Deus ex Machina

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Gerechtigkeit für Kim Dotcom

Ein rosa Cadillac, eine Villa, ein Leben in Saus und Braus: Vor dem Hintergrund eines für die New Economy eher durchschnittlichen Daseins wird der Blick auf die eigentliche Leistung von Kim Dotcom verstellt: Er hat eine Plattform gegründet, auf der für Inhalte im Netz Zahlungsbereitschaft existiert, und das mit minimalen Kosten und aktiver Hilfe der Nutzer.

Eigentlich ist Kim Dotcom, oder, wie er früher hiess, Kim Schmitz, mitsamt seiner Vita keine ungewöhnliche Erscheinung. Seine Firma für Datensicherheit mag nach dem Verkauf an den TÜV Rheinland pleite gegangen sein, aber wer Aktien von Kabel New Media besass, sollte wissen, wie sich das anfühlt. Er hat bei Letsbuyit mit guten Nachrichten ungeschickt die Kurse manipuliert und dabei einen gewissen Gewinn gemacht, aber auch bei Infineon, Brokat Technologies und Cargolifter las man schöne Geschichten. Als Schmitz mit Letsbuyit spekulierte, war die Firma erkennbar schon am Ende – diejenigen, die dieses Startup an die Börse brachten und den Kurs weit nach oben schnellen sahen, verdienten weitaus besser auf Kosten anderer. In seiner Jugend machte Schmitz ausserdem ein paar Dinge, die mal diesseits und mal jenseits vom rechtlich Zulässigen waren, aber diese Vorgeschichte haben viele Internetvordenker.

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Das betrifft auch seinen jetzt nach der Verhaftung breit ausgewalzten Lebensstil. Wer da von “Saus und Braus” redet, weiss nicht, wie es damals in der New Economy zugegangen ist. Er sei ab und zu mit dem Helikopter geflogen. Mei, möchte ich da sagen, einer der ganz grossen Vordenker des deutschen Internets, der aus der Politik in die Wirtschaft gewechselt war, erwartete, dass man ihn zum Vortrag in einem Schloss auch mit dem Heli einflog, weil ihm die Anfahrt mit dem Auto vom Flughafen zu lange dauerte. Das war für die über zwischengeschaltete Organisatoren letztlich zahlende Landesregierung selbstverständlich. Kim Dotcom hatte eine ganze Flotte von Autos. Das war in der New Economy normal, erfolgreichen Firmen wurden ganze Flotten aufgedrängt, und bei der Gelegenheit auch genug Autos nahegebracht, die nicht nach normalem Middle Management aussahen. Der Dienstneunelfer, der Firmenferrari, die AMGs, um die Investoren schnell am Flughafen abzuholen, das war damals normal. Es gab Firmen, die nach der grossen Venture-Capital-Tranche – übrigens oft genug durch öffentliche Garantien abgesichert – Wochen damit zubrachten, Businessflitzer, Sofas und beste Adressen für den kommenden Überflieger am Neuen Markt auszusuchen.

Damit wurde man nicht zum Paria, das musste man nicht verstecken, im Gegenteil: Das war unverzichtbar, wenn man in den führenden Areas des Fortschritts auffallen wollte. Der Minister holte dazu dann die Journaille und schrieb in die Einladung, wieviel Geld es wert ist, wenn sie auf Kosten der Allgemeinheit drei Tage mit 5 Sternen und all den Stars zubringen. Die provokanten Aussagen von Schmitz, er sei sehr klug und würde sehr reich werden, wären nicht weiter aufgefallen. Exzesse? Da war ein Kapitalgeber mit der PR-Frau eines Bürostartups allein in der Sauna. Oben gab es die Gespräche und wir lagen unten am Pool. Aus der Perspektive der voll entwickelten New Economy ist Kim Dotcom so monströs wie ein Goldhamster. Einer von vielen. Vielleicht etwas mehr, etwas lauter und etwas drastischer, wenn etwas scheitert. Aber keine Ausnahmeerscheinung.

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Viele seiner Kollegen mit weitaus grösseren Schäden sind längst wieder da, sie haben Stiftungen, bemühen sich um Nachhaltigkeit, geben Seminare für Lebenserfolg, laden in ihre Anwesen in bester Mittelmeerlage ein, machen Hintergrundgespräche und besonders gern in Naturschutz und Ökologie, entwickeln Windparkfonds und jonglieren mit nachwachsenden Rohstoffen. Ich habe wenig Zweifel, dass es dem Ökohype mit diesen Ex-Neuökonomisten anders als der echten New Economy ergehen wird; bei Kim Dotcom liegt der Fall nur insofern anders, als dass er dem Internet und dem Stil seiner Jugend treu geblieben ist. Die einen entwickelten sich vom Dienstneuelfer zum Diensthybridcayenne weiter, während das in Neuseeland aufgeflogene Anwesen noch einmal vorstellt, wie die alte New Economy aussähe, wenn sie 2012 erfolgreiche Geschäftsmodelle vorzuweisen hätte.

Nun kann man sicher nicht ganz zu Unrecht darauf verweisen, dass das Geschäftsmodell von Megaupload weniger das Hochladen als vielmehr das Herunterladen von urheberrechtlich geschützten Daten war, was deren Erschaffer nicht goutieren. Wäre man böse, würde man sagen: Megaupload machte global Geschäfte mit dem geistigen Eigentum anderer Leute, und wenn wirklich 4% des gesamten Datentransfer des Netzes auf diese Firma entfielen, dann war das Geschäft nicht eben klein. 500 Millionen Dollar Schaden habe die Firma den Rechteinhabern verursacht, darf man lesen, und 175 Millionen Dollar soll Schmitz mit Werbung und den Abos für seine Dienste verdient haben. Wobei man natürlich auch sagen muss: Es ist unklar, ob jene, die ihre 175 Millionen  an die Firma gegeben haben, genauso leicht 500 Millionen an die Rechteinhaber gezahlt hätten.

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Immerhin: Sie haben für das Herunterladen von Material anderer Leute diese 175 Millionen bezahlt. Das ist schon mal ein Fortschritt im Vergleich zu Napster, den Torrents und anderen Anbietern, die überhaupt kein Geld für Downloads nehmen. Und das macht den Fall nun wirklich aussergewöhnlich, denn es ging Megaupload nicht einfach nur um Datenraub und Weitergabe, sondern um die Frage, was Menschen für welche Leistung zu zahlen bereit sind. Die 500 Millionen, die an Schaden beklagt werden, sind es nicht. Die 175 Millionen, die eingenommen wurden, sind es offensichtlich schon. Wenn, wie bei Megaupload, keine irrwitzigen Beschränkungen, Entrechtungen der Käufer, Drohungen und Zwänge den Nutzern den Spass am Geschäft verderben. Megaupload hat nicht versucht, seine Kunden mit Lizenzbestimmungen von Besitzern  – wie man das bei einem Buch oder einer Platte ist – zu zeitlich begrenzten Mietern von Inhalten zu machen, die idealerweise bei jedem Systemwechsel oder jeder Vertragsänderung neu zu erwerben sind.

Dazu kam bei Megaupload die Verfügbarkeit aller Inhalte unter einem Dach. Auch diese Idee hassen Inhalteanbieter, seitdem es das Netz gibt: Alles Streben geht dahin, den Nutzer in einer eigenen Firmenwelt zu halten und ihn so wenig wie möglich an andere abzugeben. Der Nutzer soll am besten nur Musik von einem Label und Filme von einem Unterhaltungskonzern mieten, deren Online-Community nutzen und auf gar keinen Fall über die Grenzen des Systems hinaus schauen. Diese Vorstellung hat sich seit gut 15 Jahren als grundfalsch erwiesen, weshalb Apple mit seinem iTunes-Store nach Belieben mit Zeitungen, Filmhändlern und Musikern Schlitten fahren kann: Die Nutzer wollen nicht Firmen, ihre Vertriebe und deren Inhalte, sondern die Inhalte so einfach und verlässlich und günstig wie möglich. Firmen und Vertriebler sind ihnen meistens egal. Diese simple Erkenntnis hat Megaupload gross gemacht, zusammen mit der grandiosen Idee, den eigentlichen Vorgang der Piraterie den Nutzern zu überlassen.

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Nur so ist diese Firma in der Lage gewesen, mit einer Handvoll Mitarbeitern und angemieteten Servern diese erstaunlichen Gewinne zu erzielen. Die Rechteinhaber, denen angeblich 500 Millionen entgangen sind, hätten ihre Inhalte vermutlich nicht so günstig ins Netz gebracht; Heerscharen von Anwälten, Programmierern und Beratern hätten Ewigkeiten damit zugebracht, dem System auf allen Ebenen jede Möglichkeit des Missbrauchs auszutreiben, und entsprechend hohe Kosten verursacht. Man könnte also frech die Frage stellen: Wären die Rechteinhaber in der Lage gewesen, selbst so ein umfassendes Downloadportal aufzubauen, mit dem sie 175 Millionen Dollar und jede Menge weiterhin gern zahlender Kunden abgeschöpft hätten, die selbst für die Bereitstellung der Inhalte sorgen? Ein Portal, das für sich so etwas wie Marktführerschaft beanspruchen kann? Mit schlanken Strukturen und einem Chef, der auf die Nutzern nicht wie ein raffigieriger Contentmafioso wirkt, mit Armeen von Anwälten im Hintergrund und der ständigen Drohung, beim kleinsten Verstoss gegen die Regeln werde man in die Privatinsolvenz abgemahnt?

Nüchtern betrachtet hat Kim Dotcom erfolgreich gezeigt, wie man mit Inhalten im Netz aus Nutzern dauerhafte Kunden macht: Indem man ihnen kundenfreundlich die Plattform liefert, die sie wollen, zu einem Preis, den sie zu zahlen bereit sind, und das alles, ohne sie dabei zu kriminalisieren. Ich habe wenig Zweifel, dass man ihm nun den Prozess machen wird – aber ich habe grosse Zweifel, dass diese 175 oder gar 500 Millionen Dollar in Zukunft bei den Rechteinhabern landen werden. Megaupload hat Zahlende und Inhalte zusammen gebracht und die Kunden zufrieden gestellt. Jetzt ist das alles weg. Und die Inhalteindustrie kann sich erneut auf die Suche nach zahlender Kundschaft machen, draussen, im Netz, wo die nächsten Piraten vielleicht einfach ein wenig vorsichtiger sind, ihre Strukturen besser tarnen und eine ganz normale E-Klasse fahren, wie ein normaler Abmahnanwalt.