Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Druck vom digitalen Drill-Instructor

Smarte Gerätschaften versprechen unser Leben angenehmer zu machen. Doch wenn wir nicht aufpassen, leben wir bald in einem permanenten Bootcamp der technikgestützten Selbstoptimierung.

Die Deutschen stehen ja im Ruf, es mit der Mülltrennung recht genau zu nehmen. Doch die wahren Weltmeister dieser Disziplin wird man in England suchen müssen. In vielen Städten und Gemeinden auf der Insel stehen mehr als vier unterschiedliche Behältnisse pro Haus bereit, in Newcastle-under-Lyme etwa sind es Zeitungsberichten zufolge nicht weniger als neun unterschiedliche Tüten, Kübel und Tonnen, die es richtig mit Abfall-Komponenten zu befüllen gilt.

So wird es nicht verwundern, dass ausgerechnet ein deutsch-englisches Entwicklungsteam einen smarten Abfalleimer ausgetüftelt hat, der seinen Besitzer zu peniblerer Mülltrennung animieren soll.  Herzstück der BinCam ist eine Smartphone-Kamera im Deckel, die jedes Mal ein Bild schießt, wenn der Deckel zugeht. Das Foto wird automatisch zu dem Crowdsourcing-Dienst Mechanical Turk von Amazon hochgeladen. Dort sehen sich Leute das frische Bild vom Eimerinhalt an und entscheiden, ob das nun umweltgerechtes Wegwerfverhalten war oder nicht. Das Ergebnis wird in symbolischer Form in einer Facebook-App gepostet – und je nach Freigabe der Daten sehen auch die Facebook-Kontakte, ob man vorbildlich entsorgt hat oder nicht. Auf diese Weise soll beim Benutzer selbst das Bewusstsein für ein recycling-orientiertes Müll-Verhalten geweckt werden, und der soziale Druck im sozialen Netzwerk soll auch zum Wohlverhalten motivieren. „Natürlich gibt es da ein ‚Schande-über-Dich‘-Element in dem Experiment, aber insgesamt soll es mehr auf eine unterhaltsame als beschuldigende Art Bewusstsein für die richtige Mülltrennung wecken“, beschwichtigte die Projektleiterin Anja Thieme gegenüber der Zeitschrift „Elektronik Praxis“.

Nun ist das Beispiel BinCam schon zwei Jahre alt, und im Elektrogeschäft meines Vertrauens ist der Mülleimer mit Prangerfunktion noch nicht im Angebot. Aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein, denn smarte Apps und intelligentere Gerätschaften sind auf dem Vormarsch. Futurologen und Technik-Enthusiasten schwärmen schon von einer neuen Dimension der Mensch-Computer-Interaktion, von einer Zukunft, in der wir uns mit unseren Computern unterhalten, sie uns immer besser kennenlernen und darauf basierende Vorschläge unterbreiten, etliche unserer Alltagsprobleme lösen und auch Arbeiten im Haushalt für uns übernehmen.

Das hört sich doch gut an, und was spräche denn gegen Regenschirme, die wissen, dass oder wann genau es regnen wird – oder gegen Schuhe, die das Laufverhalten protokollieren und vielleicht sogar Vorschläge parat haben, wie sich das Training noch optimieren ließe? Was soll schon schlimm sein an smarten Uhren, die pulsieren, wenn ihr Träger eine neue Nachricht auf Facebook erhält, an smarten Waagen, die mein Gewicht auf Facebook teilen, um with a little help from my friends meinen Abnehmwillen zu stärken? Was soll es schon schaden, dem inneren Schweinehund mit ein bisschen externem Druck von außerhalb zusätzlich Beine zu machen?

Im jetzigen Stadium eigentlich recht wenig. Doch für den notorischen Netz-Skeptiker Evgeny Morozov weisen viele der smarten Technologien (und die Ideologie dahinter) in eine Richtung, „die durchaus verstört“. Die Vordenker des Silicon Valleys sähen in der Technik nicht mehr nur Produktchancen, sondern auch das Potenzial, Menschen zu erwünschterem Verhalten zu erziehen – sei es mit Stupsen oder mit Schieben. Es gehe dabei um nichts Geringeres als Gesellschaftsveränderung – getarnt im Gewand der Produktinnovation. Wenn wir uns immer mehr auf diese digitalen Helferlein verlassen und uns abhängig machen von den positiven Rückmeldungen für Wohlverhalten, geht es uns womöglich irgendwann wie dem Zauberlehrling, der nicht weiß, wie er die dienstbaren Geister, die er rief, wieder loswerden soll. „Smarte Gabeln informieren uns, dass wir zu schnell essen. Smarte Zahnbürsten drängen uns dazu, länger zu putzen. Smarte Sensoren in unseren Autos können uns sagen, wenn wir zu schnell fahren oder zu plötzlich bremsen“, schreibt Morozov. Doch auf lange Sicht gefährdeten smarte Technologien unsere Autonomie, indem sie Verhaltensweisen unterdrücken, die irgendwer irgendwo für nicht wünschenswert erachtet.

Mike Elgan geht auf computerworld.com noch einen Schritt weiter und fragt sich, ob all die smarter werdenden Gerätschaften nicht auf Kosten unserer eigenen Intelligenz als Nutzer gehen. Nun ist Intelligenz nicht unbedingt ein Nullsummenspiel, und entsprechend steht Verblödung auch nicht sonderlich weit oben auf der Liste der Dinge, die mir in diesem Zusammenhang Sorge machen. Das überlasse ich lieber einem Manfred Spitzer.  Aber die Frage, ob wir uns tatsächlich einen Gefallen damit tun, unser Tun und Lassen zunehmend von extern programmierten Geräteintelligenzen (und womöglich auch von der mit uns vernetzten Crowd) bestimmen zu lassen, hat ihre Berechtigung. Es muss ja nicht so brachial ablaufen wie in George  Orwells „1984“, wo der Protagonist eines Morgens beim Frühsport von einer Stimme aus dem Televisor angeblafft wird: „Smith! 6079 Smith W.! Ja, Sie meine ich. Tiefer bücken, wenn ich bitten darf. Sie bringen mehr fertig als das, was Sie da zeigen.“

Der Druck vom digitalen Drill-Instructor funktioniert subtiler: Vorige Woche telefonierte ich mit einem Bekannten, der mir lang und breit schilderte, wie hilfreich es doch sei, dass man mit Hilfe von schlauen Apps sowohl bei der Nahrungsaufnahme als auch beim Abstrampeln von Kalorien via Laufen und Radfahren immer ganz penibel die Folgen seines Tuns quantifizieren könne. So berechne er, bevor zur Schokolade greife, für wie viele Rippen er wie weit radfahren müsse bei ausgeglichener Brennstoffbilanz, und so setze er sich immer erst zum Strampeln aufs heimische Ergometer, bevor er sich anschließend mit seinen genau abgezählten Schokoladestückchen belohne.  Seit er konsequent seine Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten messe, habe er schon zehn Kilo abgenommen.

Kann man ja alles machen. Sogenanntes Self-Measurement liegt voll im Trend. Aber mir wäre doch unwohl, wenn all die smarten Apps und Apparate ständig nach Hause telefonierten, um meine Daten in den großen Pool einzuspeisen. Die Erfahrung lehrt, dass personenbezogene Daten nicht unbedingt immer nur zu unserer Beglückung verwendet werden. Man fragt sich auch, wovon Tüftler, die tagsüber Sachen wie die BinCam entwickeln, nachts träumen. Vielleicht von Toiletten, in denen man sich vor dem Betreten persönlich identifizieren und anmelden muss und wo man einen leichten Elektroschock versetzt bekommt, wenn man nach einem kleinen Geschäft die Spültaste für das große Geschäft betätigt, anstatt die Sparfunktion zu nutzen. Oder wie es Kommentator zu dem Bericht über den Recycling-Wahn in Newcastle formulierte: Next they will have you picking the corn out of your stool before you flush.