Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Zensur als kleine Schwester der Lügenpresse

Ich sitze am Achensee in Tirol, über mir der blaue Himmel, begrenzt von den Bergen mit dem ersten, delikaten Schnee. Den Nebel über Deutschland habe ich hinter mir gelassen, das nasse Grau schafft es nicht über die Berge, und die Bedienung serviert einen selbst gemachten Johannisbeerkuchen, wie man ihn aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kennt: Mit viel Puderzucker. Es ist ganz hübsch hier, alles ist erleuchtet, während Deutschland vollkommen verschluckt zu sein scheint. Die Grenze, an der sich auf Wunsch, Veranlassung und Verantwortung von Angela Merkel eine humanitäre Katastrophe abspielt, Frankfurt, wo die Server der FAZ stehen und all die Häuser und Büros, aus denen Kommentare unter meinem letzten Beitrag eingehen, alles ist weit weg und unerreichbar. Es folgt ein langes, prächtiges Bild. Geniessen Sie es.

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Es geht leider nicht so schön weiter.

Denn ich habe kein mobiles Internet und hätte ich es, würde ich es nicht nutzen. Wenn ich nicht am Rechner bin, bin ich nicht am Rechner, so einfach ist das eigentlich. Aber während ich hier im Licht sitze und an ganz andere Ereignisse denke, oder auch nur daran, die Ärmel hochzukrempeln und braun zu werden, richtig braun und nicht nur so, wie es Merkels Unterstützer mitunter, jenen nachsagen, die Antifaparolen wie „Refugees welcome“ und „No borders, no Nations“ nicht nachschreien möchten, geht das Leben natürlich weiter. Menschen lesen meine Beiträge, bilden sich dazu eine Meinung und verfassen Debattenbeiträge. Das geht, weil bei mir die Kommentare offen sind. Weil ich aber nicht da bin und es auch nicht als meine Aufgabe ansehe, alle fünf Minuten freizuschalten, türmen sich am Abend 70 neue Kommentare vor mir auf, und wie immer wird auch gefragt, ob hier nun auch zensiert wird. Ob etwa die Kommentare geschlossen seien. Und ob ein Beitrag, der nicht bei den Stützen der Gesellschaft, sondern hier steht, etwa wegen einer unerwünschten politischen Linie verschwinden musste. Ich lese ziemlich viele Verschwörungstheorien über das Innenleben der Redaktionen.

Kurz, im Nebel herrscht das Misstrauen so wie die Sonne über dem Achensee. Ich kann das in gewisser Weise verstehen, weil die Debatte bei den grossen, deutschen Onlinemedien inzwischen deutlich reduziert wurde. Die FAZ lässt normalerweise beim Thema der Flüchtlingskrise keine Kommentare mehr zu. Die Prantlhausener Zeitung hat sich schon vor Monaten entschieden, Kommentare komplett abzuschaffen und stattdessen drei zu debattierende Themen vorzugeben. Die Zeit hat die Kommentare offen, geht aber mit dem Communitymanagement massiv gegen nicht erwünschte Meinungen Aussagen vor. Spiegel Online lässt nur manche Beiträge besprechen. Ich lasse die Kommentare generell offen, rede aber selbst mit, und weil ich ansprechbar bin, muss ich nur vergleichsweise wenige Kommentare löschen. Selbst bei schwierigen Themen sind das selten mehr als zwei bis vier Prozent. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich eine zivilisierte Debatte gut selbst erhalten kann, wenn die Leser wissen, dass der Autor dabei ist. Gegen sinnlose Pöbeleien sollte man vorgehen, auf Kritik reagieren, dann geht das nach meiner Erfahrung schon.

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Da redet mir übrigens auch niemand hinein. Es gibt keine Vorgabe seitens der FAZ und auch keine Beschwerde, weil ich es mit den Kommentaren anders als andere Beiträge halte. Es ist nun mal so, dass die Moderation ein enormer Aufwand ist und ich für die fünf Stunden im Sonnenschein in der Nacht zwei Stunden mit Moderation verbringe. Natürlich muss ich jeden Kommentar vor dem Freischalten erst mal lesen, daran führt kein Weg vorbei. Und da lese ich dann auch die Befürchtungen, dass es nicht mehr möglich wäre, die eigene Meinung frei zu äussern. Ich kann das durchaus nachvollziehen, weil ich auch sehe, wie Debatten im normalen Betrieb gemäss der Redaktionslinien ausgeschaltet oder gelenkt wird. Es ist beispielsweise kein Problem, bei ZEIT Online die Aufgabe der durch die Verfassung festgelegten Grenzen zu fordern, aber Zweifel am Gender Mainstreaming sollte man vorsichtig vortragen. Es gibt bei der Flüchtlingskrise und einigen anderen Themen eine deutliche Diskrepanz zwischen Einschätzungen und Überzeugungen der Mehrheit in diesem Land und dem, was Medien thematisch an Debatten erlauben. Junge Onlinejournalisten in Berlin oder Hamburg leben nun mal in anderen Filterblasen als das THW am Tegernsee. Die einen schreiben im Schlepptau einer Grünenpolitikerin positive Geschichten über nette Flüchtlinge und schliessen die Kommentare, die anderen stellen die Pritschen in der Turnhalle auf und werden wegen der Qualität des Essens angemault.

Und da schäumt es dann über. Das ist wie eine unter Druck stehende Schaumweinflasche, hinten gärt das Staatsversagen und vorne ist ein Medienkorken, der nichts heraus lässt und an dem man mit einem Kommentar auch nicht vorbei kommt. Es ist durchaus rational nachvollziehbar, warum man in den Medien die Augen lieber auf die Hoffnung denn auf die Gefahren richtet, selbst wenn das als „Lügenpresse“ gebrandmarkt wird. Da entsteht dann dieses „Wir sagen Dir, wie Du die Sache zu sehen hast“-Gefühl bei Lesern. Ob es klug ist, die Debatte danach auch noch zu verhindern und indirekt das Gefühl zu erwecken, dass es vollkommen egal sei, was der Leser denkt, ist nach meiner Einschätzung nicht zwingend zu bestätigen, selbst wenn es aus dem Arbeitsablauf der Medien heraus verständlich ist: Medien haben die Aufgabe zu informieren und Debatten anzuregen, aber das muss eben nicht zwingend im Internet auf ihrer eigenen Seite sein, verbunden mit einem gewissen Prozentsatz Randale und Beschimpfung.

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Und natürlich kann man auch auf dem Standpunkt verweilen, dass alles schon gesagt sei, nur noch nicht von allen. Das kleine Problem an dieser Haltung sind die rechtsradikalen Profiteure bei Facebook, die jene Artikel nehmen, die ihnen ins Konzept passen, und dann dort kommentieren lassen. Das bedeutet, dass die Debatte durchaus weiter geht, aber entgleitet: Sie ist ohne Kontrolle, ohne Einflussmöglichkeit und ohne Nothalt durch die Medien. Es genügt ein Link und ein Textanreisser, und dann passiert genau das, was manche mit guten Argumenten gern verhindert sehen möchten: Eine aus dem Ruder laufende Diskussion, mit der Folge, dass danach Facebook gezwungen werden soll, die unliebsamen Postings zu löschen. Oder Medien wie Bild und Süddeutsche Zeitung dazu beitragen, dass die Extrembeispiele öffentlich an den Pranger gestellt oder entlassen werden – Edit: Weil der freie SZ-Mitarbeiter Simon Hurtz provokativ danach fragte und zufälligerweise auch noch ein neuer Kommentator hier auf  ihn”hinwies”, hier der Link: https://www.suedd eutsche.de/wirtschaft/reaktion-von-arbeitgebern-wann-man-rassisten-kuendigen-darf-1.2622373 . Damit ist der ganze Diskurs im Vollkreis gescheitert. Ich persönlich sehe da, ähnlich wie bei den links-antiliberalen Shitstorms bei Twitter, wirklich keinen einzigen Gewinner. Es verlieren alle, die Debatte wird von jeder Sachlichkeit und allem Respekt entkleidet, und sollte tatsächlich jemand das Ziel erreichen, andere zum Schweigen zu bringen, bleibt seinen Opfern immer noch die Realität, um den Konflikt voran zu treiben.

Man kann sich – wie gesagt, mit guten und nachvollziehbaren Argumenten – davon fern halten. Ich nehme aber aus den von mir gelesenen Kommentaren die Erkenntnis mit, dass ich mich lieber hier als AfD-Anhänger beschimpfen lasse, selbst in einem Beitrag, in dem ich erkläre, warum ich persönlich gerne an Migranten vermiete, als dass es andernorts eskaliert. Hier kann ich darauf eingehen und reden. Die anderen Orte im Netz müsste ich erst mal suchen, was bei Faebook wirklich schwierig ist, und mich dann auf Nutzer einlassen, die im Zweifelsfall erst durch Facebook gestoppt werden können, wenn ich sie melde. Hier im Blog entscheide ich selbst, und muss die richtige Balance aus Debatte und Durchgreifen finden. Das ist gerade jetzt keine schöne Arbeit, es geht ziemlich an die Substanz, aber auf der einen Seite halte ich die Debatte für wichtig. Wenn wir sie nicht führen, machen es die Kräfte, in deren Hände ich das nicht sehen will. Und auf der anderen Seite sitze ich lange Stunden ohne Netz in Tirol am Achensee, und die Sonne scheint mild und nachsichtig auf mich herab.

Es ist wie immer in dieser Krise: Keine Entscheidung ist ganz falsch, keine Haltung ist frei von guten Argumenten. Wirklich möglich erscheint mir die Debatte nur, wenn die Autoren die Arbeit mit dem Beitrag nicht beenden, sondern genau wissen, dass die Arbeit nach dem Beitrag erst  beginnt. Wenn man es tut, wird man angemault, gelobt, angegiftet, falsch verstanden und muss immer wieder eingreifen. Wenn man es nicht tut, sind da draussen genug, die dem Vorwurf der Lügenpresse noch die Klage über Zensur folgen lassen und sich berechtigt sehen, das Gespräch in die eigene Hand zu nehmen. Dazu haben sie laut Verfassung ein Recht, und man kann und soll ihnen dieses Recht als guter Demokrat nicht streitig machen.

Aber in diesem Blog bestimmt nicht der gute Demokrat, sondern der Chef des Communitymanagements, und der bin ich. Deshalb sind die Kommentare hier offen und werden, wenn sie sich an den allgemein gültige Anstand halten, auch freigeschaltet. Das bezahlt übrigens niemand, das ist mein privates Vergnügen, aber eben auch das, was ich als notwendig erachte. Ich finde, gute Demokraten sollten über alles so respektvoll reden können, dass unsereins nur freundlich lächelnd alles freischalten kann. So ist das Internet dann auch eine prima Sache, und kein Feind des Netzes hat dann einen Grund, dessen Kontrolle und echte Zensur zu fordern.