Das Amtsgericht Ingolstadt ist eigentlich noch ein Königlich-Bayerisches Amtsgericht. Das sieht man an der Architektur, die eher zu einem Lustschloss des Rokoko statt zu einem Gericht passt, aber das war eben auch noch die Zeit, als man Justizpaläste baute. Paläste, um dem Volk zu zeigen, dass das allgemeine Recht einen nicht minder wichtigen Platz in der Gesellschaft hat, als der Adel und wer immer sonst noch in Palästen wohnte. Ein klein wenig wohl auch, um die Grosskopferten ein wenig einzuschüchtern und festzuhalten, dass der Staat als oberste Instanz ganz oben steht, und dass sich nach der französischen Revolution doch einiges geändert hat. Ein Palast für alle. Das Recht steht über allem.
Ein schönes Amtsgericht haben wir da in unserer kleinen, dummen Stadt an der Donau, und wenn ich auf meiner Dachterrasse sitze, schaue ich hinüber auf das kupfergrüne Rokokodach und die hübschen Verzierungen. Aber trotzdem gibt es keinen Grund, sich da hinein zu wünschen, denn das Leben als Justiz ist gerade etwas unbequemer geworden – im benachbarten Neuburg, ebenfalls an der Donau, hat man nämlich einem Notarzt einen Strafbefehl über 4500 Eure und ein halbes Jahr Führerscheinentzug geschickt. Weil er ein zweijähriges Kind gerettet hat und bei der Blaulichtfahrt jemand etwas zu scharf ausweichen musste, und ihn angezeigt hat. Daher also der Strafbefehl, was ja allein schon als Wort einiges über das Verhältnis von Recht zum Bürger aussagt.
Diese Bürger jedoch sahen das nicht ein und forderten in Massen im Internet etwas, das ihnen gar nicht ansteht: Freispruch für den Notarzt. Schliesslich ist die Justiz unabhängig in ihren Entscheidungen und so kam es vermutlich eher zufällig, dass gleichzeitig der Generalstaatsanwalt in München die Akten anforderte. Mit folgendem Ergebnis für die Leute im Palast da drüben:
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt nimmt den Strafbefehlsantrag gegen einen Notarzt zurück, der sich demnächst vor dem Amtsgericht Neuburg a.d. Donau wegen eines Überholvorgangs auf dem Weg zu einem Rettungseinsatz zu verantworten gehabt hätte.
Besonders formschön ist der Zusatz, dass die Petition und das Grummeln im Netz „überhaupt keinen Einfluss auf das konkrete Ergebnis“ hatte.
Das muss man in Bayern mittlerweile dazu sagen, wo das Ansehen der Justiz in den letzten Jahren doch deutlich gelitten hat. Da war der Fall vom angeblich ermordeten und an Tiere verfütterten Bauern Rudi, der sich dann im Stausee in seinem Nercedes wiederfand. Da war der Fall Mollath. Und dann ist da noch der Fall der ehemaligen Ministerin und ihrem Mann und der Firma und dem Mörder, der die hübschen Autos baute. Das Bayerische Volk jedenfalls, so macht es den Anschein, ist gerade dabei, das Internet als Mittel zur organisierten Unmutsbekundung zu nutzen. Nicht weit weg von hier soll übrigens auch eine grosse Stromtrasse durch hübsche Dörfer laufen: Auch dieser Volksaufstand wird im Netz so hart geführt, dass der Ministerpräsident schon ein paar Kehrtwenden hinlegen musste.
Und davon schwärmte, dass er mehr Bürgerbeteiligung haben will. Das war nach der gescheiterten Olympiabewerbung für 2022 von München, die durch alle betroffenen Landkreise eine Trumm Watschn Mordsfotzn deutliche Ablehnung erhielt. Und dieses Ergebnis ist spannend gewesen, als bei der Bewerbung von München und Garmisch für die Winterspiele 2018 die Gegner 2011 bei einem Bürgerentscheid in Garmisch noch eine Niederlage kassiert hatten. Damals machte sich die Presse noch lustig über jene Bauern, die der Kern des Widerstandes waren. Zwei Jahre später waren die Bauern zurück und über alle betroffenen Landkreise hinweg erheblich besser organisiert. Und die Befürworter – schwarzer Ministerpräsident und roter Münchner Bürgermeister – waren danach schlau genug, keine verlorenen Schlachten mehr zu schlagen. Weil sie ja sonst immer sagen, dass das Volk hinter ihnen steht. Wenn es das dann nicht tut, stellen sie sich halt wieder davor und reden wie das Volk, was auch nicht schlecht ist.
Ich erzähle das nicht nur, weil gegenüber der Justizpalast steht und eine Freundin aus der Nähe von Garmisch kommt und sich nicht damit abfinden konnte, dass ihre Heimat von ihrer CSU für Olympia plattgemacht werden sollte. Ich erzähle das, weil nach dem Debakel des schöne italienische Sprichwort zog, dass die Mutter der Idio Merkbefreiten immer schwanger ist. Denn als Reaktion darauf überlegte der Bürgermeister von Berlin, ob man in seiner Pleitestadt, in der die Schulen zerfallen und der neue Flughafen modert, nicht ein paar Scheine in eine Olympiabewerbung und viele weitere Millionen in die Durchführung stecken sollte. Gedacht, getan, und um beim maulenden Volk die nötige Akzeptanz zu bekommen, gibt es dafür auch viele, liebe, nette, lustige Internetaktivitäten, die auch mir alle paar Tage vor die Nase geschwemmt werden. Den Gegnern auf ihre Spielwiese nachkriechen, sie dort für sich einnehmen und begeistern – man könnte fast meinen, die Berliner hätten etwas aus dem Top-Down-Debakel der Bayern gelernt.
Bis der Berliner Senat dann das Blog Metronaut abgemahnt hat – für eine Satitre, die die neue Bewerbung in die Tradition der Naziolympiade in Berlin stellte. Also. Ich mein, wenn ich schon der Senat der ehemaligen Welthauptstadt Germania bin und im letzten Jahrhundert drei totalitäre Regime beheimatet habe, die ebenfalls keinen Spass mit Kritik verstanden – dann würde ich es mir eigentlich gut überlegen, ob ich da gleich meine Anwälte zurückschiessen lasse, und ob mit so einem Angriff Steiner alles in Ordnung geht. Man kann den Humor von Metronaut billig oder daneben finden, aber so, wie sich die Geschichte gerade darstellt, ist die Aussenwirkung nicht eben günstig. Zumal, wenn der Fall dann solche Wellen schlägt. Ein paar hundert Leute hätten bis zur Abmahnung gekichert, der Rest der Nation hätte es gar nicht mitbekommen. Jetzt aber kann man froh sein, in Bayern zu leben – hier wurden die geplanten Olympia-Baumassnahmen mit den Enteignungen der Nazis am Obersalzberg verglichen, ohne dass jemand die Anwälte losgeschickt hat. Möglicherweise würden Gerichte befinden, dass Metronaut zu weit ging. Aber die Botschaft an das Netz ist nicht, dass da die netten Bewerber lustige Plakate durch aktive Bürgerbeteiligung wollen. Wer falsch lacht, kriegt in Berlin eine Abmahnung – so kommt das hier an und ich bezweifle, dass es die Form von Publicity ist, die eine Willkommenskultur für Olympia in Berlin fördert. Zumal noch vor einem Jahr in unseren Medien breit darüber berichtet wird, wie in Putins Reich Kriik an den stalinistisch anmutenden Winterspielen in Sotschi niedergeschlagen wurde,.
Berlin ist dann doch noch nicht Moskau, und nach einer massiven Empörungswelle im Netz hat sich Metronaut jetzt doch wieder entschieden, die Motive online zu stellen und keine Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Natürlich kann jetzt gegen Metronaut – und deren vielfältige und erboste Spender und Unterstüzer – geklagt werden, und möglicherweise entscheiden die Richter auch zugunsten der Abmahnenden und der Organisationen, die von ihren letzten Veranstaltungen in Sotschi und China ganz andere Rechtssysteme und deren Beihilfe gewohnt sind.
Die Bayerische Erfahrung jedoch könnte eventuell lehren, dass der Gewinn eines Prozesses wenig ist gegen den Zorn, den das beim Volk auslöst. Besonders, wenn das Volk mit dem Netz umgehen kann. Ich muss damit leben, dass die Republik nun über die Tätigkeit des hiesigen, wirklich hübschen Gerichts empört ist, aber wenigstens haben wir einen Generalstaatsanwalt, der da nichts anbrennen lässt. Der Berliner denken, dass eine Abmahnung ihren Zielen förderlich ist. Es steht zu befürchten, dass damit das Thema wohl noch länger Aufmerksamkeit finden wird, gegen die kein gesponsorter Tweet, keine Freundschaft bei Facebook und kein hochbezahlter Kampagnenmanager etwas wird ausrichten können. Niemand im Netz mag Abmahner, egal ob Red Tube oder Rotes Rathaus. Schon komisch, dass ein Bayerischer Generalstaatsanwalt so etwas verstehen kann, und in Berlin betteln sie um eine Niederlage beim eigenen Volk, schlimmer als alles, was die CSU im Oberland bei uns daheim kassierte.