Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Warum ich für Schiedsgerichte im Freihandelsabkommen bin

Ich war einer der ersten deutschen Nutzer von Napster. Ich machte damals Radio; ein Bekannter war im Winter des Jahres 2000 in den USA und schickte mir den Link. Ich müsste das unbedingt ausprobieren, das sei genial. Nie mehr in den Sender fahren, um CDs herauszusuchen, nie mehr in Kisten wühlen und feststellen, dass das gewünschte Material nicht da ist – das war in den Zeiten vor der Totaldigitalisierung, das Nachtprogramm wurde mit einem riesigen CD-Wechsler gestaltet, Brenner waren fast unerschwinglich und wer dann eine CD mitnahm, musste sie daheim mühsam als .wav-Datei extrahieren und damit die 9-GB-Festplatte beim Bauen der Beiträge schwer belasten. Bei Napster gab man den Titel ein und hatte, was man brauchte, auf dem Rechner. Das war grossartig.

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So grossartig, dass wir darüber Sendungen machten und dazu auf der Webseite des Senders eine kommentierbare, einheitlich gestaltete Kolumne hatten, die man heute als Blog bezeichnen würde – zum Umbruch auf dem Musikmarkt, über das Glück der Nutzer und ob es da eine gemeinsame, gute Zukunft geben könnte. Wie die meisten wissen werden, sollte es zu dieser Zukunft nicht kommen, Napster wurde verklagt, von Bertelsmann übernommen, und man wanderte weiter zu Kazaa, eDonkey oder Bittorrent. Wer sich dumm anstellte, wurde mit Abmahnungen überzogen und ansonsten musste man eben argumentieren, wie man das mit der fairen Nutzung unter einen Hut bringen wollte.

Ich bin aus eigener Erfahrung und durch den Umgang mit klassischer Musik sehr wohl der Meinung, dass solche Dienste insgesamt der Musikindustrie, oder wie sie im Internet bekannt ist, der Content-Mafia helfen. Meine Interpreten haben gar nichts gegen bei Youtube hochgeladene Videos und Audiodateien einzelner Sätze. In meinem Metier ist das eine Art, Präsenz zu zeigen, und wenn ich jemanden von der Qualität meiner bevorzugten Sängerin Roberta Invernizzi überzeugen will, ohne die CDs weiterreichen zu können, verlinke ich das hier. Die Leute kaufen dann schon. Der Bereich der Klassik ist voll von generösen, älteren Menschen, die genau wissen, dass ihre Tonmöbel von Audiodata und Duevel zum Preis eines Kleinwagens nicht mit billigem Stoff aus dem Internet befüllt werden wollen. Wer für einen guten Platz in der Oper mehr als hundert Euro bezahlt, hat auch einen Mahagonischrank für CDs in hochwertiger Aufmachung. Die Argumentation in meinem Bereich lautet seit weit über zehn Jahren: Gebt uns etwas zum hören, stört Euch nicht, wenn wir mal eine Datei verlinken, und wir sind dankbar und kaufen. Tatsächlich gibt es im Klassikbereich auch keine Debatten um Digital Right Management, Kopierschutz und Abmahnungen.

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Insofern finde ich Einlassungen wie “hätte die scheiß polizei bloß bescheid gesagt, bevor sie piratebay runtergenommen hat, hätte ich mich noch mit serien eindecken können“ nicht hilfreich, um nicht zu sagen, zum Kotz. Getätigt wird sie von einem sog. Internetaktivisten, dem sie angesichts seines sonstigen Schaffens mit offen zur Schau getragenen Ablehnung geregelter Arbeit und Vorliebe für ein bedingungsloses Grundeinkommen durchaus zuzutrauen ist. Für alle, die an einem vernünftigen Ausgleich Interesse haben, ist das ein Schlag ins Gesicht: Es geht allein um die mit Serien gefüllte Festplatte, es geht weder um die rechtliche Problematik, noch um das Schicksal der Plattform Piratebay und ihrer Gründer. Und schon gar nicht um die amerikanischen Bezahlsender, die diese von ihm bevorzugten Serien produzieren. Es ist die Sorte Downloader, die keine Lobbyarbeit der Rechteinhaber für ihre Propaganda besser erfinden könnte: Es geht nicht um das Teilen oder die faire Benutzung, sondern einfach um die eigenen Interessen. Gesucht wird kein Dialog oder gar gesellschaftlicher Konsens, sondern die nächste Möglichkeit, das Material zu beschaffen.

Es geht darum, herauszuholen, was möglich ist, und zwar ohne Belästigung durch die Regeln der Gemeinschaft. Wenn einer dann wegen Urheberrechtsverletzungen den Job verliert oder haftbar gemacht wird, mag das für ihn unerfreulich sein – aber der Rest der Gesellschaft besteht nun mal aus denen, die zahlen, Leistungen erbringen und wissen, dass mit dieser Haltung der Gesellschaft kein Dienst erwiesen wird. „Ich will das bequem einmal anhören können, um mich zu informieren und den Erwerb zu überlegen“ könnte gesellschaftlich akzeptabel sein. “Ich will alles jetzt sofort und umsonst und der Rest ist mir egal“ ist dagegen nicht mehrheitsfähig,

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Und deshalb finde ich die Schiedsgerichte im Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP auch so toll. Dieser einklagbare Investitionsschutz vor Gerichten, die allein durch Absprachen zwischen von Lobbyisten schwer beeinflussten Staaten und undemokratischen Kommissionen ins Leben gerufen werden sollen, ohne dass die Öffentlichkeit informiert wird. Diese pseudojuristischen Plattformen, zu denen niemals ein Bürger befragt wurde, über die wir nicht entscheiden können, die dem Volk hier unter der Ägide einer skandalösen Figur reingedrückt werden, mit Hilfe von Politikern und Funktionären, die später gern auf lukrative Posten in der Wirtschaft wechseln. Ich mache keinen Hehl daraus, diese Gerichte sind meines Erachtens das “Ich will alles jetzt sofort und umsonst und der Rest ist mir egal“ von Wirtschaft und einer Politik, der man nach dem Atomausstieg und der möglichen politischen Klagebeihilfe alles zutrauen sollte. Ich finde es grandios, dass die Schiedsgerichte beim TTIP geplant sind.

Denn wenn das TTIP einfach so käme und die sehr weitreichenden Rechte der amerikanischen Content Mafia schützen würden, wie das bei ACTA geplant war, würde sich kaum jemand darüber aufregen, ähnlich wie bei Einschnitten beim Datenschutz und der Netzneutralität. Das würde einfach so durchrutschen, wenn man den Verbrauchern nur verspricht, dass Chlorhühner gekennzeichnet werden müssen. Es gibt viele ähnliche, kleine Punkte bei diesem Abkommen, die immer nur kleine Bereiche betreffen, die alle keine laute Stimme und effektive Lobby haben. Die Internetnutzer sind da, nach dem von Personen wie dem Downloadfreund mitbefeuerten Niedergang der Piratenpartei, mit die schwächste aller schwachen Gruppen. Aber bei den Schiedsgerichten geht es um Konflikte zwischen Firmen und ihren Eigeninteressen und ganzen Staaten, die in Streitfällen traditionell miserabel vertreten werden – Eurofighter. Eurohawk, LKW-Maut und Bankster, die Banken in den Ruin führen und dennoch auf Gehälter und Boni klagen, lassen grüssen. Das spürt jeder. Da geht es gegen alle, gegen die Finanzierung des Kindergartens, um die Steuerlast, um Folgen, die nicht abschätzbar sind. Natürlich auch um Folgen beim Urheberrecht und seiner liberalen Auslegung. Wie wenig zimperlich das Konglomerat von USA und Unterhaltungsindustrie ist, sah man bei Megaupload.

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Natürlich macht es keinen Spass, mit einer den Ausgleich suchenden Vorstellung vom Urheberrecht direkt neben einem begrenzt Einsichtigen zu stehen, der einfach nur seinen abendlichen Bodycount saugen will. Aber im Vergleich zu den Schiedsgerichten ist das ein winziges Elend. Und dieses grosse Elend muss die EU-Kommission gegen den Willen der grossen Mehrheit der Bevölkerung dieses Kontinents durchsetzen. Niemand lässt sich gern unverschämt behandeln und wehrlos ausplündern. Ich muss vermitteln, dass es leider auch mal solche Figuren gibt, aber keinen Grundrechteabbau, keine Einschnitte in die Demokratie und keine Kapitulation vor wirtschaftlichen Interessen. Wenn das TTIP scheitert, dann am Widerstand gegen die Schiedsgerichte.

Und danach sollte man nicht einfach die nächste Plattform für den Download suchen, sondern wirklich überlegen, wie ein Urheberrecht aussieht, das der Gesellschaft nutzt, die Interessen der Beteiligten berücksichtigt. Und zwar ohne den Glauben, dass der Angriff Steiner das BGE das alles schon in Ordnung bringen wird.