In den letzten vier Jahren habe ich so einiges erlebt. Zum Beispiel, dass die SPD selbst die Vorratsdatenspeicherung gegen den erklärten Willen diverser Parteigliederungen in den Koalitionsvertrag mit der CDU schreiben liess. Die gleiche SPD stimmte basisdemokratisch über das Gesamtpaket ab, ich lehnte es wegen der VDS ab – Gabriel hat gewonnen, mir reichte es, und ich trat nach fast 30 Jahren aus der Partei aus, und betrachtete den Niedergang von der Seitenlinie aus. Die Partei kassierte vor dem EuGH eine Schlappe , der Justizminister behauptete, mit ihm werde es keine VDS mehr geben, und dann propagierte diese Partei aus eigenem Willen eine Mindestspeicherfrist. Der gleichen Partei war es völlig egal, dass bei CETA und TTIP fundamentale digitale Bürgerrechte zugunsten von politiknahen Lobbyisten geopfert wurden. Die Partei machte sich auch keine erkennbare Mühe, die Besetzung des Datenschutzbeauftragten im Bund mit einer kompetenten Person zu fordern, oder den NSA-Skandal aufzuklären. Asyl für Snowden gab es natürlich nicht, dafür durfte mit Unterstützung der SPD wirklich jeder andere kommen, und die SPD-regierten Länder NRW und Berlin zeigten dann im Fall Amri, wie wenig sie dazu in der Lage sind, die auf Kosten der Bürgerrechte erreichten Mittel praktisch einzusetzen. Wer sich wegen der Amris Sorgen machte, war für Sigmar Gabriel schnell “Pack”, und SPD-Politiker finanzierten im Netz Propagandaaktionen wie “Doppeleinhorn“ oder die Sprachpolizei “No Hatespeech”. Die letzten Jahre, die SPD und die Bürgerrechte – das war schon so ein spezielles Thema.
Ach so, und beim nationalen IT-Gipfel forderte Gabriel unter dem 1984er Neusprechwort “Datensouveränität” auch schon mal eine Aufweichung des Datenschutzes zugunsten wirtschaftlicher Interessen. Um so mehr erstaunt es mich 4 Jahre nach dem Parteientscheid und einer krachenden Niederlage für Gabriel, dass besagter Herr jetzt nicht nur eine früher dem Pack überlassene Debatte zu “Heimat” und “Leitkultur” in der abgewirtschaftsminsterten SPD fordert, sondern über seine Partei auch noch sagt, “Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit”. Ganz so, als ob die pollerverstellten Weihnachtsmärkte nicht Folge der den Terror früher verharmlosenden CDU/SPD-Asylpolitik gewesen wäre, sondern dem Umstand geschuldet seien, dass es einen gut begründeten Widerstand gegen den Datenhunger der Regierung und ihrer Freunde bei der NSA und den Konzernen gibt.
Die Nachwahlbescheidenheit der SPD ist offensichtlich vorbei, sie will wieder in die Regierung, und statt Erneuerung sagt der Hauptverantwortliche für die Wahlniederlage, wo es jetzt weitergeht: Mehr innere Sicherheit bei weniger Datenschutz und gleichzeitigem Familiennachzug für Leute, die kein politisches Asyl erhalten haben, sondern nur subsidiär schutzbedürftig sind. Und natürlich soziale Gerechtigkeit für alle. Das will die SPD, im Gegensatz zu Bürgerrechten wie freier Rede, und wie die freie Rede dank der SPD ruiniert wird, sieht man seit ein paar Tagen bei Twitter. Da gibt es nämlich eine neue Meldemaske für Beiträge, die man denunzieren möchte, und die sieht so aus:
Twitter wurde vom Bundesjustizminister Heiko Maas und einer grossen Mehrheit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag per Netzwerkdurchsetzungsgesetzt NetzDG dazu gezwungen, eine privat organisierte Vorzensur für seine Dienste einzuführen. Das Gesetz ist kompliziert, höchst umstritten und wird möglicherweise vom Bunderverfassungsgericht außer Kraft gesetzt, weil es staatliche Zensurbemühungen verschleiert und an private Firmen delegiert. Aufgrund der Tragweite ist die Materie höchst komplex, aber jeder normale Twitternutzer kann nun jede Aussage jedes anderen Nutzers bei der Zensurstelle mit Berufung auf das NetzDG denunzieren. Einfach so. Der Minister überträgt die verfassungsrechtlich fragwürdigen Eingriffe auf die sozialen Netzwerke, Twitter überträgt die Hilfe bei der Vorabzensur auf die Nutzer. Jeder, wirklich jeder, vom Islamisten bis zum ántideutschen Bombenbefürworter, bekommt damit ein weiteres Mittel gegen ihm unangenehme Meinungsäußerungen in die Hand gedrückt. Denn die Communitystandards bei Twitter sind deren eigenes Problem. Aber das Zensurgesetz von Maas sieht eindeutig Strafen für die Netzwerke vor, wenn sie ihrer Löschverpflichtung nicht rasch nachkommen. Jeder kann erst einen anderen denunzieren – und wenn Twitter nicht spurt, kann sich jeder beschweren, dass Twitter seinen Aufgaben nicht nachkommt. Dafür gibt es demnächst auch ein eigenes Formular.
Die deutsche Geschichte lehrt von Oskar Panizza bis Anetta Kahane, dass, wenn die Gelegenheit zur Denunziation geboten wird, auch diejenigen zu finden sind, die regen Gebrauch davon machen. Es ist vermutlich kein Zufall, dass kurz nach dem Angebot von Twitter an seine Nutzer der meines Wissens Erste den Erfolg des Gesetzes bei der Beseitigung von Nutzern mit anderer Meinung bestätigte:
Das #NetzDG funktioniert:
* Auffälligen Neonazi-Account mit über 5.000 Followern reportet. Ein einziger Tweet genügte.
* Twitter-Reaktionszeit: 3 Stunden (yeah!)
* Twitter-Maßnahme: Account komplett gelöscht (yeah!)Endlich!
Neonazis die Reichweite abschneiden!— Matthias Oomen ?? (@OomenBerlin) December 15, 2017
Der Autor des Tweets freut sich in einer Antwort darüber, dass Twitter jetzt gleich ganze Accounts löscht, und zwar “sogar im Zweifel”
Seit einigen Tagen ist da mehr Tempo drin. Und sie löschen die Accounts. Sogar im Zweifel. :D
— Matthias Oomen ?? (@OomenBerlin) December 15, 2017
Was einen anderen so erfreut, dass er jetzt auch die Arme hochkrempeln will.
Bin ich ja platt…. Diese Verwarnungs- und vor allem Withheld-Makulatur war ja echt erbärmlich.
Prima. Das lässt mich die Ärmel wieder hochkrempeln :)— Vollkommen?bunt (@zart_besided) December 15, 2017
Daraufhin sprechen sich Oomen und sein Bekannter ab, wie sie strategisch am besten vorgehen:
Aber seid vorsichtig! Nehmt euch die Zeit und sucht euch gezielt die "besten" Stücke eurer besonderen Bekannten raus. Nur so sind die Accounts definitiv fällig und es fällt nicht auf euch selbst zurück (Missbrauch wird bestraft!).
Ggf. sollten wir überlegen, wir uns aufteilen.— Matthias Oomen ?? (@OomenBerlin) December 16, 2017
Denn sein Partner mag das Anlegen von “privaten Listen”
Ich mag private Listen ?
— Vollkommen?bunt (@zart_besided) December 16, 2017
Der angebliche Melder schweigt sich trotz Nachfrage sich dazu aus, welcher angebliche Account mit 5000 Followern es wegen eines einzigen Tweets gelöscht worden sein soll. Auch ist unklar, was der Account gemacht haben soll, um ihn als “Neonazi” zu bezeichnn. Das Problem an der Geschichte ist die Person desjenigen, der hier gemeldet hat: Es handelt sich ausgerechnet um den Grünen-Politiker Matthias Oomen. Oomen erreichte bundesweit eine gewisse Aufmerksamkeit für sein eigenes Twitterverhalten, das sogar den Grünen peinlich war. Ganz im Stil der antideutschen Antifa äußerte er sich über den Fund einer Bombe aus dem 2. Weltkrieg in Dresden, das nach Ansicht von Linksextremisten erneut von den Alliierten bombardiert werden sollte:
In #Dresden ist #FliegerbombeDD in den Trends? Das lässt ja hoffen.
Do!
It!
Again!— Matthias Oomen ?? (@OomenBerlin) September 30, 2016
Auch gutes Zureden der grünen Parteiprominenz brachte Oomen weder zu einer Entschuldigung noch zu einer Löschung des Tweets, der vermutlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, aber angesichts der Freude über einen Bombenfund ganz offensichtlich alle Kriterien sogenannter Hatespeech erfüllt. Es stellt sich die Frage, wie jemand mit dieser Einstellung beurteilen will, was ein “Neonazi” ist. Aber Twitter scheint sich, wenn man Oomen ernst nimmt, nicht daran zu stören, dass von feindlichen Lagern gezielt versucht wird, politische Gegner bei Twitter auszuschalten.
Davon ist offensichtlich auch Facebook betroffen: Wenn es um Islamismus geht, werden schnell Inhalte, die eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, rabiat gelöscht, und die Verfasser teilweise auch gesperrt. In den letzten Tagen hat der Bann den von Erdogan-Anhängern gezielt angefeindeten Ali Utlu getroffen:
Facebook hat mich wegen diesen Postings wiedereinmal 30 Tage gesperrt. Ich werde wohl mein Profil wieder löschen. Gelenkte Meinungsfreiheit ist keine Freiheit. pic.twitter.com/o9qz09BHiY
— Ali Utlu (@AliCologne) December 15, 2017
Mein harmloser Beitrag verstößt anscheinend gegen Community Standards von Facebook. Das ist nur ein Beispiel von Dutzenden.
Echter Hass und Morddrohungen bleiben trotz Meldung stehen.#NetzDG pic.twitter.com/vOLNsXkGjM
— Ali Utlu (@AliCologne) December 16, 2017
Er reiht sich damit in die lange Liste anderer Personen und Gruppen ein, die von Facebook am Publizieren gehindert wurden, von der agnostischen Richard Dawkins Foundation bis zu all jenen Fällen, die der Anwalt Joachim Steinhöfel veröffentlicht und teilweise gegenüber Facebook bzw. Twitter mit recht gutem Erfolg vertritt. Tatsächlich ist das Problem der gezielten Denunziation politischer Gegner spätestens seit dem Zeitpunkt bekannt, als Anhänger der Identitären Bewegung das Facebook-Profil der linken Autorin Stefanie Sargnagel meldeten und dadurch abschalten liessen. Das war vor dem Beschluss des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Seitdem nimmt die Zahl der Eingriffe auch gegen prominente Personen deutlich zu. Noch nicht einmal Medien sind vor den Nachstellungen sicher: Als die Basler Zeitung lediglich in Frage stellte, ob es mehr als zwei Geschlechter gäbe, griff Facebook nach Spam-Meldungen offensichtlich rigoros durch.
Die Profiteure der Zensur sind nicht nur antideutsche Bombenfreunde, Erdogans Handlanger und feministische Mobs, sondern auch exakt jene Politiker, die für diese Eskalation verantwortlich sind: Denn in den Statistiken, mit denen die Netzwerke ihre Effektivität bei der Umsetzung des NetzDG beweisen, werden derartige Fälle dann tatsächlich als rigoroses Vorgehen gegen Neonazis, rechte Islamfeinde und Sexisten auftauchen. Und Politiker wie Heiko Maas und Sigmar Gabriel können damit begründen, warum der Eingriff in die Meinungsfreiheit der Bürger im Internet wichtig war: Man zeigt das an den vielen Löschungen, die die Netzwerke jetzt unter dem Druck des Gesetzes vornehmen müssen.
Wer die vom NetzDG profitierenden Denunzianten sind, die dahinter stecken, und was sie antreibt, steht natürlich in keiner Statistik und in keiner moralisch aufrüttelnden Politikerrede, man müsste zur Förderung der inneren Sicherheit im Netz möglichst früh gegen die Gefahren des Hasses aufstehen. Und auch in keinem Antrag auf Fördergelder partei- und regierungsnaher NGOs für den Kampf gegen den angeblichen “Hass im Netz”.
Auf die Frage, wie man mit gezielte Meldungsabsprachen durch Oomen und andere reagiert, hat Twitter nicht geantwortet.