worin sich der Verfasser eyn kleins Scherzleyn erlaubet mit dero
nochverherten, gar stillschweygenten Politikherren undt schlecht
an=gezogenen Internet-Aktyvistten alldie welche nit sehen wollen
welch ächte Problemae allen Bürgern gezeyget werden sollten.
Haben Sie es schon gehört? Nein! Die Topnachricht auf allen Kanälen im Internet! Das Gesprächsthema aller politisch interessierten Netzaktivisten! Seit heute Mittag ist da der Teufel los, es brennt die Luft, es scheppert bei Twitter, und alle Medien, die was auf sich halten, sind auch schon drauf. SPON, Heise, Süddeutsche und jetzt natürlich auch noch wir. Skandal! Ein Anschlag auf die Mitbestimmung der Bürger!
Das ist passiert: Seit Mai 2010 gibt es eine Enquete-Kommission des Bundestages mit dem vermutlich auf Fortschrittlichkeit getrimmten Titel “Internet und digitale Gesellschaft”. Dort sitzen 17 Mitglieder des Bundestages aus eher hinteren Reihen zusammen mit 17 sog. Experten vom richtigen Datenschützer bis runter zur Twittercoacherette oder wie man das nennt, wenn jemand Geld nimmt, um Firmen das Twittern beizubringen. Im September fasste man dort den gleich über eine Pressemitteilung verblasen Plan, in Zukunft Bürgermitsprache im Internet über ein System namens “Adhocracy” einzuführen. Was wie eine seltene Geschlechtskrankheit klingt, setzt sich aus den Begriffen “Ad hoc” – lateinisch für “aus dem Stegreif” – und dem hinterem, für “Herrschaft” stehenden Rest des englischen Worts Democracy (oder auch Cleptocracy? Man kann es nicht sagen.) zusammen. Dazu gibt es auch eine Theorie, die uns hier aber in all der Erregung nicht beschäftigen soll.
Denn mit diesem Beteiligungssystem im Internet, mit dem jeder Bürger Vorschläge und Anmerkungen für die Arbeit der Kommission machen könnte, hat sich nun auch eine andere Parlamentariergruppierung beschäftigt: Die “Kommission für den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechniken und Kommunikationsmedien”, angesiedelt beim Ältestenrat des Bundestages. Dieses Dingens hat nun mit den Stimmen und CDU und FDP Adhocracy den Garaus gemacht: Zu kompliziert, zu schwierig, nicht schnell genug einsatzbereit, und vor allem zu teuer. Statt dessen will man jetzt ein Forum und ein Blog einrichten.
Nun sind Foren und Blogs absolut keine demokratischen Einrichtungen; ein Blog ist eine Art Diktatur des Bloggers, der jederzeit Kommentare rausschmeissen kann, und ein Forum ist eine Einladung für jeden Irren, Kranken, Ahnungslosen, Extremisten und Kinderpornogibtesnuriminternetgläubigen, mal richtig die Sau rauszulassen. Ob dieser Dingenskommission klar ist, wie teuer die Moderation so einer Troll- und Spinnerhölle sein wird? Und was haben solche Wischiwaschi-Projekte noch mit effektivem Vorschlagswesen und Mitbestimmung zu tun? – fragen nicht zu Unrecht erboste Internetaktivisten, und überschwemmen Twitter mit Forderungen nach Mitsprache zu Abgeordneten und Twittercoacherette und was da sonst noch ist. Auch werden erste Rücktrittsforderungen gegen Experten laut, und der Sinn der ganzen Kommission wird als Alibiveranstaltung erkannt. Zusammengefasst: Es sei mal wieder typisch für Deutschland, so eine Veranstaltung mit “digitale Gesellschaft” einzuführen, dafür Experten und solche, die sich dafür halten, alle paar Tage nach Berlin zu bringen, und dann zu knickrig und faul zu sein, an die digitalen Bürger, um die es eigentlich geht, zu denken. Ziemlich nackt stehen jetzt die Mitglieder der Kommission in dem, was man neuinternetdeutsch als “Shitstorm” bezeichnet. Und ich kann nicht ganz umhin zuzugeben, dass der ganze Fall nicht gerade ein schlagender Beweis für Internetkompetenz ist. Ob sich die Politiker schon mal Gedanken um Googlesuchergebnisse und ihre Bedeutung für Jungwähler gemacht haben?
So weit, so vorhersehbar. Der engagierte Internetbewohner schätzt es nicht, wenn er nicht gefragt wird zu Belangen, die er als die seinen betrachtet. Es geht um Deutungshoheit und in welche Richtung das Netz geht, ob es offen bleibt und möglichst transparent für die Gestaltung der Politik eingesetzt wird, ob es Mitsprache erlaubt und den Bürgern mehr Einfluss bietet: Idealerweise, wenn es um Netzthemen geht. Andere Themen….
Nun, andere Themen sehen so aus: Da hat das EU-Nachrichtenportal Euractiv eine Nachricht, die zeigt, wie man jenseits des Shitstorms Politik ohne jede moralinsaure Einmischung betreibt. Glaubt man dem Bericht, handelt es sich dabei um eine “Taskforce einer Arbeitsgruppe”, oder, salopp gesagt, das typische politische Hinterzimmer, in dem wichtige Entscheidungen getroffen werden. Namentlich über den Euro, die Schulden, die Bailouts maroder Staaten, die Steuerpolitik, und angeblich unter starkem Druck der Deutschen ohne Aufmerksamkeit der Medien, aber dafür mit Vertretern, die allenfalls begrenzt demokratisch legitimiert sind, und dennoch bereden, was Parlamente nachher abnicken. Hier sollen Schäubles Schergen der Griechen Gierschlünder stopfen und des Berlusconis Bengel züchtigen, hier wird entschieden, wie der Euro inflationiert und die Staatshaushalte wackeln. Aber am besten redet man noch nicht mal über die Existenz dieser Veranstaltung, die sich sicher nicht die digitale Gesellschaft und ihre Vorstellungen von Offenheit auf die Fahnen geschrieben hat. Es geht dort nicht um Wohltaten, sondern um sehr, sehr schmerzhafte Wahrheiten. Die muss man als Bürger nicht wissen, die erfährt man am besten, wenn es zu spät ist, und nicht mehr in die Schweiz kann.
Nun, jetzt steht es doch im Internet, und ein grosses, bekanntes Blog einer Finanzzeitung verbreitet es weiter. Das Thema ist weitaus bedeutender als die Frage, auf welcher Software welcher Gschaftlhuber Eingaben macht, die andere Gschaftlhuber nur pro Forma zur Kenntnis nehmen. Der Schleier ist gelüftet – und es passiert nichts. Kein Aufschrei. Keine Klage nach Offenlegung und Transparenz, keine Forderung, die Namen der Beteiligten zu nennen, Tagungen zu streamen und ein Forum einzurichten. Niemand will deren private Teile sehen. Hier wird die nächste Milliardenspritze für eine Bank vorbereitet, hier wird die Grundsatzentscheidung getroffen, die zum Sozialabbau führt -Twitter schweigt. Blogger schweigen. Netzaktivisten schweigen. Vielleicht, weil es noch nicht bei Heise oder SPON steht, vermutlich aber, weil es kein Internet ist, sondern etwas, das man verstehen müsste. Ein Aufruf zur Netzneutralität ist schnell mal an eine Kommission geschrieben. Aber wer würde sich, würde man bei der EU derartige Vorgänge offen diskutieren, sich die Mühe machen, die Bilanz einer spanischen Sparkasse durchzugehen. Ah, einer. Und sonst?
Und sonst sind es halt Internetaktivisten. Gibt man ihnen eine App, eine Software, eine Bedienoberfläche, am besten alles auch für Android und iPhone, und sind sie zufrieden, weil sie etwas zum Demokratiespielen haben. Gibt man ihnen darüber ein paar Dokumente, kommen sie sich wichtig vor. Nimmt man es ihnen weg, sind sie beleidigt. Macht man etwas, das sie nicht verstehen, ist es ihnen egal. Putzige Leute. Irgendwann wird auch diese komische Dingenskommission begreifen, dass es reicht, ihnen so eine Software zu geben, damit sie die Offenheit und Transparenz als durchgesetzt erachten. Alles andere macht man dann in Brüssel, in abhörsicheren Räumen, wo es keiner erfährt, wenn man den Iren Angebote macht, die sie nicht ablehnen können. Nur wenn dann die Betroffenen am Ende gegen die Politiker revoltieren – dann werden die Netzaktivisten sagen, dass sie sich per Twitter zur Strassenlaternenschmückung verabredet haben. LOL. Internetdemokratrie halt.