Deus ex Machina

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Hatespeech: Wenn Regierungswünsche das eigene Lager treffen

Seit Monaten geistert ein Gerücht durch das Internet: Soziale Medien wie Facebook und Twitter seien demzufolge vom Bundesminister für Vorratsdatenspeicherung, genderistische Werbeverbote und Justiz Heiko Maas zur Zusammenarbeit mit der Amadeu-Antonio-Stiftung gedrängt worden, in der wiederum zwei bekannte Personen mit umstrittener Vorgeschichte arbeiten: Anetta Kahane als Vorsitzende und Julia Schramm, mit eigener Erfahrung zuständig für Hatespeech. Dem Gerücht zufolge wäre die Stiftung am aktuellen Vorgehen der Firmen gegen sogenannte “Hassbotschaften“ beteiligt, die der Bundesregierung seit dem Beginn der Asylkrise missfallen: Tatsächlich äusserten Bürger ihr Unverständnis für die Politik im Netz, und manche überstrapazierten dabei die Grenzen der Meinungsfreiheit. Das Problem sollte vor allem Facebook nach dem ausdrücklichen Willen der Kanzlerin angehen – und was danach konkret passierte, ist nur insofern weithin bekannt, als dass Facebook die Bertelsmann-Tochter Arvato beauftragt hat, gegen solche Aussagen vorzugehen.

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Mehr Informationen hat der Informatiker Hadmut Danisch aus dem Justizministerium herausgeholt, und demzufolge ist die Rolle von Frau Kahane nicht im Mindesten so bedeutend, wie es manchen scheint. Ein paar Treffen hätte es gegeben, aber die konkrete Umsetzung sei letztlich Sache der Firmen. Tatsächlich gab es einige harte Entscheidungen, die Accounts betrafen, die keine Gesetze gebrochen hatten: So wurde etwa der recht prominente Twitteraccount von Kolja Bonke geschlossen, der die sexuellen Übergriffe von Köln massiv kritisiert hatte. Facebook ging beispielsweise gegen den Account von Anonymous Germany vor, der inzwischen wie einige andere auf ein russisches Netzwerk umgezogen ist. Aber inzwischen wird auch das deutlich, was in diesem Blog hier mehrfach als Warnung formuliert wurde: Das rigide Löschen wendet sich nicht nur gegen Rechte, sondern bei gleichen Verstössen auch gegen Linke.

Erstes prominentes Opfer war das von Heiko Maas geschätzte, in Sachen Persönlichkeitsrechte allerdings problematische und anonyme Projekt “Perlen aus Freital“. Und letzte Woche erwischte es dann die Wiener Schriftstellerin und Aktivistin Stefanie Sprengnagel, die unter dem Pseudonym “Stefanie Sargnagel“ bei Facebook ihre Autorinnenkarriere begründet hat. Sprengnagel, die nach Eigenaussage aus dem wenig glamourösen Wiener Gemeindebau stammt, hat sich mit rotzigen, alkoholgeschwängerten und derben Texten in die Herzen einiger Feuilletons geschrieben, die ihr eine grosse Zuuft vorhersagen. Sie hat an der Schleusung von Flüchtlingen aus Ungarn nach Österreich unter gewissem Medieninteresse teilgenommen und gilt, links, feministisch und wütend, als eine Art “Charlotte Roche der Wiener Gegenöffentlichkeit“. Facebook dagegen gilt sie als Hatespeech, weshalb sie ihren Account plötzlich nicht mehr bespielen konnte.

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Anlass war eine derbe Behauptung über Alina W., einer Wiener Aktivistin der Identitären Bewegung. Diese Gruppe ist im Umfeld der rechtspopulistischen FPÖ zu erheblicher Grösse gewachsen, und hat es mit einigen spektakuläre Aktionen, wie Sprengnagel auch, in die Medien geschafft. Die Identitären veranstalteten Grenzblockaden und Demonstrationen, hängten Banner auf Häuser und störten jüngst im Audimax der Universität Wien ein Theaterstück von Elfriede Jelinek über Flucht. Die Identitären nennen das eine “ästhetische Intervention“. Sie bringen ein Gesellschaftsbild der “Neuen Rechten“ mit Aktionsformen und Internetwerbung zusammen, die man ansonsten vom Zentrum für politische Schönheit, Peng Collective, Greenpeace und teilweise auch der Antifa kennt. Nach der Aktion im Audimax griff sich Sprengnagel dann Alina W. heraus und sagte ihr sexuelle Phantasien mit KZ-Wärtern nach. Und zwar ohne jede Einschränkung, wie sie Böhmermann bei seinem Schmähgedicht gegen Erdogan voran stellte. Laut Sprengnagel meldeten Vertreter der Identitären das bei Facebook, und Facebook sperrte sie daraufhin aus. Wie man das vermutlich auch mit ähnlichen Aussagen bei Neonazis gemacht hätte.

Eine besondere Rücksicht für die inzwischen nicht mehr unbekannte Autorin gab es von Facebook nicht – auch wenn etlich Medien ihre Partei ergriffen, die bei ähnlichen Einlassungen von Rechts vermutlich weniger verständnisvoll reagiert hätten. Offensichtlich orientiert sich Facebook aber nicht an Koordinaten des politschen Systems – oder gar an Einflussnahmen deutscher Politikaktivisten mit gutem Draht zu Heiko Maas – sondern an eigenen Kriterien zur Definition dessen, was man im deutschsprachigen Raum nicht haben möchte. Für ein gewinnorientiertes Unternehmen ist das keine schlechte Entscheidung. Schwieriger wird es dagegen für alle, die glauben, ihre Nähe zur offiziellen Politik würde es ihnen erlauben, über die Stränge zu schlagen und sich wie eine Wildsau oder Schlimmeres zu benehmen.

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Dass es den Identitären gelungen ist, eine laut Prantlhausener Zeitung “Kultfigur” des Feuilletons zu treffen, zeigt auch, wie man idealerweise die Vorgaben von Facebook für eigene Zwecke nutzt. Das Vulgäre einer Sprengnagel sucht man bei den “Bürgerkids “ – Zitat Sprengnagel – der Identitären vergeblich. Die Ausdrucksweise ist so gewählt, dass sie formal nicht “Hatespeech“ entspricht, und erkennbar bemüht ist, den Rahmen der Meinungsfreiheit einzuhalten. Das ändert nichts an den zugrunde liegenden Einstellungen über Islam, Migration und völkisches Denken, die eindeutig konfrontativ provokativ und nationalistisch sind. Nur ist der Wunsch, den die Bundesregierung an Facebook und Co. herangetragen hat, die Bekämpfung rechtlich fragwürdiger Aussagen. Sprengnagels obszöner und persönlich diffamierender Text fällt unter diese Kategorie. Die Accounts der Identitären mögen radikal sein – aber kein Verstoss gegen Gesetze oder die Richtlinien bei Facebook.

Im Gegenteil, ähnlich wie bei der zunehmend effektiven Netzwerbung der AfD, die es inzwischen auch mit Witzen und dem versucht, was Deutsche für Humor halten, scheinen sich die Identitären sehr wohl der Möglichkeiten des Netzes bewusst zu sein. Sie setzen nicht auf alleinige Facebookpräsenz oder einzelne Webseiten, wie es Links- und Rechtsradikale früher gemacht haben. Sie setzen ihre Netzprojekte durchaus ansprechend, modern und verteilt auf diversen Plattformen um, und stellen ihre Ziele ohne allzu viel Schnappatmung dar. Erlebniserwartung, Spass an der Sache und Abenteuer werden, als wäre es der Kiffertreff der grünen Jugend, viel Raum eingeräumt. Mit der alten Neuen Rechten und der Konservativen Revolution haben sie viele Ziele, aber weder die Erscheinung noch die Methoden gemein. Es sind Digital Natives, sie beherrschen die Medien – und sie sind immerhin schlau genug, dass nicht sie, sondern ihre Gegner von Facebook ausgeknipst werden.

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Es ist erkennbar nicht so, dass die Wünsche der Bundesregierung und die Strategien, die die Amadeu Antonio Stiftung entwickelt, die sozialen Medien als Tummelplatz der Rechten beenden. Es gibt in der Folge erkennbare Bemühungen, extreme Standpunkte aller Art zu verbannen, egal ob IS-Anhänger bei Twitter oder Rassisten bei Facebook. Die Extremsten weichen dann aus, die Klügeren passen ihre Strategien an und sind zudem einige lästige Konkurrenten los. Wenn linke Aktivisten wie das Peng Collective auf einer vom Familienministerium finanzierten Veranstaltung mit einer SPD-Staatssekretärin plaudern dürfen, kurz bevor Mitglieder losziehen und die Aktion “tortaler Krieg“ gegen Beatrix von Storch starten, haben sie in Deutschland einige Vorteile. Aber in Österreich ist die Machtübernahme der FPÖ zum Greifen nahe, und die Identitären verstehen sich mit ihr erkennbar gut. Politische Einflussnahme und mehr oder weniger verdeckte Förderung von Aktivisten können kurzfristig als Lösung im Kleinkrieg im Netz erscheinen. Aber die andere Seite ist offensichtlich lernfähig und kann sich den Veränderungen anpassen. Und Facebook tut auch nur, was es meint tun zu müssen, egal wie sich Minister und Medien dann über die unerwarteten Folgen ihrer Zensurforderungen gegen Rechte beschweren.