Man muss das verstehen, hört man als Vertreter der Onlinezunft oft von Printkollegen. Natürlich sei das Leistungsschutzrecht kein allzu gelungenes Gesetz, aber bei allen Makeln erlaube es doch, in diesen schwierigen Zeiten Google als Beitragszahler für den Umbruch heranzuziehen. Gelinge das nicht, würde man noch mehr leiden, und man sollte doch als Onliner auch bitte daran denken, dass auf diese Art und Weise Arbeitsplätze gerettet und Existenzen gesichert werden. So in der Art tönten auch die Lobbyisten des Springerkonzerns, die sich zu Klassenclownssprechern der Medienzunft aufgeschwungen haben, so ging es in die Köpfe der Politiker, die ahnten, dass bedrohte Journalisten nicht nett schreiben. Und wie das wirkt, sah man diese Woche: Die in NRW regierende SPD öffnete zusammen mit den Hamburger Genossen durch Stimmenthaltung dem Leistungsschutzrecht im Bundesrat die Türen, und fiel anderen sozialdemokratischen Landesregierungen damit in den Rücken, die das Gesetz stoppen wollten.
Und im Land der Frau Kraft wiederum gibt der WAZ-Konzern den publizistischen Ton an, und legte ungeachtet der Hilfe der Regierung die Axt an 200 Stellen. Die WAZ hat neue Eigner, die Kosten für die Übernahme waren hoch, man hat noch eine gescheiterte Dachmarkenstrategie namens „Der Westen“ in den Knochen, und trotzdem muss die Rendite stimmen. Den Betroffenen bleibt vielleicht der Trost, dass bei einer Beteiligung von Google die Abfindung nicht ganz so mickrig ausfallen muss. Und der SPD-Spitzenkandidat Steinbrück stellt sich nun hin und verspricht, man werde das Gesetz gleich wieder kassieren, wenn man an der Macht sei, und durch ein besseres Gesetz ersetzen: Wählt uns, und wir machen es anders. Aber wie genau, sagt er auch nicht. Der Verdacht, dass hier jemand vor der Wahl Forderungen stellt, die nach der Wahl vom Juniorpartner einer grossen Koalition als Verhandlungsmasse eingebracht werden, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, und so waren die Reaktionen aus dem Netz eher wenig erbaut.
Oder anders gesagt: Die alte Tante machte ihrem Ruf als Verräterpartei in den Augen vieler, darunter auch treuer Anhänger alle Ehre. Jetzt ist das Erstaunen gross, die SPD war zu den Medien so nett, und bekommen noch nicht mal nette Presse dafür. Dabei ist die SPD Wiederholungstäterin: Früher hat sie sich schon für Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung hergegeben. Böse Witze machten schnell die Runde; der Steinbrück bereite damit schon mal seine nächste Karriere als bezahlter Redner bei Verlagen vor, wenn es nach der Wahl wieder nicht für einen Sparkassendirektorenposten reiche. Und es gab auch Überlegungen, dass an der Dreistigkeit, mit der aktuell im Bereich von Internet und Datenschutz Gesetze gemacht werden, auch die Piraten und ihr Versagen schuld seien.
Denn nach dem dramatischen Absturz der Hoffnungsträger des Jahres 2012 von 13 auf 2 bis 3 Prozent in diesem Jahr gibt es keinen besonderen Grund mehr, die Partei und ihre Anliegen allzu ernst zu nehmen. Die Piraten haben begonnen, gerade unter Johannes Ponader andere Schwerpunkte als Datenschutz und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter zu setzen: Das bedingungslose Grundeinkommen für Johannes Ponader und seine privaten Konflikte mit Arbeitsagentur und dem Parteivorstand, die Medienauftritte von Johannes Ponader, die Befindlichkeiten und der Abiturschnitt von Johannes Ponader, die abweichende Meinung von Johannes Ponader, die Buchpromotion für Julia Schramm, das generische Femininum für Berliner Netzfeministinnen, innerparteiliche Grabenkämpfe, bizarre Persönlichkeiten, Gewalt, Prozesse und Abmahnungen, absurdes Finanzgebahren und jede Menge Trittbrettfahrer mit derbsten Wortmeldungen, die in normalen Parteien nicht die Basis wären, sondern gnadenlos ausgegrenzt. Die Piraten wandelten sich damit von Politik2.0 zur Schillpartei des Internets. Wir können machen, was wir wollen, wir kommen rein, sagte Ponader mit Blick auf die Bundestagswahl, und tat, was er wollte.
Bei der SPD heisst das übersetzt „mehr Beinfreiheit“. Kein politischer Gegner hat zu diesem Debakel der Piraten beigetragen, das war alles selbst gemacht. Immerhin haben es die Piraten geschafft, Ponader endlich über die Planke gehen zu lassen, und mit ihm dürften auch die linksutopistischen Gesellschaftskünstlereien wieder in den Hintergrund treten – der SPD dagegen sollte Steinbrück bis zur Wahl erhalten bleiben. Und überall in den Bundesländern ist es den Piraten gelungen, vergleichsweise bodenständige und inhaltlich eher traditionelle Mitglieder für die aussichtsreichen Listenplätze der aussichtslosen Bundestagswahl zu nominieren. Noch nicht einmal in Berlin, dem Landesverband mit dem grössten Freak- und Popcornpotenzial, haben sich die notorischen Querschläger der Sorte durchsetzen können, wie sie im Abgeordnetenhaus anzutreffen sind.
Zwischen dem, was viele gerne hätten – eine effektive Bürgerrechtspartei des digitalen Zeitalters – und dem, was ist – ein zerzauster Haufen, der sich gerade vom schlimmsten Hass und Streit dekontaminiert – sind immer noch gewaltige Unterschiede, aber sie sind auch nicht grösser als zwischen Ankündigungen und Taten bei den den Sozialdemokraten, und sie sind auch nicht hilfloser als das Gestotter der von ihrem „Partner“ überfahrenen Grünen. Die Piraten sind unendlich fern der Erfolge der italienischen 5 Stelle, weil sie nicht mehr wie eine ernstzunehmende und notwendige Alternative zum Politikbetrieb aussehen. Aber immerhin nicken sie das Leistungsschutzrecht nicht ab. Und mit dem Abgang von Ponader entfällt sicher für den ein oder anderen Wähler das Gefühl, dass man „alles nur nicht so einen“ in der politischen Verantwortung sehen möchte. Mit etwas Glück könnte jetzt das „geht gar nicht“-Gefühl der Kernwählergruppe von den Piraten auf die Sozialdemokraten übergegangen sein. Damit wären die Aufabsteiger zwar immer noch nicht Politik2.0, sondern allenfalls ein Denkzettel für die noch schlimmeren Anderen. Es wäre angesichts der verheerenden Leistung sicher ein zu grosser Gunstbeweis. Das einzige, was für die Piraten spricht, ist die Beinfreiheit führender SPDler, die man im Internet auf dem verlängerten Rücken zu spüren bekommt: Was die WAZ mit ihren 200 Mitarbeitern macht, tut die SPD zusammen mit CDU und FDP mit denen, die ein freies Netz ohne das Risiko haben möchten, wegen ein paar Wörter abgemahnt zu werden.
Natürlich sind da immer noch genug Unwägbarkeiten. Um Ponaders Nachfolge bewerben sich auch einige, die seine Sandalenstapfen ausfüllen könnten. Es gibt immer noch genug Quertreiber und Selbstdarsteller und einen schweren Konflikt um die Struktur der Partei, und unsäglichen Hass auf alle, die Verantwortung übernehmen. Die Partei als solche ist unwählbar, aber gewählt werden auch Kandidaten, und von denen hängt es ab, was in die Öffentlichkeit gelangt. Und ob die Partei wenigstens wieder als Drohkulisse für die restliche politische Landschaft herhalten kann. Das ist zynisch und opportunistisch, wie Politik nun mal so ist. Aber es könnte den Piraten die letzte Chance bieten, doch noch die Kurve zu kriegen.
Man kann so übrigens nicht nur Politik machen, sondern auch Medien im Internet: Das kleinste Übel sein und hoffen, dass bei der Durchsetzung des Leistungsschutzrechts andere die ersten grossen Fehler machen. Die Geschichte der Piraten ist eine des verspielten Vertrauens und der ruinierten Kundenbeziehungen, weil man sich nicht an dem orientierte, was sinnvoll gewesen wäre, sondern sich alles genehmigte, was man meinte haben zu können. Es wird interessant sein zu sehen, ob sich die Verlage besser im Griff haben. Und sich beherrschen können. So wie ich. Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich in diesem Beitrag alles gestrichen oder erst gar nicht geschrieben habe, über diese 30 digitalen Kohlesilberpfennige, die unser Lohn sein werden, dass wir uns selbst so richtig ins Knie genagelt haben dieses Leistungsschutzrecht.
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