaß, nach dem eigenen Stil zu suchen, anstatt aus einer Palette von Schleiern zu wählen. Es wäre paradox, wenn ausgerechnet die Echtzeitfotografie einen Blick zurück wirft, und nicht auf die Gegenwart.

 

Zum Weiterlesen: Kleine Kulturgeschichte des Digitalbildhasses