Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Der nette völkische, hassmobbende Nationalist aus Schottland

Nationalismus ist die letzte Zuflucht der Idioten. Sagten wir in der Schule, die im Bayern unter Franz Josef Strauss oft durch rechtsreaktionäre Lehrer und Schüler Anlass gab, diesen Satz zu bemühen.

Drei Jahrzehnte später komme ich fast nicht umhin, den Satz immer noch zu sagen. Nicht nur, weil der Nationalismus tatsächlich auf dem Vormarsch in Europa ist. Auch, weil bei einigen grossen Onlinemedienauftritten Berliner, Prantlhausener und Hamburger Herkunft, die ansonsten jedes rechte Gedankengut weit von sich weisen, nach dem Brexit wieder unverhohlen blau-weisse Fahnen geschwungen und völkische Sezessionen bejubelt werden. Nicht bayerisch-blau-weisse Fahnen, wie hier mit dem Löwen beim nationalistischen Denkmal für den Schmied von Kochel

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sondern die Fahne der Schotten.

Nationalismus ist die letzte Zuflucht der Idioten, die davor alle anderen Argumente verloren haben. Nach dem Referendum hiess es bei den Gewaltfreunden des Spiegelsonderschulenablegers Bento zuerst, das sei gar keine Wahl gewesen, sondern ein Putsch der “Generation Rollator“, der Alten, gegen die mehrheitlich sehr pro-europäische Jugend. Inzwischen wissen wir, dass die Wahlbeteiligung unter Jugendlichen mit 36% sehr niedrig war – was die anderen 64% von der Wahlurne fern hielt, könnte Anlass zu Spekulationen sein. Vielleicht generelle Politikverachtung in einem System, bei dem man nur die Wahl zwischen der dumpf-nationalistischen UKIP und dem Tory-Establishment unter dem panamabelasteten David Cameron hat, das der Jugend das Studentenleben und das Internet vermiest? Es ist auch gut möglich, dass die Juncker-Merkel-Austerity-EU unter allen Jugendlichen keine Mehrheit hat. Daran ändern auch die paar Videobotschaften junger Remain-Aktivisten nichts, die deutschen Medien realitätskonstruierend als Beweis für eine pro-europäische Gesinnung zeigten, während sie den Jubel der jungen Brexit-Vertreter einfach unter den Tisch fallen liessen und hier lieber alte, weisse Männer zeigten.

Die nächste Verteidigungslinie des “In Wirklichkeit will die Jugend bleiben“-Spins war jene obskure Petition, die britische Regierung sollte ein zweites Referendum ansetzen, wenn ein hohes Quorum nicht erreicht werde. Es folgte eine regelrechte Kampagne von BBC, Guardian, Spiegel Online und Zeit.de, als die Petition scheinbar viele hunderttausend Internetnutzer, ja gar Millionen in Bewegung setzte, um hier ihren pro-europäischen Willen zu bekunden. Darunter monierten kritische Leser, dass man solche Zahlen bei einer einfach zu manipulierenden Website vielleicht nicht allzu ernst nehmen sollte. Der Verdacht war richtig: Ausgerechnet dank eines Murdoch-Mediums wurde bekannt, dass die europafreundliche Presse dem Hackernetzwerk 4chan und seinen Skripten auf den Leim ging. Die Petitionsplattform hatte nicht einmal stutzig gemacht, dass Europaverteidiger zu Tausenden scheinbar aus Nordkorea und dem Vatikan kamen. Für 4chan ist der Hoax, dem die Presse europaweit aufsass, ein grosser Erfolg: Ansonsten wird 4chan in den Medien nämlich nur als Musterbeispiel für Rassismus, Sexismus, abartigen Porno und Mobbing genannt. Apropos Mobbing:

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Die Leute, die hier Donald Trump als “Affengesicht” und “Spermatrompete” beschimpfen, sind Schotten. Bei etwas niedriger Wahlbeteiligung als im Rest des Landes hatten sich 38% für den Austritt aus der EU ausgesprochen, und 62% dagegen. Trumps Glückwünsche wurden daher eher schlecht aufgenommen, und die Kaskade der Beleidigungen erfreut sich im Netz grosser Beliebtheit. Die Leute, die hier ihrem Unmut in einer justiziablen Form freien Ausdruck geben, kennt man in England als “Cybernats“. Sie bilden eine Art digitale Schlägertruppe, die für die nationale Eigenständigkeit Schottlands eintreten und mit konzertierten Aktionen schon früher von sich Rede machten. So wurde beispielsweise die Autorin J.K. Rowling mit einer Schmutzkampagne überzogen, als sie sich beim Referendum über die Unabhängigkeit von Schottland für einen Verbleib bei Grossbritannien aussprach. Cybernats-Mitglieder rekrutieren sich vor allem aus Anhängern der Scottish National Party, und momentan sind sie die digitale Speerspitze beim Anliegen, nach dem Brexit ein neues schottisches Referendum durchzuführen.

Was von deutschen Medien mit grosser Euphorie zur Kenntnis genommen wird, weshalb momentan blauweiss bemalte Gesichter und schottische Fahnen neben der Parteivorsitzenden Nicola Sturgeon vorteilhaft abgebildet werden. Die Schotten, so die Hoffnung, werden entweder ein Veto einlegen (obwohl ihre eher maue Wahlbeteiligung auch ein Grund für den Erfolg des Brexitlagers ist, was aber in Deutschland niemand so schreibt), oder aus dem vereinigten Königreich aus- und in die EU wieder eintreten. Offensichtlich herrscht in den Redaktionen eine Vorliebe für kleine, krisengeschüttelte und unterentwickelte Staaten in der Peripherie: Die seit der Finanzkrise von London mühsam am Leben erhaltene Royal Bank of Scotland ist eines der Hauptopfer des aktuellen Börsencrashs, und angesichts des Ölpreises ist das teure Nordseeöl für die Staatsfinanzen so hilfreich wie Meerwasser für die Banken in Island, Zypern und Griechenland.

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1707 war das selbstständige Schottland übrigens schon mal am Rand der Pleite, und wurde damals von den Briten mehr oder weniger übernommen, um einen Staatsbankrott abzuwenden – heute würde man “Bailout“ sagen. Die SNP bedankte sich dafür, indem sie im 2. Weltkrieg die Beteiligung von Schotten an der britischen Armee im Kampf gegen die deutschen Nazis ablehnte. In den 70er Jahren gewann die Partei an Popularität mit der Forderung, schottisches Öl – aus dem Meer vor Schottland – müsste den Schotten zugute kommen. Die Autonomie der Region ist für sie nur der erste Schritt zur Unabhängigkeit von den Briten. National eigenständige Folklore steht hoch im Kurs, und wirtschaftspolitisch stellt sich die SNP gegen die Spardiktate aus London. Ihre Hymne beschwört den Zusammenhalt von Blut und Boden, und nimmt Bezug auf eine Schlacht, die vor 700 Jahren in einem Massaker endete, das sogar nach den Vorstellungen der damaligen Zeit ausserordentlich grausam war. Die SNP ist eine nationalistische und separatistische Bewegung, die politisch motivierte Fehlinterpretationen des Mittelalters am Leben erhält, und Andersdenkende in Sachen Eigenstaatlichkeit und wegen nationalistischer Symbole ihrem eigenen Netzmob zum Frass vorwirft, während deutsche Medien dieses Ansinnen begeistert begrüssen.

Ich habe gewisse Schwierigkeiten, Unterschiede zwichen dem völkischen Nationalismus der SNP und dem der FPÖ, etwa in der Südtirolfrage, zu erkennen. Das Gewalt und Krieg verherrlichende Liedgut der Schotten ist auch nicht moralischer als das Lied “Südtirol“ der Band Frei.Wild, das eben jene ZEIT aus Hamburg verdammt, die nun den schottischen Austritt begrüsst. Die Ideologie der angeblich keltischen Schotten ist historisch betrachtet ähnlich, pardon, irrsinnig wie die Ideologie der angeblich keltischen Bewohner Padaniens, die die italienische Lega Nord in Spektakeln feiert, die wiederum an die Inszenierungen der SNP erinnert: Die einen berufen sich auf das Schlachtfeld von Legnano und Alberto de Guissano, die anderen auf die Schlacht von Bannockburn und Robert the Bruce. Die Lega Nord und die FPÖ gelten als rechtspopulistische und völkisch argumentierende Sündenfälle der Wähler – die SNP und ihre balkanisierenden Tendenzen schreibt man gerade zum Retter des Europäischen Gedankens hoch.

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Der Nationalismus ist die letzte Zuflucht der Idioten, und nachdem man die Briten jetzt für Nationalisten hält, können es die gegnerischen Schotten mit ihrem Drang zur richtigen EU nicht sein. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Sardinien, Norditalien, Südtirol, dem Baskenland, Katalonien, der Bretagne, Korsika, Wallonie, Flandern und Galicien werden es mit Freuden zur Kenntnis nehmen. Wenn die Einstellung zur EU stimmt, dürfen sie vielleicht auch bald auf vorteilhafte Portraits ihrer Führerinnen und Führer hoffen – in jenen Medien, die in Deutschland den Sachsen wegen mangelnder Willkommenskultur den Säxit nahelegen.

Denn Rassismus, Hatespeech, Nationalismus und Chavinismus ist es nur, wenn andere es tun.