Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Metternich wäre stolz auf dieses Netz

Nehmen wir einmal diese Aussage als Beispiel:

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Zusammengebunden und draussen wie Müll, so mag Jessica Valenti ihre Männer.

Ist das Satire, eine Aussage zu Vorlieben, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, oder eine menschenverachtende Aufstachelung zum Hass? Es gibt verschiedene Sichtweisen dazu. Es kann Satire sein, die sich auf die Vorstellung von Sheryl Sandberg bezieht, Männer hätten grosse Vorteile, wenn die in der Familie besser mit den Frauen zusammenspielten – für die Hardcorefeministin Valenti ein viel zu netter Ansatz. Es kann auch sein, dass es vor diesem Hintergrund mehr als nur ein Gran Wahrheit enthält. Oder es kann auch eine grob abwertende Bemerkung sein, die Menschen mit Müll vergleicht. Wie auch immer, der Text kam gut an, und darunter überboten sich ihre Anhängerinnen in ähnlichen Vergleichen.

Passiert ist Valenti deshalb nichts. Als Kommentatorin für Genderfragen darf sie weiterhin auf der Website des Guardian Stellung beziehen und die Lage der Frau beklagen.

Noch.

Das könnte sich aber schnell ändern, denn Twitter plant einschneidende Regeländerungen. In Zukunft soll es nicht nur leichter sein, Verstösse zu melden, sondern auch gleich juristisch verfolgen zu lassen: Twitter spuckt eine Zusammenfassung aus, die man dann nur noch an die Behörden übermitteln muss. Ganz leicht soll das werden und die Nutzer zivilisieren: Die Anzeige ist immer nur einen Klick entfernt und, den richtigen Ermittler vorausgesetzt, möglicherweise auf Dauer kein Spasss für Valenti und ihre über 88.000 Follower, die sich von solchen Aussagen unterhalten lassen. Für die Masochisten unter der Leserschaft hier ein weiterer Debattenbeitrag zur Frage, ob sich ein Mann zum Sex schrubben kann.

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Die Behörden werden sich sicher freuen, wenn jetzt jeder Konflikt bei ihnen auf dem Schreibtisch landet – sie haben auch nichts Besseres zu tun, als zu überprüfen, was jetzt Scherz, sexueller Übergriff oder brutale Traumatisierung eines Opfers war. Twitter ist grosszügig genug, das komplexe Problem der Abwägung in die Hände von empörungssüchtigen Nutzern und staatlich finanzierten Angestellten zu legen, statt selbst eine Lösung für das Problem zu finden, dass dort auch Stars und Wortführer über die Stränge schlagen. Aufmerksamkeit ist die Währung bei Twitter, und Überschreitungen aller zivilisierten Formen sind an der Tagesordnung.

Das Problem wird sich früher oder später auch in Deutschland stellen, wo in sozialen Netzwerken ein nicht minder übler Ton herrscht. Aber während man in Amerika das Problem anderen aufbürdet, sind in Deutschland die Medien selbst eher unfreiwillig die Vorreiter: Der deutsche Presserat, bekannt durch Rügen und Beschwerden über journalistische Fehlleistungen, hat sich nun auch für Nutzerkommentare zuständig erklärt und Richtlinien erarbeitet, die zu befolgen sind. Das Problem landet damit auf den Schreibtischen derer, die für die Freischaltung der Kommentare zuständig sind. Bislang bestimmt jedes Medium, teilweise auch jedes Ressort oder jeder Blogger seine eigenen Regeln. Während die Zeit vergleichsweise früh regulierend eingreift, lässt die Süddeutsche Zeitung Kommentare nur noch bei bestimmten Themen zu. Bei Springermedien bin ich erstaunt, was da alles durchgeht, und bei mir verläuft es zum Glück in zivilisieren Bahnen. Aber es ist jede Menge Arbeit, die man leisten muss, um allen Beitragenden gerecht zu werden.

Ungeachtet dessen sind beide Vorgehensweisen – Presserat und Twitter – ein Paradigmenwechsel: Es wird reguliert, weil die Situation vom gewünschten Verhalten der Nutzer zur Arbeit mit problematischen Aspekten mutiert ist. Früher galt der Teilnehmer an einer Debatte als achtenswerter Zeitgenosse, der sich besonders engagiert, heute ist er unter Generalverdacht, und deshalb allgemein gültigen Regeln unterworfen. Die Frage, die sich momentan bei grenzwertigen Kommentaren stellt – lasse ich ihn drin in der Hoffnung, dass er die Debatte anregt – wird ersetzt durch ein Schema, das ich vielleicht ab und zu geschickt und auf eigenes Risiko nutzerfreundlich auslegen kann. Dabei bin ich dann gezwungen, wirklich jeden Kommentar ganz und aufmerksam zu lesen. Es geht dann nicht mehr darum, dass man einem alten Bekannten viel rausgehen lässt, sondern um jeden einzelnen Satz, um jede einzelne Behauptung. Ich müsste nachrecherchieren und bewerten und mit den Regeln vergleichen. Das mag zu meiner Wissenserweiterung beitragen, kann aber auch die Hölle sein, wie etwa bei Pegida und anderen emotionalen Themen. .Meine Prognose ist, dass man den Regeln und dem nötigen Aufwand dadurch begegnen wird, dass man wie die Süddeutsche den Aufwand lieber begrenzt, als jedem Satz hinterher zu kriechen. Wo kein Anwendungsgebiet ist, gibt es auch keine Regeln, die anzuwenden wären.

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Das hilft auch dabei, einem weiteren Komplex zu entgehen, der momentan unter dem Begriff Hate Speech Karriere macht: War vor einer Dekade noch Kinderpornographie ein beliebtes Argument für restriktive Vorhaben, ist heute der eher unbestimmte Begriff der Hassrede ein Scheinkriterium für massive Eingriffe. Vorreiter ist da Facebook, das auch seinen ganz andere Freiheiten gewohnten amerikanischen Nutzern strenge Regeln verordnet und dazu schwammig sagt:

Facebook entfernt sämtliche Hassbotschaften, d.h. Inhalte, die Personen aufgrund der folgenden Eigenschaften direkt angreifen: Rasse, Ethnizität, Nationale Herkunft, Religiöse Zugehörigkeit, Sexuelle Orientierung, Geschlecht bzw. geschlechtliche Identität oder Schwere Behinderungen oder Krankheiten.

Da täte sich natürlich schon bei amüsanten Autoren deutscher Medien wie Harald Martenstein ein weites Betätigungsfeld auf, und der Verfasser kann froh sein, dass sein Lieblingsthema „Klasse“ noch kein Kriterium ist, sonst könnte man wegen Dicta vom Reichshauptslum Berlin und Grattlern gegen die Verbreitung seiner Texte bei Facebook vorgehen. Aber schon die bestehenden Kriterien sind nachgerade eine Einladung, nur auf den richtigen Moment zu warten und dann Nutzer zu melden. Wo die Grenze zwischen Kritik, Witz, Satire und Angriff ist, wird nicht erklärt. Facebook hat da eigene Kriterien, und wer einmal schaut, was es alles an Aktionen gegen Hate Speech im Netz gibt, wird überrascht sein, wie viele publicitygeile, überempfindliche, dauerbesorgte, interessengesteuerte, grossmäulige, mit angeblichen Erfolgen protzende, steuergeldverlangende, jugendschützende Figuren es da gibt. „Hate Speech“ ist auf bestem Wege, zu einer Art doppelten Boden der allgemein gültigen Rechtslage zu werden: Man ist zwar vom Gesetz nicht zu belangen, aber irgendeine Gruppe findet sich immer, die über einen trotzdem herfallen kann.

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Mir ist das die Tage passiert, bei einem Projekt namens Publikative, das als NPD-Watchblog begann und nun seine Aktivitäten in Richtung anderer unschöner Dinge – oder was die Macher als solche empfinden – erweitert. Dort wurde ein Kommentator meines Beitrags zur Empörungswelle über Tilo Jung in der FAZ nicht nur öffentlich vorgeführt, sondern seine Kritik gleich mit Argumentationen von Rechtsaussen verglichen. Das geht ganz schnell, wird auch gern im Netz verlinkt und gelesen, auch wenn man diesen Vergleich als Verharmlosung des Rechtsextremismus auffassen könnte. Hinter Publikative steht in diesem Fall ein Journalist, der eigentlich wissen sollte, wie unpassend solche Vergleiche sind – und die Amadeu-Antonio-Stiftung von Anetta Kahane. Als dortige Fachreferentin für Hate Speech wiederum wird die Ex-Piraten-Politikerin Julia Schramm genannt, die früher solche Denkwürdigkeiten twitterte: „Sauerkraut, Kartoffelbrei – Bomber Harris, Feuer Frei.

Da gibt es also auf der einen Seite Bestrebungen, regulierend zu wirken, und auf der anderen Seite Leute, die sich mit mehr oder weniger Qualifikation dazu berufen fühlen. Verlierer ist der Nutzer, der nie weiss, welche Plattform welche Aussage wie auslegt – und ob etwas, das im Rahmen der FAZ eine legitime, nicht beanstandete Meinungsäusserung ist, eine Seite weiter durch den braunen Dreck gezogen wird. Bei diesem Spiel können Toleranz und Meinungsfreiheit, die vor allem vom Erreichen und Ausloten der Grenzen leben, eigentlich nicht gewinnen. Das Netz wird zu einer unberechenbaren Kleinstaaterei des Metternichschen Zeitalters mit Sondergesetzen und willkürlichen Zensoren, und die Unsicherheit für die Nutzer ist zumindest etwas, das achselzuckend in Kauf genommen wird, und vielleicht sogar Absicht. Facebook und Twitter wollen schliesslich keine radikalen Denker, sondern brave Kunden, die klicken, Werbung anschauen, und heimtückisch bei missliebigen Äusserungen auf den Meldeknopf drücken, um den Konzernen die Arbeit abzunehmen. Und irgendwelche Organisationen loben dann, dass das Netz dadurch sicherer, schöner, besser und sauberer wird.