Prinzipiell sind sich alle ernstzunehmenden Medien auf beiden Seiten des Atlantiks einig: Trump hat zwar die Präsidentschaftswahlen gewonnen, und die Republikaner die Mehrheit in beiden Häusern. Aber Hillary Clinton hatte absolut mehr Wähler, und zu Trumps Amtseinführung kamen deutlich weniger Menschen als bei Obama. Beides wollte Trump nicht gelten lassen, und polterte bei Twitter los. Bei der Frage der Besucher seiner Amtseinführer schickte er seinen Pressesprecher vor, der Trumps Sicht bestätigte, und im Netz als neuer Comical Ali verlacht wurde. Später trat Trumps Beraterin Conway auf und benannte die offensichtliche Unwahrheit mit dem Neusprech-Wort “Alternative Facts”. Die Trump-Administration hatte ihre erste grosse PR-Pleite – bei denen, die über sie lachten. Das kleine Problem bei der Frage nach den Auswirkungen solcher Skandale ist allerdings die Wirkung auf jene, die Trump nicht verachten oder auslachen, sondern ihn offensichtlich genug schätzen, dass sie ihn zum Präsidenden der Vereinigten Staaten gewählt haben. Stimmberechtigte, die über social Media Accounts verfügen und zu Trump eine generell alternative Sichtweise haben. In etwa so:
Und die sich voll bewusst sind, dass die Macht zumindest für die nächsten vier Jahre nicht bei den Medien oder Hillary Clinton oder der demokratischen Partei liegen wird:
Es geht um Menschen, die in den USA von Präsident Obama kein neues Paradies sehen, sondern den Eindruck hatten, zu den Verlierern des Aufschwungs in den grossen Städten an der Küste zu gehören, und denen Trump mit seiner Inaugurationsrede über die benachteiligten Regionen aus dem Herzen sprach:
Und es geht um Internetnutzer, die Bilder hochladen können und darin ihrer Verachtung für Medien ungezügelt Ausdruck verleihen. In der Vergangenheit beim Buzzfeed-Dossier über die angebliche Erpressbarkeit von Trump durch die russische Regierung:
Und in der “Alternative Facts”-Gegenwart von Frau Conway, in der Trumpunterstützer sie geradezu anfeuern, die Medien – oder wie Trump sie nennt, Fake News – scharf anzugehen:
Denn natürlich gibt es auch Alternative Facts für Republikaner – und sie sehen nicht nur so aus, sie sind sogar nicht ganz unwahr:
Sie dürfen an dieser Stelle zugeben, dass Sie zumindest einen Moment in Versuchung waren, ein Lächeln über Ihre Lippen huschen zu lassen. Das ist der Obolus für den Zugang ins Reich der Alternative Facts, die wir uns nun anschauen werden, um ein Gefühl für jene Menschen zu bekommen, die es zu überzeugen gilt, soll Donald Trump nicht vier, sondern acht Jahre lang die Geschicke der USA lenken. Beispielsweise erfährt man aus den klassischen Medien vom durchschlagenden Erfolg des Frauenmarsches auf Washington und ihre feministischen Anliegen. Dazu gibt es auch eine alternative Sichtweise, die man in den klassischen Medien selten erwähnt.
Nicht nur dieses Bild zeigt eine andere Realität, auch die Motivation der Vorreiterinnen des Marsches wird leicht verständlich hinterfragt.
Alternative Sichtweisen gibt es allerdings auch für Trump selbst – und das mag ein wenig erklären, warum die Idee, Fake News seiner Verehrer mit Aufklärung und Fakten zu begegnen, möglicherweise nicht sonderlich effektiv ist.
Um sie zu bekehren, müsste man erst einmal die messianische Verehrung durchbrechen. Seine Anhänger verbreiten Bilder von Trump als Heiligen und von einem trumpfreundlichen Journalisten als Drachentöter gegnerischer Medien in einem Kirchenfenster:
Natürlich überschreiten diese Graphiken nicht das geistige Niveau einer Biblia Pauperum des späten Mittelalters. Dennoch haben sich die Ersteller bei diesen Bildern wirklich Mühe gegeben. Diese Form der Propaganda ist weitaus mehr als schnell generierte Memes. Es gibt Trump als gütigen Vater der Nation zu Weihnachten:
Und natürlich auch ein Gegenbeispiel für Hillary Clinton und ihre wenig religiösen Mitstreiter, was in den USA bei weiten Teilen der Bevölkerung schlecht ankommt:
Es gibt Trump als Sagengestalt, die notfalls auch alleine ohne verräterische Medien in den Krieg rennt und Monster erschlagen wird:
Man merkt bei diesen und anderen Graphiken auch, dass wallendes Haar im Gegensatz zur üblichen Darstellung in den Medien eher Attribut der Stärke denn Preisgabe zur Lächerlichkeit ist, wie etwa bei Supertrump:
Mein persönlicher Favorit des eigenen lustvollen Schauderns ist allerdings Trump Stumpem 3D – man redet in Deutschland gerne über die enthemmte Mitte, das ist die amerikanische Version.
Kenner sehen darin eine Adaption des Spiels Duke Nukem, voll mit zerschossenen Gegnern, Stripperinnen und Akte barbarischster Natur. Diese Rückgriffe auf gewaltverherrlichende Videospiele, Filme und andere Formen von Populärkultur sind keineswegs Zufall: Oft geht es den Erstellern bei 4chan und reddit und den Verbreitern in sozialen Netzwerken um das “Triggern” der Gegner, die durch die Bilder abgeschreckt und verhöhnt werden sollen. Diese Haltung und der Umstand, dass viele das nach Jahren gefühlter Unterdrückung durch Ostküstenhumanismus wirklich gut finden, sorgen für ein offensives Klima, das mit Nachrichten über die Realität kaum zu durchdringen ist. Oder wie soll man gegen so ein Bild argumentieren?
Trump ist hier als amerikanische Ikone des Minuteman dargestellt, das jedes Kind in den USA kennt: Der Revolutionär im Aufstand gegen die Briten, der innerhalb einer Minute kampfbereit und marschfähig ist. Wer so etwas macht oder verbreitet, sucht nicht die Wahrheit der Medien, sondern die Vorstellungswelt eines Landes, das autonom, stark und selbstbewusst ist. Und diese revolutionäre Warte der physisch und moralisch Überlegenen wird dann auch für seine Anhänger in Anspruch genommen:
Während man für die Gegner nur Verachtung und Bilder der verhassten alten, weissen Männer übrig hat:
Diese Bilder erscheinen dem Medienkonsumenten, der allein das Bild von Trump und den Seinigen aus den Medien kennt, als fern jeder Realität. Sie stellen alternative Fakten eines eigenen, in sich geschlossenen Weltbilds dar, und dahinter stecken nicht vergessene Farmer in Iowa oder Nazikleinstparteien in Kentucky, sondern Leute, die sich für “ordinary American People” halten: Männer, Frauen, Studenten, Verschwörungstheoretiker, die bis heute an das Pizzagate glauben, und junge Damen, die überhaupt nicht arm, abgerissen und abgehängt wirken.
Das – und nicht die Menge der Anwesenden bei der Amtseinführung – ist der Kern von Trumps Erfolg, und die Wähler, die das in die Welt setzen, sind überraschend oft junge Frauen. Wer die Welt so sieht, sieht in Medien keine Aufklärung und Wahrheit, sondern einfach nur Alternative Facts und Fake News. Trumps Aufstieg zur Macht war begleitet von Fact Checking Offensiven und Beurteilungen durch Experten, die den Wählern erklärten, dass Trump keine neuen Jobs schaffen wird und das Land in die Isolation und ins Verderben stürzen wird. Was man tun konnte, wurde getan, mit dem Ergebnis, dass Trumps Anhänger einfach alles ablehnen, was nicht in ihr Weltbild passt. Medien und Gegner liefern genug Steilvorlagen: Der trumpkritische Sender CNN behauptete, die ebenfalls trumpkritische Nancy Sinatra würde es ablehnen, wenn bei der Amtseinführung ein Lied ihres Vaters Frank Sinatra gespielt wird. Darauf meldete sich Nancy Sinatra selbst bei Twitter zu Wort und bestritt mit einer inzwischen wieder gelöschten Meldung, etwas in dieser Art gesagt zu haben.
So sieht das mit den Alternative Facts dann bei Google News aus. Es ist für jeden etwas dabei, und jede Seite wird ein gewisses Mass Verachtung für die Medien der Gegner und ihre alternativen Ansichten empfinden.