Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Geht zur Hölle, Nutzer!

worin sich der Author ganz greylich echauffieret alldieweil ad Monachium am Hofe des ew. Groszfürsten Burda ausgetrieben wirdt das INTERNET, darob weil es die Schatztruhen leeret und socialiter Mediae nicht mehr gewollt seyn.

worin sich der Author ganz greylich echauffieret alldieweil
ad Monachium am Hofe des ew. Groszfürsten Burda
ausgetrieben wirdt das INTERNET, darob weil
es die Schatztruhen leeret und socialiter
Mediae nicht mehr gewollt seyn.

Vielleicht ist es nur eine urbane Legende, aber in jenen mythischen Tagen der qualvoll sterbenden New Economy soll nach übereinstimmenden Erzählungen diverser Mitarbeiter im grossen, verschachtelten Burda-Medienkonzern der Befehl ergangen sein, in Zukunft doch Papier, wenn möglich, stets doppelt zu bedrucken. Die Firma suchte angesichts des implodierenden Zukunftsmarktes des Internets an allen Ecken und Enden der Firma nach Sparpotentialen. Kurz davor hatte noch das vollkommen neuartige Frauenzeitschriftenportal “Vivi@n” aus dem gleichen Hause eine rauschende Party gefeiert – 25 Köpfe in der Onlineredaktion! Noch kürzer davor wurde es dann eingestellt. Dann wurde die hauseigene Suchmaschine Netguide eingestampft, ohne dass man die gewaltigen Vorarbeiten genutzt hätte. Dann wurde bei Tomorrow Focus eine Radikalkur eingeleitet. Nach Jahren des Vollgasausbaus der Internetautobahnen am Knotenpunkt des Burdakonzerns stand man plötzlich auf der Bremse. So mancher Sicherheitsgurt hielt nicht, und viele, allzu viele schicke junge Menschen landeten auf der Strasse. Die Überlebenden, besagt die Legende, bedruckten doppelt. Was ja keine dumme Sache ist, wenn man bei einem Konzern arbeitete, der das Internet aus dem Fokus rückte und sich auf die alten Freuden der Schnittmuster und gelben Presse für das Warten beim Frisör (mit altdeutschem “ö”) besann.

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Im Abstand von 10 Jahren vom Aufstieg und Fall von Vivi@n mit ihren “Themenchannels” klingen viele der alten, bösen Geschichten für Nachgeborene wie amüsante Folklore, wie Operetten mit Aufstieg, Hype, und Absturz. Wer dabei war und überlebt hatte, konnte damit im “Föhn”, einer Bistrooasse ist der Tristesse des Münchner Arabellaparks, die Praktikantinnen unterhalten.  Bis zum September dieses Jahres. Dann gab Burdas Zeitschriftenvorstand Philipp Welte dem Magazin “Horizont” ein Interview, das in dem Satz gipfelte: “Wir werden einen nicht unerheblichen Teil unserer verlagsgetriebenen Online-Aktivitäten auf ein notwendiges Minimum herunterfahren.” Welte beklagte die zweistelligen Millionenkosten des Engagements und bezweifelte, dass man auf absehbare Zeit damit über Werbung Geld verdienen könnte. Dann halt weniger Internet. Oder, es gehe, um es mit Welte zu sagen, “weniger um journalistische Inhalte als vielmehr um die Präsenz und Erreichbarkeit der Marken, also um Marketing.”

Vielleicht auch wieder um doppeltes Papierbedrucken? Nun ist die aktuelle Situation nur begrenzt mit der turbulenten Zeit um 2000 zu vergleichen. Die Zeitschriftenportale wurden nicht von schnell eingestellten Mitarbeitern aus dem Boden gestämpft, sondern über Jahre entwickelt und betrieben. Auf dem Markt herrschte nicht mehr der Hype, sondern eher langfristiges Denken vor. Für die betroffenen Mitarbeiter dürfte das Wissen um das Schicksal von Vivi@n dennoch mehr als eine Anekdote sein: Für die Präsenz einer Zeitung braucht man keine Onlineredakteure, Graphiker und Communitymanager mehr, kann aber nach oben Sparpotentiale berichten.

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Spannender als die Frage nach dem Verbleib der Mitarbeiter ist die Überlegung, die Welte damit den Nutzern der fraglichen Portale ims digitale Stammbuch schreibt: “Ihr braucht von uns keine Inhalte. Ihr braucht von uns nur einen Platz, wo wir präsent und erreichbar sind.” Diese Haltung leisten sich andere durchaus in radikaler Form; meine Lieblingslektüre “World of Interiors” etwa, die Bibel vieler, die Antiquitäten schätzen und mindestens 150 Quadratmeter Wohnfläche für sich haben, verkauft ihre Inhalte nur im Gedruckten. Andere, wie die vorzügliche Intelligent Life, geben sich ganz dem Internet hin. Sie können es sich so oder so leisten, denn ihre Inhalte sind auf Papier einzigartig in Aufmachung und Qualität, und sie bieten den Käufern Prestige. Aber was ist die unvermeidliche Einzigartigkeit der Tortendiagramme bei Focus? Der belanglosen Modestrecken bei Elle? Das Prestige der Freundin? Bunte? Superillu? Cosmopolitan? TV Spielfilm?

Diese neue Haltung ist um so erstaunlicher, als Burda in den letzten Jahren unter ganz anderen Vorzeichen im Internet agierte. Was immer man selbst entwickelte oder zukaufte, war vollumfänglich auf aktive Kommunikation mit Nutzern ausgerichtet. Nur eine kleine Auswahl der Firmen, an denen sich Burda beteiligte: Das Blogportal Blog.de, die Ausgehgesellschaft Nachtagenten, das Videoportal Sevenload, das Modeblog LesMads und den Blogvermarkter Glam Media, Spiele- und Reisecommunities, Scienceblogs, bongusto TV, das Frauenportal beQueen, das in vielerlei Hinsicht an das verblichene Vivi@n erinnert, daskochrezpt.de mit einem Schwerpunkt auf Empfehlungsmarketing der Nutzer, soziales Kleinhandwerk bei Etsy, die Ärztebewertung jameda, letzthin wurde Burda auch Hauptaktionär bei Xing – kaum ein Bereich, in dem die Münchner nicht den Nutzern in die letzten Ecken und Nischen der Onlinebetätigung mit erheblichen Mitteln und Investitionsfreude nachkrochen. Mit einem Kooperationspartner aus dem Automobilbereich machte man eine Shoppingreise für Nutzerinnen nach Mailand, die dann im Internet plauschend geblogt wurde. Die diversen Zeitschriften experimentierten intensiv – wenngleich auch mitunter sehr unglücklich – mit Blogs, Leserkommentaren, Twitter, Bild- und Nachrichtencommunities. Kein Medienkonzern bemühte sich so nachdrücklich um das Ziel, Gemeinschaften um Medienmarken herum entstehen zu lassen.

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Um jetzt mit der kühlen und mit schnödem Geld begründeten Ansage von Welte den Rückwärtsgang aus dem Internet einzulegen: Kostet nur, bringt aber kein Geld, wir drucken lieber Papier und das doppelseitig. Deutlicher kann man eine Absage an social Media kaum formulieren: Die Grundidee besteht in einem multidirektionalen Dialog zwischen Unternehmen und Nutzern, der Leser an das Blatt und das Blatt an die Leser bindet. Weg von den asymmetrischen Verhältnissen Sender/Empfänger, Journalist/Leser und Firma/Kunde, hin zu einer verlässlichen sozialen Beziehung in unsicheren Zeiten, da das Abo nicht mehr bis zum Lebensende gehalten wird, und die Konkurrenz immer nur einen Klick entfernt ist. Inhalte, so die Theorie, seien beliebig verfügbar, nicht aber die Aufmerksamkeit des Kunden und seine Neigung, einem Onlinedienst die Treue zu halten. Da müsse man sozial werden, vom Dienstleister zum Freund werden, vom Schreiber zum Begleiter, von der Firma zur flauschigen Unterhaltungsgesellschaft. Solange man den Onlinedienst nicht einfach runterfährt und schreibt:

“Liebe Leser, bitte sprecht uns und unsere Autoren nicht weiter an. Wir mussten erkennen, dass die Kombination unserer Inhalte mit Eurer Beteiligung nicht den Erwartungen und der Zahlungsbereitschaft der Werbekunden entsprochen hat. Wir möchten Euch deshalb ersuchen, nicht etwa zu unseren Konkurrenten im Internet weiterzugehen, sondern Euch an dieser lieblich leeren Website zu erfreuen und alles weitere am Kiosk oder durch ein Abo unserer Zeitschrift zu erfahren, die auch nicht mit stündlichen Updates nervt, sondern einmal pro Woche alles zusammenfasst, von dem wir glauben, dass Ihr es wissen solltet. Am Rand des Papiers ist genug Platz für Eure Anmerkungen, mit denen unsere Journalisten ohnehin wenig anfangen konnten, und uns genügt als soziale Komponente die Einzugsermächtigung. Gerne dürft Ihr natürlich auch mit den zuvorkommenden Callcenterdamen unserer Aboverwaltung plauschen. Auf eventuelle Zweifel an der Weisheit dieser unserer Entscheidung können wir nicht eingehen, weil wir keine Kapazität haben, sie zu beantworten. Unser Communitymanagement ist bis zum Ende der gesetzlichen Kündigungsfrist dabei, in den Mülleimern nach einseitig bedrucktem Papier zu suchen, das wir wiederverwenden können: Auch unsere Rechtsabteilung kann beim Abfindungsausfertigen nicht wertvolles, wunderbar raschelndes Papier verschwenden.”

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Es spricht in Sozialsystemen natürlich nichts gegen einen gewissen Eigennutz, und wer sich bislang auf die Interaktion über Burdawebseiten eingelassen hat, wird durchaus gewusst haben, dass sich damit auch handfeste ökonomische Interessen verbinden. Jeder Kommentar bringt Clicks, Verweildauer und Aufmerksamkeit für Werbung. Aber nachdem der früher umsonst eingeladene Freundeskreis des Hauses Burda nach einigen ganz social Media und digitalem Leben gewidmeten DLD-Konferenzen in diesem Jahr mit vierstelligen Konferenzgebühren konfrontiert wurde, ist die neue, knallhart ökonomische Haltung gegenüber den Lesern nur konsequent und ehrlich. Konsequenz und Ehrlichkeit sind fraglos wichtige Komponenten jeder sozialen Beziehung. Dummerweise sind sie aber auch, gerade wenn sie falsch dosirert werden, bei Scheidungen, Streit und Empörung mit von der Partie. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Balance bei Burda zwischen den ökonomischen Zwängen und dem Umgang mit dem Leser im Netz gefunden wird. Wenn man sich denn gemeinerweise weiter im Internet auf der Suche nach mehr als nur Nachrichten herumtreibt, statt nur Burdas doppelseitig bedrucktes Papier aus dem Arabellapark zu kaufen.