Einleitung: Auch dieses Blog hat einen Vorsatz für das neue Jahr: Junge Autoren schreiben lassen. Isabell Prophet ist ein zentralniedersächsisches Kleinstadtkind, das sich in Hamburg verirrt hat. Das ist aber in Ordnung, denn sie haben dort WLAN und eine Nannenschule, die sie besucht hat. Studiert hat sie davor VWL, Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsgeschichte, und beschäftigt sich gern mit Zahlen, Studien und was man uns sonst noch aus mehr oder weniger niedrigen Motiven als wissenschaftlich erwiesen nahe bringen möchte.
Neues Jahr, neues Ich: Das und nicht weniger verspricht mir heute Apples App-Store. Mein etwas derangiertes Ich, noch reichlich verschlafen von der Silvesternacht, protestiert spontan: Es will lieber nicht ersetzt werden.
Und obwohl es irgendwie keiner mehr hören kann oder lesen will: Vorsätze für das neue Jahr werden wie Böller und Raketen beworben. Alle Medien tun es. Aber eigene Vorsätze? Ich weiß wirklich nicht, wann ich zuletzt welche hatte. Wahrscheinlich hatte ich vor Jahren irgendwann mal vor, weniger zu rauchen. Hat nicht funktioniert. Am Ende siegte aber die Angst vor Falten über meine Hassliebe zur Zigarette.
Apple verkauft mit den gutgemeinten Vorsätzen Apps und bietet mir gleich die Generalüberholung an, komplett mit Yoga, Finanzplanung, Einschlafübungen, Sieben-Minuten-Training, Gehirnjogging, Sprachtrainern, ToDo-Listen und Zeitmanagement. Wenn ich alles runterlade, dann brauche ich mir künftig weder über meine Finanzplanung noch mein Zeitmanagement Gedanken machen: Ich werde pleite sein und meine Tage ausschließlich mit dem iPad verbringen.
Erste Erkenntnis: Diese Apps kosten ein Schweinegeld. Die teuerste gibt es für 26,99 Euro, dafür zerhackt sie jeden Tag in kleine Stückchen; fürs Lesen, Musikhören und andere Hobbys gibt es Erfolgsmesser. Ein Kommentator empfiehlt, vorher am Besten das Begleitbuch zu lesen. Ich habe ein bisschen Angst vor dieser App.
Zweite Erkenntnis: Die Strategie mit den guten Vorsätzen schlägt jedenfalls nicht den Markt. In den Verkaufsranglisten dominieren klassische Büro-Apps, offenbar will der Durchschnittskunde doch lieber an seiner Arbeit arbeiten, als an sich selbst. Wer als Programmierer Geld verdienen will, entwickelt ein Spiel und verkauft virtuelle Schwerter. Von den Apps zur Selbstoptimierung, auf der Startseite noch groß beworben: keine Spur. Bei Android: das gleiche Bild.
Gibt es diese Vorsätze also vielleicht gar nicht? An den Statistiken können wir es nicht ablesen. Eigentlich müsste gefragt werden: „Haben Sie Vorsätze für das neue Jahr?“ Und ergänzend: „Hatten Sie schon Vorsätze für das neue Jahr, bevor Sie danach gefragt wurden? Hätten Sie Vorsätze, wenn Sie nicht das Gefühl hätten, ohne Vorsätze sind Sie der hinterletzte Vollversager?“
Fragt aber keiner. Dann wäre nämlich die Nachricht kaputt, die Geschichte, die Marketing-Kampagne. Und irgendwie haben wir uns daran gewöhnt, dass alle irgendwelche Vorsätze haben. Apple geht einfach mal davon aus. Wenn der Verkäufer lange genug daran glaubt, dann hält sich der Kunde ja vielleicht irgendwann daran.
Sie müssen nur richtig fragen. Wenn das Forsa-Institut im Auftrag der Krankenkasse DAK fragt, dann wollen 60 Prozent ihren Stress loswerden, 55 Prozent wollen mehr Zeit für Familie, Freunde und Sport, 48 Prozent hätten gern öfter mal Zeit für sich. Im Vorjahr soll sogar jeder Zweite es geschafft haben, seine Vorsätze mindestens vier Monate lang durch zu halten. Wahrscheinlich, weil alles relativ ist. Oder: Nach Weihnachten kann es halt nur besser werden. Wer unter 30 ist, der will im kommenden Jahr öfter mal das Internet abschalten. Dafür gibt es übrigens auch eine App.
Das Statistische Bundesamt wagt sich nicht wirklich an die Vorsätze heran. Irgendwas mit Abnehmen und Rauchen wird es wohl sein, davon geht man auch in der Bundesoberbehörde aus. Klar, geht immer. Schließlich raucht fast jeder dritte Mann und jede fünfte Frau.
Fragt das Marktforschungsinstitut Fittkau & Maaß im Auftrag der Dating-Seite Elitepartner, dann planen die Menschen mehr Zeit für sich (40 Prozent), der Körper soll schöner werden (38 Prozent) und sie wollen etwas von der Welt sehen (33 Prozent).
Das klingt alles nur auf den ersten Blick gut. Ich fühle mich jetzt schon unter Druck gesetzt. Muss ich auch abnehmen? Reisen? Mehr Zeit für mich haben? Und für meine Familie? Freunde? Und für Sport?
Anders herum: Wenn niemand mehr nach Vorsätzen fragt, werden wir dann im kommenden Jahr alle weniger besser?
Wagen wir ein Gedankenexperiment und stellen uns vor, der große Tag wäre im Sommer. 1. Juli, es ist heiß, wir liegen nach dem Feierabend alle mit Familie und Freunden am Stadtstrand und sehen super aus, Appetit haben wir wegen der Hitze eh nicht und die Tage sind scheinbar endlos. Nun verraten Sie mir bitte Ihre Vorsätze.
Genau.
Nun ist es aber Winter, es ist kalt, wir sind blass, wir haben fünf Wochen Schokolade, Glühwein, Gans und Schmalzkuchen hinter sich. Haben Sie Hunger? Trinken wir ein Glas Wein zusammen? Und gab es die Jeans eigentlich auch in Ihrer Größe? Da haben wir also unsere Vorsätze. Wenn Sie etwas ändern wollen, fördern Sie mit dem Aktivismus die Erderwärmung. Oder nehmen Sie den Dezember weniger schwer. Vielleicht sollte jemand erforschen, ob es in wärmeren Ländern weniger Vorsatz-Gerede gibt.
„Silvester ist aus dem Universum betrachtet ein Tag wie jeder andere“, sagt meine Freundin Anja dazu. „Also kann man sich auch am 17. März neue Vorsätze vornehmen. Der ist nämlich vom Universum aus betrachtet auch ein Tag wie jeder andere. Aber da Menschen sich oft so furchtbar alleine im Universum fühlen, müssen sie sich irgendwo festklammern. Zum Beispiel an Rituale. Silvester ist ein Ritual. Gute Vorsätze auch. Sie am 2. Januar wieder vergessen zu haben, auch. Und 364 Tage später klammern wir uns wieder daran. Das gibt der Menschheit Halt. Wie schön.”
Ehrlich gesagt hat es mir noch nie Halt gegeben, mir etwas vorzunehmen und es dann nicht durchzuziehen. Dazu kommen die Leute der Kategorie: „Wenn ich was sage, dann mache ich es auch.“ Wer bitte zieht alles durch, was er sagt?
Aber das ist ein anderes Thema. Zurück zu den Vorsätzen. In meinen Augen: eine Marketing-Strategie, ähnlich wie der Valentinstag. Geschaffen, uns nach dem Notto “Du bist ziellos! Alle außer dir haben einen Plan“ unter Druck zu setzen.
Und es funktioniert. Der Selbsthass der Menschen ist ein fantastischer Markt. Die Weight Watchers sollen große Teile ihres Werbebudgets in den ersten Wochen des Jahres ausgeben, so besagt es eine sehr haltbare Internet-Legende. Regelmäßig macht der Konzern im ersten Quartal den größten Umsatz.
Sollten Sie sich jetzt vor laute Vorsatzgerede ausversehen vorgenommen haben, im neuen Jahr weniger zu trinken: Gute Idee, bisschen spät. An Neujahr vergessen sich überdurchschnittlich viele Autofahrer, hat das Statistische Bundesamt gezählt. Immerhin: Es werden vergleichsweise wenige Menschen verletzt. Härteste Tage des Jahres sind der Vatertag, der Tage der Arbeit und der Tag der Deutschen Einheit. Irgendwas müssen diese Tage an sich haben, das der gemeine Trinker lieber vergessen will.
Es war eigentlich gar nicht so gemeint, aber irgendwie scheinen Männer die Vorsätze ja tendenziell nötiger zu haben, als Frauen. Am dringendsten braucht sie aber doch die Werbeindustrie. In diesem Sinne: Haben sie ein frohes neues Jahr, liebe frohe neue Leser. Bleiben Sie gern, wie Sie sind.