Ich möchte Ihnen zu Beginn eine kleine Anekdote erzählen:
Also, kommen einige Rabbiner in eine Bar München zusammen und gerade lustig geht es zu. Es sind einige wirklich kluge Leute, die ganz famose Ideen dazu haben, wie man das jüdische Leben in Europa entwickeln kann. Mit dabei ist natürlich auch die Präsidentin der Gemeinde, und nachdem die Rabbiner gelacht, gestritten, sich ausgetauscht haben und gut miteinander ausgekommen sind, macht die Präsidentin eine Pressekonferenz zum Thema, was denn die Rabbiber, Spezialisten für jüdisches Leben, sich so alles haben einfallen lassen. Da war ich auch und habe Fragen dazu gestellt, wie etwa zu Scheidungen, die meine nichtjüdischen Kollegen nicht verstanden haben, weil sie gar nicht wissen, was da eigentlich das Tolle im Judentum sein soll, oder dass es da überhaupt so eine Einrichtung gibt.
Meine Kollegen fragten statt dessen, wie die Rabbiner, allesamt Koryphäen für jüdisches Leben, denn den Holocaust und den Antisemitismus so sehen. Mehrfach. Dass der britische Vertreter so freundlich war darauf hinzuweisen, dass man hier keine Konferenz zu Fehlleistungen von Nichtjuden abgehalten hätte, hat ihm auch nicht weiter geholfen. Auf diesem Punkt wurde so lang herumgeritten, bis die Rabbiner sagten, dass sie Antisemitismus ablehnen und der Holocaust in Erinnerung bleiben sollte, aber die Scheidungen…
Dreimal dürfen Sie raten, welche Nachricht die nichtjüdischen Medien verbreiteten:
RABBINER WARNEN VOR DEM ERSTARKEN DES ANTISEMITISMUS IN DEUTSCHLAND
Wie gesagt, ich war dabei und habe einen – meines Erachtens entzückenden – Beitrag darüber gemacht, dass das Judentum Scheidungen explizit vorsieht, einige Strömungen da auch enorm moderne Ansätze haben und die uns umgebende, christlich geprägte Gesellschaft unter besonderer Berücksichtigung nicht ganz fremder Wurzeln der Religionen vielleicht ja das ein oder andere Kluge von den Rabbinern mitnehmen könnte. Es war angesichts des sonstigen Medienechos ziemlich egal, aber gemacht habe ich es: Weil der Antisemitismus nicht das Thema der Rabbiner war und weil es extrem ätzend ist, eine Minderheit mit aller Gewalt auf einen einzigen Aspekt zurück zu prügeln, den sie sich weder ausgesucht hat, noch haben will.
Gelernt habe ich das bei Radio Uferlos, einer schwulen Sendung in München, deren Macher schlau genug waren, damals nicht über die CSU-Stöckchen von Päderasten und AIDS zu springen, die ihnen damals so reichlich hingehalten wurden. Uferlos war Freitags um 7 Uhr dran, ich sass da noch von der vorhergehenden Sendung im Büro, und fand die Sendung interessant. Sie war witzig, frech, geistreich und charmant, selbstbewusst und selbstbestimmt, und sprach mich an, obwohl ich mit der grundlegenden Thematik überhaupt nichts anfangen konnte. Die Botschaft war „Wir sind schlauer, sexier, witziger und unendlich viel freundlicher, als die CSU euch mit Uhl, Beckstein und Stoiber einreden will, wir wollen nicht jeden Hetero ins Bett kriegen, wir wollen einfach anständig so leben, wie wir sind. Wir kommen als vielschichtige Bereicherung. Wir sind gut für euch.“
Das ist, wie man am Erfolg der schwulen Bewegung in München und Europa sehen kann, eine schlaue Strategie gewesen, und hat die schwule Bewegung von der strafrechtlich verfolgten Randgruppe der Gesellschaft zum Teil derselben werden lassen, mit Rechten, die nicht einmal die CSU mehr rückgängig machen würde. Für mich war das immer die Blaupause, wie man als aussenstehende Minderheit, egal ob aufgrund der Herkunft, der Religion oder der sozialen Klasse, die eigenen Standpunkte vermitteln kann. Es geht den Schwulen nicht um das Abschleppen von Heteros, den Juden nicht um die Missionierung und mir nicht darum, dass alle an den Tegernsee ziehen und mir meinen Platz im Strandcafe streitig machen – es geht um angstfreien und offenen Austausch. So etwas Fremdes ist ja nie ganz einfach, da sollte es schon eine gewisse Toleranz für Fehlleistungen geben. Und wenn man diese Aussetzer zudem als Chance begreift, über die zugrunde liegenden Anschauungen zu sprechen, kommt man vielleicht sogar viel weiter, als mit simplen Schuldzuweisungen. Die Schwulenverbände wissen nach meinem Erleben ganz genau, warum sie die Verfolgung Homosexueller im Dritten Reich nicht überbetonen: So kann man Vorwürfe machen, aber kein gutes Gespräch. Vorurteile gibt es, und sie werde sich nicht ausrotten lassen – das Ziel der Verständigung sollte es eher sein, einen Umgang miteinander zu finden, in dem die Vorurteile keine Relevanz mehr haben.
Das waren jetzt eigentlich schon zwei Anekdoten und bevor ich Ihnen jetzt erzähle, wie elend schwer es für einen Mann ist, auf Stöckelschuhen zu laufen und wo ich das gemerkt habe, möchte ich doch zum eigentlichen Thema kommen – zum Westfalenblatt und seiner Kolumnistin, deren Trennung gerade im Netz recht höhnisch und von vielen auch frenetisch gefeiert wird. Der Hintergrund ist, dass ein besorgter Vater fragte, ob er seine beiden Töchter als Blumenmädchen zur Hochzeit eines schwulen Paares in seiner Familie schicken sollte. Ich kenne, fürchte ich, ziemlich viele Schwule, die damit mehr als nur leichte Bauchschmerzen hätten, weil sie ganz sicher nicht in Lederkluft gegen Uhl und Co. angetreten sind, damit man am Ende bei diesem Thema nicht mehr an ihren verruchten Darkroom, sondern an Guido Westerwelle und Blumenmädchen denkt, aber das ist mindestens eine andere Anekdote. Wie auch immer, die Ratgeberin bestätigte den Fragenden in der Haltung, seine sechs und acht Jahre alten Töchter dort nicht in Erscheinung treten zu lassen, denn das könnte sie verwirren.
Es gab sicher schon mal klügere Ratschläge und die Formulierung an sich hätte auch eloquenter sein können, aber vermutlich sind das so Fragen, die viele Leute umtreiben, und selbst bei meinem sorgsam gehegten Selbstbild als moralfreier Libertin hätte ich da nicht ohne einen Gedanken gesagt, dass man die Mädchen dort unbedingt eine Funktion übernehmen lassen sollte. Es spielt da vieles mit hinein, wie etwa die frühe Sexualerziehung, und die Frage, ob man ein Fest so feiern sollte, wenn man innere Vorbehalte gegen den Ablauf hat. Es ist nicht einfach. Aber: Das klingt alles nach einem vielschichtigen Thema, da könnte man eine prima Debatte aufziehen, Standpunkte austauschen, es im allgemeineren Diskurs verorten und hoffen, dass hier nun mal Dinge zur Sprache kommen, die sonst nur verdruckst vermieden werden – statt dessen gab es erst einen Shitstorm im Netz, ausgelöst erst durch die Website queer.de, dann aber vor allem durch eine überzogene Darstellung durch Charlotte Obermeier, bis vor kurzem? Sprecherin der Grünen Jugend Berlin. Dann eine Rechtfertigung des Westfalenblatts, noch einen Shitstorm, besonders mit den im deutschen Netz weithin bekannten Social Justice Warrior_Innen – und nun ist das Westfalenblatt mit dem Rückgrat einer Qualle eingeknickt und hat die Zusammenarbeit mit der Autorin beendet. Dafür bekam Frau Obermeier dann den ausdrücklichen Dank ausgerechnet von Volker Beck von den Grünen – hier auch im Screenshot. Ob ihm die ablenkende Hatz so ganz unwillkommen zu einem Zeitpunkt ist, da die Grünen gerade von ihrer Vergangenheit eingeholt werden, kann man dahin gestellt sein lassen.
Für die vorgeführte Autorin des Westfalen-Blatts spielt das keine Rolle: Jetzt ist es aktenkundig, dass eine derartige Haltung in Bezug auf Minderjährige bei einer schwulen Hochzeit nicht nur als homophob durch das Netz gepeitscht wird, sondern auch direkte berufliche Konsequenzen hat. Für die Autorin ist das mehr als nur rufschädigend, obwohl ihr Standpunkt vermutlich immer noch auf der liberaleren Seite der Bevölkerung zu verorten ist – echte Homophobe hätten das Thema erst gar nicht gebracht. Die elende Shitstormkultur des Netzes hat jeden Dialog über das Thema vernichtet, und durch einen sozialen Druck ersetzt, in dem jede falsche Äusserung zu schweren Konsequenzen führen kann. Das Ergebnis wird nicht sein, dass man das Thema offen bespricht, sondern die Kinder lieber in den Sprachurlaub weit weg verfrachtet und dann heimlich AfD wählt. Es wird das gleiche betretene Schweigen herrschen, wie wenn Rabbiner gezwungenermassen etwas über Antisemitismus sagen. Aber man kann auch Recht haben, ohne den anderen moralisch zu unterjochen. Das Judentum zum Beispiel kennt die Pflicht, jede auch noch so abseitige Lehrmeinung zu bewahren und ernst zu nehmen, weil man nicht wissen kann, ob sie nicht später einmal doch richtig sein wird. Sogar das frühe Christentum sah es als notwendig an, die antichristlichen Schrift des Porphyrios zu bewahren, um darüber debattieren zu können. Da ging und da geht es bis heute um die besseren Argumente.
Aber das mundtot machende Rechthaben bringt überhaupt nichts beim Kampf gegen den Antisemitismus, und ich glaube auch nicht, dass dieser schäbige Netzvorgang den Anliegen ebenjener Schwulen hilft, deren Seite mit dem Homophobiegeschrei im Netz angeblich ergriffen wird. Bei Homophobievorwürfen ist es wie mit den Antisemitismusvergleichen: Da agiert oft genug ein Mob der Selbstgerechten, die weder jüdisch noch homosexuell sind, und trotzdem dürfen sie sich moralisch überlegen fühlen – Trittbrettfahrer wie die Antideutschen, um die die jüdischen Gemeinden aus besten Gründen einen grossen Bogen machen. Die Folgen, die Denkverbote, das Schweigen, die Verwerfungen im Diskurs müssen dann diejenigen ausbaden, für die das Thema mehr als ein Tweet im Internet ist. In diesem Augenblick tobt sich eine breite moralische Mehrheit des Netzes aus. Morgen sind die Minderheiten wieder Minderheiten, die einen zähen, langen und kompromissbereiten Dialog suchen müssen. Und dieser Dialog wäre Westfalen oder Bayern sehr viel leichter , wenn auf der anderen Seite nur mittelandersdenkende und für das Thema wenigstens nicht komplett vernagelte Autorinnen wie jene wären, die das Westfalenblatt dem Mob über den Rand des menschlichen Anstandes jetzt vorgeworfen hat.