Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

Reden und Schweigen über Rundungen

Als ich bei der FAZ angefangen habe, erschien ein Portrait über mich in einer Medienzeitschrift. Der Autor wollte weg von den weithin bekannten Urteilen über meine Person als schnell entflammbarer Raufbold, und verglich mich von meiner Art her mit dem pfälzischen Politiker Kurt Beck. Er schrieb nicht „fett“ oder „adipös“, er sah da nur eine gewisse Ähnlichkeit im Typus. Seitdem hält sich unverbrüchlich das Gerücht im Internet, ich sei ziemlich fett, und mitunter rede ich selbst auch vom „dicken Don“. Die Wahrheit sieht etwas anders aus – ich war vor dem Interview anderthalb Jahre in Berlin, konnte dort keinen Sport treiben, und kam damals in jene Lebensphase, in der man nicht mehr so leicht und schnell abnimmt. Man versucht es, es geht nicht so richtig, man merkt, dass man kämpfen muss, und bis sich Erfolge einstellen, dauert es etwas. Inzwischen fahre ich die Strecken meiner Jugend auf dem Rennrad wieder mit der Geschwindigkeit meiner Jugend.

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Ich bin nicht dürr. Ich war aber nie ein Kurt Beck. Und langsam beginnt auch das Netz zu ahnen, dass echtes Dicksein nicht ganz mit Touren zusammenpasst, die an einem Tag drei Alpenpässe überwinden. Offen gesagt, und als Blogger sage ich das immer sehr offen, bin ich danach zwar tot, aber was ich damit ausdrücke, ist nicht meine Schwäche, sondern meine Bereitschaft, mich über meine Grenzen hinaus zu quälen, wenn oben nur ein Kaiserschmarrn auf mich wartet. So, wie der Vergleich mit kurt Beck Interpretationsspielräume für Freund und Feind schafft, schafft es auch meine Selbstbeschreibung. Ich mache das aus Gründen des Selbstschutzes, weil es niemanden etwas angeht, wieviel ich wiege, oder welchen Platz ich auf den Ranglisten der Selbstoptimierer habe, die unbedingt als erste auf dem Berg sein wollen. Ich will nicht dick sein, ein wenig Optimierer steckt auch in mir. Ich fühle mich in einer Wolke der Indifferenz eigentlich sehr wohl.

Letzthin habe ich über Frankie goes to Hollywood geschrieben, und über die Bildsprache des Videos von „Relax“. Dort wird ein extrem fetter Mann in jeder Hinsicht als mies, widerlich und verkommen dargestellt. Das Video folgt einer alten, christlichen Bildtradition, die im Fettsein eine Todsünde sieht. Dem Fetten gerät die Situation ausser Kontrolle, und während seine jungen, schlanken Antagonisten wilden Sex haben, ist er zu einer Rolle des impotenten Betrachters verdammt, trotz seiner offensichtlichen Macht. Man könnte die Lehre so beschreiben: Als Fettmops kannst du Diener haben und auf der Sänfte getragen werden, aber trotzdem bist du hässlich, eine abstossende Witzfigur und impotent. Das ist eine sehr eindringliche Botschaft eines Fetischvideos, und gleichzeitig das, was man im Netz gern als „Fat Shaming“ bezeichnet, als Runtermachen von Fetten. Auch die Wikipedia zuckt hier zurück, und bemüht einen formal medizinischen Ausdruck, nämlich „obese“. Auf Deutsch würde man „stark übergewichtig“ sagen, und Wikipedia führt nüchtern wie immer aus:

Obesity is a medical condition in which excess body fat has accumulated to the extent that it may have a negative effect on health, leading to reduced life expectancy and/or increased health problems.

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Auf Bayerisch würde man „rausgfressn“ sagen, als Steigerung von „guad beianand“, auf deutsch dagenen bemüht man das Wort „adipös“ und keinesfalls „Fettsucht“. Und während ich persönlich gut lachen kann, wenn jemand über den dicken Don spricht, sind da andere sehr viel empfindlicher, und besonders im Netz in einer Art Dauererregungszustand. Man darf das nicht sagen, man benachteiligt damit Dicke, und allein, dass ich es hier wage, das Wort beleidigende „Fettsucht“ zu reproduzieren, wird sicher wieder bei einigen zur Forderung nach meiner Entlassung führen. Dabei bin ich Kunsthistoriker mit einem Faible zum Rokoko, und die meisten Damen auf den Gemälden bei mir daheim würden heute als stark übergewichtig gelten – und ich finde das toll. Nur reicht schon ein Wort im Internet, und all die Differenzierung ist vergessen.

Passiert ist so ein Shitstorm jüngst, als ein umstrittener Ex-Piraten-Politiker eine NPD-Kandidatin als adipös bezeichnete. In der Wikipedia darf man heute nicht mehr „fett“ sagen, das könnte jemanden beleidigen und verletzen, und adipös gilt als politische Waffe ebenso als nicht hinnehmbar – das ist intolerant und wird öffentlich verurteilt. Wer sich in diesen Kreisen nicht daran hält, bekommt langfristig fette Probleme. Man sollte sich also schleunigst nach anderen Ausdrucksformen umschauen und das erkannte Problem am besten überhaupt nicht mehr ansprechen. Und da möchte ich eine kleine Geschichte erzählen, denn bevor ich in Berlin war, war ich im genauso scheusslichen Wien, zur Zeiten der Haider-Schüssel-Koalition und während der EU-Sanktionen. Haider, der selbst aus seinem Körper durchaus so etwas wie einen Fetisch machte und gern seine Leistungen in den Vordergrund stellte, hat aus so einem gesamtgesellschaftlichen Diktat der erzwungenen Toleranz nämlich eine wirksame Waffe geschmiedet.

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Er sagte nicht „die Juden“. Das wäre nicht korrekt gewesen, das wäre ihm um die Ohren geflogen. Er suchte sich einzelne Juden heraus und machte Witze über sie, denn Satire darf alles. Wenn aber jemand sagte, dass Satire genau das bei Juden nicht darf, schaltete er um. Dann sprach er von Ostküste. Ostküste ist wie „übergewichtig“ ein sehr flexibles Wort und kann je nach Betrachter sehr viel sein: Die Banken, der Kapitalismus, der World Jewish Congress, ein Landstrich, die Claims Conference, das jüdische Establishment, auch ich, der ich für eine jüdische Zeitung aus New York an der Ostküste in Wien war – genau hat Haider das nie definiert. Und wenn man ihn festnageln wollte, wich er in diesem riesigen Bedeutungsraum aus. Das mit den Juden hat er nicht gesagt, Ostküste ist doch nicht antisemitisch– für seine Anhänger konnte Ostküste alles sein, was sie an Vorurteilen mitbrachten und nichts, wenn er es erklären musste. Jeder See hat eine Ostküste, was soll daran antisemitisch sein? Er war einfach nicht zu fassen.

Gleichzeitig hat Haider aber immer durchscheinen lassen, dass ER Ostküste sagte, weil MAN gewisse Dinge nicht sagen darf, sonst bekommt man Ärger – und sich selbst als Märtyrer verkauft. Das Signal an die nicht antisemitische Mehrheit war: Wenn du etwas über Juden sagst, machen sie dich fertig. Und das hat in dieser Zeit die Folge gehabt, dass man als Ostküstenjournalist laufend vor verschlossenen Türen stand. In diesem Klima wollte niemand zwischen die Fronten geraten. Haider hat sich einen Freiraum geschaffen, in dem er das Verbotene ausdrücken konnte, und zugleich die gewöhnliche Begrifflichkeit für die Mehrheit komplett verbrannt. Er konnte weiterhin frei agieren, seine Anhänger konnten feixen, aber diejenigen, die nicht zwingend auf seiner Seite standen, waren verunsichert. Ein Antagonismus ist kein Problem, wenn er nicht die grosse Mehrheit beherrscht. Aber Haider hat es, das muss man leider sagen, wirklich geschafft, dass sich in diesem Fall die Mehrheit weggedrückt hat, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Seitdem ist das die Blaupause für alle möglichen Rechtsextremisten, damit verkauft man Bücher und

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macht sogar Feminismus. Denn so, wie die Ostküste die Tarnung eines bis zur Vernichtung reichenden Kampfbegriffes war, mit dem jeder seine eigenen Vorbehalte bestätigt sah, ohne sich auf eine nervige Debatte mit Argumenten einlassen zu müssen – so verwenden diejenigen Beleidigten, die heute gegen Fat Shaming antreten, bedenkenlos den Code „alte, weisse Männer“. Das ist unbestimmt auf einer Skala von „missliebiger Kolumnist, der entlassen werden sollte“ über „dreckiger Sexist und Frauenschänder“ bis zum Motto „All men must die“. Sie wissen schon, was damit gemeint ist, und das Signal an andere ist: Haltet da besser die Klappe, zeigt keine Solidarität mit der anderen Seite, sonst geratet ihr zwischen die Fronten, da kann jederzeit geschossen werden, und da werden keine Gefangenen gemacht. Es reicht ja schon, wenn einer, der grosso modo auf ihrer Linie ist, eine NPD-Kandidatin als adipös bezeichnet. Oder ein falsches Hemd trägt.

Wer schlau ist, lernt dazu, passt sich an und sagt es durch verharmlosende Unschärfen und Mehrdeutigkeiten – genau so, dass er nicht mehr angreifbar ist, sich mit einem feixenden „das haben jetzt Sie gesagt“ zurückziehen und zudem die Toleranz der anderen einfordern kann. Diese Strategie entbindet von jeder Debatte und erlaubt es der eigenen Anhängerschaft, ihre Meinung zu behalten, selbst wenn sich dahinter weiterhin alle üblen Stereotypen vom zersetzenden Juden über den sexistischen Kolumnisten bis zur sexuell frustrierten Frauenrechtlerin verbergen können. Aus dieser Position lässt sich dann trefflich über die urteilen, die dazwischen einen offenen Diskurs suchen, der nicht frei von divergierenden Standpunkten sein kann. Klare Meinungen werden dann böse Übergriffe und verbale Gewalt, da muss eine Triggerwarnung hin und wer solche Wörter unreflektiert benutzt, muss zum Nachdenken gezwungen werden. Das ist der scheintolerante, glitschige Kern der Shitstormkultur, und deshalb sollte man fetten Leuten auch nicht sagen, dass sie besser mal rausgehen und richtigen Sport treiben sollen, statt sich im Internet zu empören – die Debatte macht einfach keinen Spass. Und Wikipedia klärt unter Obesity bekannt nüchtern aus, dass sich solche Diskussionsteilnehmer langfristig genauso gesund verhalten wie ein Raser, der mit viel Alkohol im Blut beim Überholen eine SMS schreibt und nicht auf den Betonpfosten im Weg achtet, und daher nicht zu den Debattengewinnern gehört.

Ich lerne schnell,, das habe ich jetzt schön und doch unangreifbar gesagt, weil ich es nicht wirklich gesagt habe – das haben die Leser nur hineininterpretiert. Trotzdem wären mir echte Debatten mit klaren Standpunkten lieber.