Wenn ich in Italien bin, wohne ich fast immer in Mantua in der immer gleichen Wohnung. Den Schlüssel habe ich ohnehin bei mir, und wenn ich nach einem harten Arbeitstag, wie etwa während des Erdbebens spät Nachts ankomme, gibt es eine Routine, die garantiert, dass mein Beitrag am nächsten Morgen beim Redakteur liegt. Aufsperren, Licht einschalten, Computer anschliessen, Wasser für den Tee aus dem Wasserhahn holen und auf den Herd stellen, und bis das Wasser kocht, sind auch alle notwendigen Akkus in den Ladegeräten. Wenn ich am nächsten Morgen dann in das Auto oder auf das Rad steige, sind alle Kameras wieder für tausend Bilder gut, und falls es unterwegs nötig wäre, würde der Rechner acht Stunden mit dem Akku laufen. So kann ich arbeiten, so weiss ich schon am Abend, dass mich am nächsten Tag nichts aufhalten wird.
Momentan bin ich nicht in Mantua, sondern in sehr unterschiedlichen Hotels in der Steiermark, in Slowenien, Venedig und Padua. Alle Hotels sind sauber, gut geführt und sehr bemüht. Richtig prima klappt das mit dem Arbeiten in einem Haus, das sicher seit 40 Jahren keine Restaurierung mehr gesehen hat: Dort bekommt man einen Schlüssel, es gibt Lichtschalter, Steckdosen und am Morgen einen Kellner, der so freundlich ist, Tee in jeder gewünschten Menge zu bringen. Das ist wichtig, weil ich ohne Tee nicht in den Tag starten kann. Ich brauche niemanden, der mir in dieser Hinsicht Vorschriften macht. Eines meiner Hotels will in dieser Hinsicht modern sein, und hat einen elektronischen Vollautomaten für wirklich vorzüglichen Kaffee, bestätigen andere Gäste, aus dem ich Wasser zapfen kann. 0,7 mal den Inhalt einer Tasse. Ein Digitaldisplay sagt mir nach einem Piepston die Menge und leider hilft mir das überhaupt nicht, denn die Teemenge ist durch den Beutel definiert, und die Kombination aus zu wenig Wasser und zu viel Tee schmeckt schauderhaft.
Nun sollte man in Italien als Teetrinker das Jammern verlernt haben, aber das hier ist nur ein Beispiel., wie eine digitale Innovation das Leben für einen der Zukunft aufgeschlossenen Menschen erschwert. Ich hacke das System, indem ich mir zweimal den elenden Piepston anhöre – wieso muss mich so eine Kiste am Morgen fies anpiepsen? Wenn ich sowas will, reise ich mit einer Netzfeministin – und die Tasse anderthalb Durchläufe unter dem Wasserstrahl stehen lasse, unter den verständnisvollen Blicken des Kellners, der ebenfalls mit der Maschine leben muss. Der Rest geht dann eben in den Ablauf. Das ist mein Aufstand gegen den Zwang des Digitalen. Mir ist völlig klar, dass das Verschwendung ist, die sich nicht gehört, aber ich brauche meinen Tee und kann es mir nicht erlauben, mich ohne meine Dosis Teein ans Steuer zu setzen, um dem italienischen Verkehr zu trotzen.
Gestern bin ich nach Venedig gefahren. Venedig ist wunderschön, aber wie es nun mal im Herbst so ist: Es wird früh dunkel. Man sollte also früh aufbrechen. Idealerweise lässt man das Auto auf dem Festland stehen, und nimmt den Zug. Das kostet von Padua aus lachhafte 4 Euro und bringt einen direkt ins Zentrum. Ich hasse zwar Züge, aber in diesem Fall füge ich mich, und finde am Bahnhof eine ganze Batterie Fahrkartenautomaten. Die quäken mich an, dass ich auf meine Wertsachen achten soll, und teilen mir mit, dass der nächste günstige Zug in sieben Minuten geht. Bis ich mich durch den Kaufvorgang und die diversen uninteressanten Optionen geklickt habe – nein, ich brauche nur eine simple Einwegkarte und sonst nichts – vergehen schon einmal zwei Minuten. Dann stecke ich meine EC-Karte in den Schlitz, gebe die Geheimzahl ein, und die Kiste hat nun offensichtlich keine Programmroutine, um mir zeitnah mitzuteilen, dass die Funktion gerade ausgefallen ist. Ich starre eine Minute auf ein nicht wegklickbares Bild, bis die Maschine sich in den Ausgangszustand versetzt. Ich versuche es nochmal, und der Italiener neben mir ebenso. Wir stellen fest: Die Kisten gehen beide nicht. Und es gibt keine Möglichkeit, die lumpigen vier Euro in einen Schlitz zu stecken. Das ist heute alles digital. Und überall ausgefallen.
Ich fahre nur für den Genuss nach Venedig, aber wenn ich da einen Termin hätte, müsste ich anrufen und erklären, dass ich noch vor einer sehr langen Schlange eines der wenigen Automaten stehe, der doch noch altes Bargeld nimmt, weil die Schlange vor dem Verkaufsschalter noch länger ist und verzweifelte Leute draussen vor der elektronisch öffnenden Glastür Nummern ziehen, um Einlass zu bekommen. Der gewünschte Zug hat glücklicherweise auch Verspätung, lässt mich die Maschine wissen, und so kann ich dafür noch ein Ticket buchen. Das ist fein. Weniger fein ist der Dialog am Ende, dass der Zug bereits seit zehn Minuten weg ist. Das stimmt zwar nicht, trägt aber dazu bei, dass ich recht geladen auf dem Bahnsteig stehe und beschliesse, etwas über digitale Zwänge zu schreiben. Mit einem menschlichen Fahrkartenverkäufer wäre das nicht passiert, und dafür würde ich auch zwei Euro extra bezahlen. Wenigstens sind die Gondoliere in Venedig noch analog. Und man kann die Tickets für den Wasserbus auf dem Canal Grande am Markusplatz noch bei einer sehr freundlichen und auskunftsfreudigen Dame am Schalter erwerben. Die kostet etwas mehr als die Zugfahrt. Aber völlig gelassen stehe ich auf dem Schiff und weiss, ich werde ankommen.
Als ich ankomme, drückt man mir einen Schlüssel in die Hand. Einen echten, analogen Schlüssel. Das ist inzwischen selten geworden; modernere Hotels machen das alles mit Scheckkarten, die nur so lange die Tür öffnen, wie man gebucht hat. Einmal stand auch schon in einem sehr ungünstigen Moment jemand mit so einer Karte in der Zimmertür einer Bekannten, bei der ich – Moment, das geht Sie gar nichts an, aber jedenfalls hatte man an der Rezeption trotz fehlenden Checkouts schon die neue Karte ausgestellt. Seitdem mag ich Schlüssel, mit denen man auch von innen abriegeln kann. In einem Hotel auf der Reise hatte man dagegen schon auf ultramoderne Haustechnik umgestellt: An der Tür ist der Kartenslot. Und hinter dem Kartenslot sind alle Stromkreisläufe des Raumes. Keine Karte, kein Licht, kein Strom, nichts. Und da frage ich mich schon, wie man als Ingenieur einerseits so digital denken kann, und andererseits den Bewohnern beim Verlassen der Zimmer den Saft abdreht. Unsereins geht und denkt, dass die Akkus von Mobiltelefon und Kameras und Rechner bis zum Abend geladen sein sollten. Öffnen wir dann die Tür, piepst das Handy kläglich, der Akku des Rechners ist völlig runter, und die blaue LED beim Ladegerät sieht man erst am nächsten Morgen. Diese moderne Karte zwingt den Nutzer seiner batteriebetriebenen Gerätschaften, beim Laden neben ihnen zu sitzen. Betreutes Charging. Wer da einen Abendtermin hat, hat ein Problem. Wenn der Akku beim Frühstück noch nicht geladen ist, bricht der Ladevorgang gleich nochmal ab.
Wenn Marcello Mastroiani in La Dolce Vita zu seinem nächsten Reportageauftrag aufbricht, springt er nach dem Frühstück einfach in den Wagen und fährt los. Im schlechtesten Fall sind meine Akkus immer noch halb leer, die Teetasse ist nur halbvoll, der Kartenautomat streikt und wenn es im Hotel eine Computerpanne geht, liegt schon jemand anderes in meinem Bett. Immerhin kann er vermutlich nicht mit meinem Rechner ins Netz, denn Hotelnetzwerke reagieren oft allergisch auf meine zwischengeschalteten Privacytools im Browser und werfen mich ständig raus. Ich kann mich noch nicht mal beklagen, denn das ausgedünnte Servicepersonal ist froh um jede digitale Hilfe, und die Stromabschaltung sorgt für den Umweltschutz, und dafür, dass der steigende Meeresspiegel in 200 Jahren Berlin noch immer nicht geschluckt hat. Man muss das alles verstehen, das macht heute jeder so, das ist die Zukunft, Maschinen ersetzen Menschen und können eh alles besser: Besonders das Ignorieren, das Anpiepsen, das Nichtverstehen, das Steckerziehen und das Beziehungsbeenden. Es bringt einen nicht um, aber im Gang steht noch ein alter Schuhputzautomat. Da drückt man auf einen Knopf, und er läuft, solange man drückt. Technik, die genau das tut, was man möchte. So hat man sich das in den Zeiten des Wirtschaftswunders erträumt: ein Knopf, eine Funktion. Heute gibt es Displays wie in Kubricks Odyssee im Weltraum, und die Technik legt sanft ihre unnachgiebigen virtuellen Hände um unsere Gurgeln. Solange es echte Schalter, Drehgriffe und Schlösser gibt, ist sie beherrschbar. Man kann sie töten, wenn es sein muss. Dieses Herrschaftsverhältnis kehrt sich gerade um.
Schuld – sind wir selbst. Wir und unsere Abhängigkeit von diesen kleinen Kisten. Ich warte nur darauf, dass man in Menschen Reserveakkus einbaut, die sich durch die Bewegung selbst laden und den nötigen Strom erzeugen. Und einen universellen Berechtigungs-Chip, der alle Türen öffnet, die erlaubt sind, und einen von allem abhält, was man nicht bezahlen kann. Dann macht nämlich auch so eine Kaffeemaschine Sinn, die einem mitteilen kann, wie wenig Wasser sie einem zu geben bereit is: I’m afraid I can’t do that, Dave. Das ist dann alles supermodern und verspricht, all die komplexen digitalen Schritte, die uns heute so nerven, durch eine native und unumgängliche Lösung zu ersetzen.
Sie verstehen, dass ich zwar gern in Italien bin, aber mich schon auf meinen hochgiftigen, radioaktiv verseucht floureszierenden Lichtschalter in der heimischen Küche freue, den man nach dem zweiten Weltkrieg für einen Beitrag der Technik zu einem besseren Leben gehalten hat. Aber die EU beschäftigt sich natürlich lieber mit den Gefahren der Kerzen. Das romantische Flackern – da muss man etwas tun, das darf nicht sein, und ich frage mich, ob das Hirn derer, die das tun, nicht auch so etwas wie ein tiefentleerter Akku ist.