Ihren Novitäten-Bonus haben Blogs aufgebraucht. Den großen Durchbruch dieser Publikationsform haben soziale Netzwerke wie Facebook & Co. gebremst. Bleibt Blogs auf Dauer nur die Nischenexistenz beschieden?
Immer wieder muss sich die Bloggerei von Seiten der etablierten Medien den Vorwurf gefallen lassen, sie kreise zu sehr um sich selbst. Sie schmore, um es im Jargon der Niklas-Luhmann-Jünger zu sagen, im Saft des Selbstreferenziellen förmlich vor sich hin. Nun haben wir uns hier bei „Deus ex Machina” zwar stets bemüht, der Nabelschau nicht übermäßig viel Raum zu geben. Aber heute möchte ich – auch als kleine Nachlese der Bloggerkonferenz re:publica vorige Woche in Berlin – doch einmal der Frage nachgehen, wie es denn so steht um das andere Publizieren.
Ich muss vorausschicken, dass ich den re:publica-Vortrag von Sascha Pallenberg zum Thema „Rockstars und Mimosen – wie die deutsche Blogosphäre veramerikanisiert wird” nicht gehört habe. Dem Tenor nach hat der in Hongkong lebende Technikblogger ein vielfach gehörtes Netzthemen-Narrativ bedient, nach dem Motto: Während in den USA die Bäume bereits in den Himmel wüchsen, zeige sich Deutschland in Sachen Blogs immer noch als Wüstenlandschaft. Dort seien Blogger längst zu Millionen Dollar schweren Rockstars geworden, hierzulande gönnten die einzelkämpferischen Netz-Mimosen einander nicht die Butter auf dem Brot. Zudem lähme der anhaltenende Grabenkampf zwischen etablierten Medien und der Bloggerszene eine fruchtbare Weiterentwicklung. Derweil setzten große US-Blognetzwerke wie Huffington Post, Techcrunch, Boy Genius Report und ein halbes Dutzend weiterer prominenter Adressen zum Sprung über den großen Teich an, um den deutschsprachigen Markt aufzumischen.
Man ist versucht zu fragen: Ja, und? Müssen wir aufgrund dieser Absichtserklärungen die Luftalarm-Sirene so laut jaulen lassen und uns in permanenter Zerknirschung üben, dass unsere Unprofessionalität in Sachen Bloggerei den US-Blogmultis Tür und Tor öffnet? Das wohl nicht, aber den Rat Pallenbergs an die Blogger, einander weniger als Wettbewerber und mehr als potenzielle Kooperationspartner zu betrachten, kann auch unsereins getrost unterschreiben: „Wir sollten uns wohl öfter gegenseitig erwähnen und Blogrolls wieder auferstehen lassen und so andere daran teilhaben lassen, was sie gerne lesen”, mahnt Bloggerin dasnuf (bürgerlich: Patricia Cammarata).
Die Gründe, warum es unter ein paar Hunderttausend Blogs in Deutschlands allenfalls eine Handvoll geschafft hat, von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, sind vielschichtig. Zum einen ist die Bloglandschaft sehr heterogen, viele Onlinejournale werden hauptsächlich aus Spaß an der Freud befüllt und weniger aus professionellen Ansprüchen und merkantilen Ambitionen heraus. Eine dahingehende Professionalisierung der Blogszene, die der Digitalvorturner Sascha Lobo vor ziemlich genau fünf Jahren bei der Gründung seines Blogwerbenetzwerks Adical (später umbenannt in Adnation und aufgekauft von der Burda-Tochter mokono) prophezeit hatte, lässt immer noch auf sich warten. Und das ist vielleicht nicht das Schlechteste: Das Denken in Reichweite als Relevanzmaß mit gleichzeitigem Blick auf die Vermarktbarkeit als Werbefläche hat in den traditionellen Medien ja auch nicht nur segensreiche Wirkungen gezeitigt. Somit ist es nicht so recht einsichtig, wieso dieser Schuh einer Publikationsform passen sollte, die sich in weiten Teilen eher als Alternative zum etablierten Medienbetrieb versteht. Antje Schrupp gibt zu etwaigen Zusammenhängen zwischen Reichweite und Relevanz folgendes zu bedenken: „Ich bezweifle stark, dass jemand, der die Relevanz des eigenen Handelns daran misst, wie viele Leute ‚draufklicken‘, sich der Versuchung erwehren kann, das eigene Tun entsprechend zu modellieren. Das traurige Extrem sind dann diese aus Keywords zusammengerotzten Texte, die für Werbekram Klickzahlen generieren sollen.”
Erschwerend kommt hinzu: Vieles, was man in den frühen Nullerjahren nur via Blog teilen konnte, lässt sich heute über Dienste wie Twitter oder neuerdings Pinterest schneller und einfacher loswerden. Netzwerke wie Facebook, Google plus & co. bieten vielfältigere Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Kommunikation – und das bei viel niedrigeren technischen Hürden. Das alles begrenzt nicht nur die Zahl derer, die sich zum Bloggen berufen fühlen (und damit die Gesamtreichweite des Mediums), sondern auch den Verlinkungsgrad der Blogs untereinander. Jahrelang hat der Düsseldorfer Journalist und Zahlenexperte Jens Schröder anhand dieser Verlinkungszahlen die Deutschen Blogcharts erstellt. Im März dieses Jahres gab er bekannt, dass er diese Messung nicht mehr fortführt. Dabei hatte er im Vorjahr noch den Versuch unternommen, das Ranking auf eine neue Zahlengrundlage zu stellen, die neben der klassischen Verlinkung untereinander auch Twitter-Links und die Besucherzahlen berücksichtigt. Aber trotz dieses Kunstgriffs musste Schröder einsehen, dass die Luft irgendwie raus ist aus dem Thema: „Der Faktor Verlinkungen von Blogs untereinander spielt mangels Masse kaum noch eine relevante Rolle, der Faktor Traffic spült vornehmlich suchmaschinenoptimierten Content-Schrott nach oben.”
Dem Zahlenproblem ließe sich mit methodischen Feinjustierungen sicher abhelfen. Aber in dem Zusammenhang stellt sich mittlerweile eine viel grundsätzlichere Frage: Wie soll man anno 2012 die Kategorie „Blog” überhaupt noch definieren? Reicht die Nutzung einer bestimmten technischen Plattform als kleinster gemeinsamer Nenner aus? Jens Schröder hat da inwzischen erhebliche Zweifel: Die Grenzen zwischen Blogs, Magazinen und anderen Inhalte-Websites lösten sich immer mehr auf. Und: „Profi-Blogs mit 20-Mann-Redaktionen und einem Inhalte-Ausstoß von 30 oder mehr Texten pro Tag lassen sich doch eher mit ‚Spiegel Online‘ vergleichen als mit einem 1-Personen-Hobby-Blog, in dem vielleicht alle zwei Tage ein Text erscheint.”
Womit wir auch wieder bei den Digital-Dickschiffen wie HuffPo und Techcrunch wären, die Kurs auf den deutschen Markt nehmen. Mit dem Attribut Blogs, so wie das hierzulande gemeinhin verstanden wird, sind diese Veranstaltungen nicht wirklich treffend beschrieben. Blogs mögen die Keimzelle gewesen sein, aber letztlich sind das Medienmarken, die in Konkurrenz zu Spiegel Online oder bild.de treten wollen und nicht zu basicthinking.de, carta.info oder last not least den Blogs der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Die Frage ist zudem, ob das Fehlen großer Blognetzwerke auf dem deutschen Medienmarkt tatsächlich die Existenz eines Vakuums belegt, welches die Deutsche Medienlandschaft nicht mit Inhalten füllen konnte. So sieht es jedenfalls Sascha Pallenberg, der hier nach meinem Dafürhalten ein wenig den Inhalt (Artikel, Postings, Content i.w.S.) mit der Darreichungsform Blogsoftware durcheinanderbringt. Die Lücke, in die AOL und andere Blogbuster aus den US of A in Deutschland stoßen wollen, ist weniger eine inhaltliche als vielmehr eine produktionstechnische – nämlich der Versuch, hochprofitable publizistische Legebatterien zu etablieren, in denen hauptsächlich ambitionierte Billigstschreiber zum Nulltarif oder wenig mehr suchmaschinen- und draufklickoptimierte Textblöcke raushauen. Ob man diese Leichtlohngruppen dann als noch Blogger, Journalisten oder sagen wir mal Onlinepublikanten bezeichnet, ist eigentlich unerheblich. Mit der Attitüde, „lassen Sie mich durch, ich bin Blogger”, die man in den ersten Jahren des dritten Jahrtausends noch pflegen konnte in dem guten Gefühl, ganz vorne mit dabei zu sein, ist es dann jedenfalls vorbei.