Jeder kennt vermutlich die klassische Filmhandlung über gefährliche Wesen aus dem Weltall: Ziemlich faschistische Aliens kommen auf die Erde, werden zuerst nicht wirklich als Bedrohung aufgefasst und unterschätzt, bis sie dann beginnen, den Planeten mit fiesen Taktiken zu unterwerfen. Die Menschen leisten erst erbittert, aber wenig erfolgreich Widerstand, bis dann durch Zufall ein Alien den Menschen in die Hände fällt, und auf Schwachstellen, Pläne und Absichten untersucht werden kann. Den Menschen ist dann bewusst, was sie sich da aus den Weiten des Alls eingefangen haben, entwickeln eine Gegenstrategie und wehren sich letztlich erfolgreich dank ihrer Lernfähigkeit. Am besten haben mir die bei Jodelmusik zu grünem Schleim zerplatzenden Alienköpfe in Mars Attacks gefallen, und vielleicht gibt es ja auch deshalb im jodelfreudigen Bayern so wenige Aliens.
Ich will nicht sagen, dass es da einen Kausalzusammenhang mit der niedrigen Genderistinnenrate im Oberland gibt. Aber während man in Berliner und Hamburger Gazetten noch darüber diskutiert, wie weit es in Ordnung ist, wenn bei der Metoo-Debatte Männer unschuldig oder generell unter die Räder geraten – Kollektivschuld ist übrigens auch so eine totalitäre Einstellung – ist im fernen Washington gerade eine führende Aktivistin etwas vorschnell mit dem Herausposaunen der Ziele ihrer Bewegung gewesen. Wenig erstaunlich ist die Strategie ein Problem – weniger für Leute wie mich, die es prima finden, wenn ihre Beiträge in der ARD-Kantine so gut ankommen wie das Jodeln bei Aliens. Sondern für diejenigen Männer, die glauben, es könnte so etwas wie ein friedliches Übereinkommen mit Pussyhat-Trägerinnen geben.
Der Anlass ist ausgesprochen hässlich und bestätigt ein wenig den Verdacht, dass die Metro-Bewegung auch gezielt von der rechten Seite befeuert wird, um Linken zu schaden. Jedenfalls wusste ein rechter Politikberater schon Stunden vorher, dass der beliebte demokratische Seantor und vormalige Comedystar Al Franken Probleme wegen des Vorwurfs sexuellen Fehlverhaltens bekommen würde. Tatsächlich meldete sich dann das frühere Modell und die jetzige Radiomoderatorin Leeann Tweedan zu Wort: Franken habe sie während einer Reise zur Truppenunterhaltung nach Afghanistan im Jahr 2006 gegen ihren Willen umklammert und ihr einen Zungenkuss gegeben. Ausserdem wartete sie mit einem Photo auf, das bei der offiziellen Dokumentation der Reise entstanden war, und einen grinsenden Al Franken zeigt, der scheinbar nach den Brüsten der in Flakweste und Helm gekleideten und schlafenden Moderatorin greift.
Al Franken entschuldigte sich zweimal für das Bild, und erklärte sich bereit, den Vorfall vom Senat untersuchen zu lassen. Was er nicht getan hat, war das, was sofort von vielen Aktivistinnen gefordert wurde: Franken sollte zurücktreten. Darin waren sich die meisten Feministinnen mit den Rechtsauslegern der US-Politik und Donald Trump einig. Für die Republikaner ist Franken ein rotes Tuch, weil er nicht nur populär ist, sondern seinen Sitz im Senat in einem konservativen Staat mit sehr knapper Mehrheit gewonnen hat, und vermutlich bei den nächsten Wahlen wegen seiner Beliebtheit auch behalten wird. Der Skandal kam für die Breitbarts und Aktivistinnen dieser Welt genau zum richtigen Zeitpunkt, um die Nachfolge von Franken anzutreten.
Nur gab Franken eben nicht nach, und bekam Unterstützung. Hillary Clinton stellte sich öffentlich hinter ihn. Seine ehemaligen Mitarbeiterinnen im Showgeschäft veröffentlichten einen Brief, in dem sie ihre Solidarität ausdrückten und Frankens Umgang mit Frauen lobten. Der Leibwächter von Franken auf der Reise bestritt die Anschuldigungen ebenso. Die Anklägerin dagegen sah sich Kritik ausgesetzt, als weiteres Material der fraglichen Truppenbetreuung auftauchte. Es gibt ein Bild des vermutlich kritisierten Kusses auf offener Bühne, wo sie sich, vorsichtig gesagt, nicht eben wehrt. Es gibt ein Bild, in dem Tweedan offensichtlich einem Gitarristen beim Auftritt auf der Bühne an das Gesäss greift und sich an ihm reibt. Und es gibt ein Video, in dem sich Tweedan ebenfalls auf der Bühne dem verheirateten Schauspieler Robin Willams an den Hals wirft, ihn mit einem Bein umklammert, und küsst. Der Eindruck, die Truppenbetreuung der US-Armee sei generell ein wenig von sexuellen Andeutungen geprägt, ist nicht ganz zu bestreiten. Nach dem Bekanntwerden der Bilder akzeptierte Tweedan schnell die Entschuldigung von Franken, und Breitbart, Präsident Trump und Konsorten versuchen weiterhin, ihn gegen den Fall des republikanischen Politikers Roy Moore auszuspielen.
Damit wäre der Fall erledigt – gäbe es nicht die Washington Post, die sich mittlerweile an der Spitze der Social Justice Bewegung positioniert, und uns wie bei Aliens nebenbei einen Blick in die Hirne der totalitären, neuen Mächte erlaubt. Daher hat sie auch die Autorin Kate Harding zu Wort kommen lassen – eine Demokratin, die nach Eigenangabe “Rape Culture” studiert und die Auffassung von toxischer Maskulinität vertritt, also die Überzeugung, dass die ganze Gesellschaft von Vergewaltigungsakzeptanz geprägt sei. Sie kann da als Expertin im eigenen Lager gelten, ihr Buch nennt sich: “Asking for It: The Alarming Rise of Rape Culture–and What We Can Do about It”. Der Artikel heisst, und das klingt im ersten Moment durchaus versöhnlich, “I’m a feminist. I study rape culture. And I don’t want Al Franken to resign.” Der Artikel erschien auf dem Höhepunkt der Erregung, und noch vor der Erkenntnis, dass bei den Vorwürfen etwas faul ist, und wurde begeistert aufgenommen. Weil er den Blick vom Einzelfall hebt und eine Gesamtstrategie erkennen lässt. Alte, weisse Männer wie ich, die Vergleiche zwischen bösartigen Aliens und Genderistinnen nicht ausdrücklich ausschliessen, sind damit übrigens gar nicht gemeint. Harding geht es um Liberale.
Denn die Republikaner, so Harding, seien ohnehin unbelehrbar und würden sich nur gegen Frauen engagieren. Den überwältigenden Wahlerfolg von Donald Trump bei weissen Frauen ignoriert sie dabei, und erklärt, dass sie selbst Demokratin ist. Aber nicht, weil sie bei den Demokraten die richtige Politik erkennt, sondern nur, weil deren Amtsträger nicht immer etwas gegen Frauen tun, und im Vergleich zu den Republikanern etwas besser sind. Sie will nicht, dass Franken zurücktritt – aber die Gründe sind beachtenswert. Harding argumentiert, dass es in ihrer Partei noch viele weitere Fälle von Amtsträgern geben könnte, die bei ähnlichen Vorwürfen zurücktreten müssten, wenn Franken seinen Hut nimmt. In diesem Fall müssten die Gouverneure in den fraglichen Staaten neue Senatoren bestimmen, und un einigen dieser Staaten sind die Gouverneure keine Demokraten, sondern Republikaner, die auch Republikaner bestimmen können – es droht also eine weitere Erosion der Macht der Demokraten. Dieses taktische Kalkül spricht Harding ganz offen an, und erklärt dann, wie sie sich die weiteren Geschicke von Franken und anderen mit Vorwürfen konfrontierten, demokratischen Politikern vorstellt:
Sie sollten bis zum Ende ihrer Amtszeit im Senat bleiben und die Zeit nutzen, daheim eine Nachfolgerin aufzubauen. Diese Nachfolgerin sollte natürlich feministisch, links, queer und für Minderheitenrechte sein, und vielleicht auch noch einer benachteiligten Minderheit angehören. Leute wie Franken sollten sich bis dahin auf einen – so interpretiere ich das – Canossagang begeben und versuchen, in ihrer verbleibenden Zeit bei den Harding genehmen Randgruppen Vergebung und Erleuchtung zu suchen, wie man das halt so macht, wenn man zu Kreuze kriecht. Republikaner sind ohnehin verdammt. Aber Demokraten dürften, wenn sie ihre Fehler bitterlich bereut und den Platz zum richtigen Zeitpunkt geräumt haben, und ihre Wahlkampfmaschine den neuen Herrscherinnen den Sieg gebracht hat, als Elder Statesmen das Privileg geniessen, das Unvermeidliche getan zu haben und der wahrhaft richtigen Entwicklung nicht im Weg gestanden zu sein. Nach diesem Plan kann laut Harding eine Art Vergebung der Frauen mit pinkfarbenen Mützen erreicht werden.
Wie gesagt, die Karriere von Franken soll wegen eines 11 Jahre alten, gestellten Fotos und eines angeblich unerwünschten Zungenkusses eines Komikers vor seiner Zeit als Senator beendet werden, nicht etwa wegen millionenschwerer Korruption, des Berliner Flughafens, einer Stasi-Mitarbeit oder eines Sexualverbrechens. Es ist nicht viel nötig, um eine erfolgreiche politische Karriere nach Harding zu zerstören, und durch eine Machtübernahme von denen, die sich betroffen fühlen, zu ersetzen. Was Harding da vorschnell gefordert hat, bevor der Vorwurf in Misskredit kam, und was ihren Kolleginnen gefallen hat, ist keine Gefahr für echte sexistische Monster, aber sehr wohl für alle, die sich um die Stimmen, Unterstützung und wohlmeinenden Texte der Hardings dieser Welt bemühen müssen. Hier sind nicht nur die Maßstäbe besonders streng, und die Bereitschaft, dem angeblichen Opfer sofort und ausschließlich zu glauben, besonders hoch – wie auch beim politischen Gegner.
Trump hat die Affäre um seine “grab them by the pussy”-Aussagen bei der Wahl nicht wirklich geschadet, aber für Demokraten, die sich auch um das Lager der linken Aktivisten bemühen müssen, können solche Vorwürfe tatsächlich das Ende bedeuten. Sei es, weil dort die Losung gilt, alle männlichen Politiker seien Schweine und müssten durch politisch richtige Minderheiten ersetzt werden. Oder sei es, dass Gerüchte über angebliche Zungenküsse nach 11 Jahren gezielt gestreut werden, um im parteiinternen Nominierungsverfahren Konkurrenten auszuschalten.
Franken hat so einen Anschlag schon früher überlebt, als ihm Republikaner einen Beitrag im Playboy über Porno vorgehalten haben, und es sieht so aus, als würde er auch diesmal den Zangenangriff durch die Steve Bannons und Kate Hardings dieser Welt überstehen. Aber die bedenkliche Erkenntnis bleibt, dass es bei Metoo längst nicht mehr um individuelle Verfehlungen geht, sondern ganz konkret um die Durchsetzung umfassender politischer Ideologien, und um die Ausschaltung derer, die sich nicht konform verhalten. Erwartet wird Unterwerfung. Demut und Akzeptanz der anderen Seite, und es ist leicht, weil momentan alle Maßstäbe verrutscht sind: Echte Sexualverbrecher werden auf eine Stufe mit jenen gestellt, die sich nicht konform mit der Genderideologie verhalten, und Aktivistinnen gehen in den Medien mit vagen Drohungen hausieren, sie könnten noch viel mehr erzählen. In den USA sind es die Anhängerinnen des Mattress Girls und des UVA-Hoaxes, in Deutschland die Leute, die Team Gina Lisa waren und sich für einen falschen Vergewaltigungsvorwurf stark gemacht haben. Der Liberale kann sich da sicher konform verhalten und unterwerfen, um den aktuellen Gesinnungsterror zu überstehen – auch so eine Szene gibt es in Mars attacks.
Die anderen sollten vielleicht besser das laute und standhafte Jodeln lernen.