Dieses Blog gibt es schon seit ein paar Jahren, und noch nie habe ich hier eine Geschichte gestohlen. Das hier jedoch ist der letzte Beitrag an dieser Stelle, und Ehre und Anstand haben nur wenig Nährwert, habe in in letzter Zeit gelernt – deshalb werde ich nun eine Geschichte ohne Quellenangabe stehlen. Ich bin in der Toskana fern meiner Bibliothek, ich glaube, Herbert Rosendorfer hat sie erfunden, und ich entschuldige mich natürlich für die Übernahme.
Jedenfalls gab es einmal eine Abtei, die einen besonders guten Wein unter einem besonders guten Abt kelterte. Die Abtei hatte die besten Weinberge und Abnehmer in höchsten Kreisen, aber das war nicht alles: War der Wein gepresst und in Fässer gefüllt, zerschnitt der Abt seine alten Stiefel und warf die Stücke in die Fässer. Eines Tages starb er, und sein strenger Nachfolger beendete diese Tradition sofort. Der neue Wein war daraufhin ungenießbar, und bei Hofe, wo man sonst huldvoll das Getränk lobte, ärgerte man sich über den sauren Tropfen ohne Charakter und Esprit. Jahrelang versuchte das Kloster mit allen Mitteln, die Qualität zu steigern, aber es gelang nicht. Irgendwann schlich der mürbe gewordene neue Abt in das Gewölbe und setzte wieder zerschnittene Stiefel zu – und siehe, es wurde besser. Aber nie mehr so gut wie früher.
Ich erzähle das, weil die Gegenwart ganz ähnlich ist: Es gab einige sehr freundliche Angebote zur Fortführung des Blogs bei anderen Medien, allerdings oft unter dem Hinweis, man hätte gern die Texte, aber nicht die Kommentare. Im Prinzip wäre das eine Gelddruckmaschine: Bei meinen Blogs sind die Texte selbst die geringste Arbeit, selbst wenn ich nicht stehle. Vier von fünf Stunden Arbeit nimmt das Gegenlesen, Beantworten, seltenst auch mal das Löschen oder Editieren der Kommentare in Anspruch. Es ist eine Frage der Mentalität, was man als Journalist machen will: Sieht man sich als Verkünder, kann man die Kommentare ganz schliessen oder nur jene durchlassen, von denen man denkt, sie wären anspruchsvoll genug. Oder sieht man sich als Communitymanager, als Hüter in einem Zirkus der Meinungen: Dann ist man Malocher im Kommentarbergwerk, Plauderer, Danksager, Dompteur und Schlichter in einer Person, und mit 10 Beiträgen im Monat vollauf beschäftigt. Meine Blogs hatten in den letzten zwei Jahren im Schnitt über 500 Kommentare pro Beitrag. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: 400 Kommentare am Tag sind das Maximum, das man wirklich betreuen kann.
Insofern verstehe ich es, wenn manche Redaktionen inzwischen sagen, sie verzichten ganz auf die Kommentare, Und ich denke auch, dass es wenig Sinn macht, Kommentare zu haben, die nicht wenigstens ab und zu vom Verfasser des Textes betreut und beantwortet werden. Der Verfasser ist schließlich Stichwortgeber und erster Ansprechpartner in einer Person, und man sollte schon auch den Mut haben, seine eigene Meinung zu erklären: Mit der Möglichkeit zum Editieren und Löschen hat man immer noch eine Machtposition, und man kann auch einfach mal nicht antworten. Die Stellung des Autors ist privilegiert, man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man selbst in den Ring steigt oder, was häufiger ist, danke für das Lob sagt.
Natürlich gibt es auch Kommentatoren, die, für sich betrachtet, keine reine Freude sind, aber ich denke, man muss das ganzheitlich sehen. Fleisch hat Fettes und Mageres, im Stollen sind Zitronat und Nüsse, ich habe hier gerade Feigen-Panforte gekauft, obwohl Mandeln drin sind… so ist das das auch mit den Kommentaren, Nicht jede Zutat muss für sich alleine schmecken. Es kann auch nicht jeder gleich schlau sein. Wenn man es aber gut macht, wenn man gut miteinander umgeht, kann das Niveau schon recht ansprechend sein.
Besonders in einer Zeit, in der abweichende Meinungen gern mal dem Shitstorm, siehe Tellkamp, oder der Entlassung, man denke an Thomas Fischer bei der Zeit, zum Opfer fallen. Es ist kein Wunder, dass die SZ nicht nur die Kommentare geschlossen hat und jetzt betreutes Diskutieren über vorgegebene Themen anbietet. Leute, die ich dort kenne, und die nicht auf der Linie der Redaktion und der jüngeren Radikalen liegen, erzählen mir, dass sie gewisse Themen nicht mehr vorschlagen, weil klar ist, dass man sich damit keine Freunde macht. Ich denke, es gibt bei dem Beschneiden von Sichtweisen ein Folgeproblem bei den Kommentaren: Werden Verbrechen wie in Kandel oder Freiburg zu lokalen Ereignissen herunter gestuft, werden Proteste in den Medien als “friedlich” bezeichnet, während die Polizei bei Twitter schreibt, die Autonomen, die manche Politiker loben, hätten Beamte angegriffen und verletzt, ist es ziemlich offensichtlich, dass etwas nicht richtig funktioniert, und wird gleichzeitig von “Faktencheckern” dagegen gehalten, die selbst eine politische Agenda nahe der Antifa haben, fallen die Kommentare um so unangenehmer aus. Das Spektrum der Meinungen wird ja nicht anders. Medien geben nur einen gewissen Bereich auf, das Publikum ermächtigt sich in Kommentaren, das Spektrum abzubilden. Manche Medien ziehen dann die Reißleine, schließen die Kommentare ganz und verstärken den Eindruck, eine Diskussion sei nicht erwünscht. Dabei ist die Debatte eigentlich eine gute Sache, auch wenn es für manchen Redakteur keine reine Freude sein mag, sich mit den Mobs, die da teilweise auf allen Seiten auch unterwegs sind, zu beschäftigen.
Ich mache diese Arbeit jetzt schon ziemlich lange und kenne noch ene Zeit vor 20 Jahren, da war man überwältigt, wenn sich fünf Leute nach einem Beitrag meldeten. Kommentare sind immer auch ein Zeichen, ob man als Journalist den Nerv getroffen hat, und ich wage es zu behaupten, dass man fähig sein sollte, jedes Thema so aufzubauen, dass die Leser sich ermuntert fühlen, sich zu äußern: Nichts ist im Journalismus schlimmer als die Gleichgültigkeit, die einem als völlig austauschbarer Informationssklave entgegen gebracht wird. Es ist nun mal nicht mehr so, dass man Teil einer Zeitung ist, und, egal wie gut oder schlecht man arbeitet, mitgekauft wird. Für die einen Kollegen in meinem Alter wäre die Entlassung das Ende, ich sitze hier und muss immer noch freundliche Absagen schreiben. Auch an Medien, die nicht im Verdacht stehen, jemanden wie mich haben zu wollen: Ich nehme aus dem Gesprächen mit den Verantwortlichen mit, dass die Notwendigkeit der thematischen Stiefelschnitzel im Wein durchaus verstanden wird, man hat nur Probleme, dafür eine passende Stiefelmarke zu finden. Aber wenn um Kommentare und deren Freischaltung geht, die leider oft als der Dreck erachtet werden, der solchen Stiefeln anhaftet: Da ist man dann doch meistens ziemlich vorsichtig und reserviert. Ma will gute Zahlen, aber keinen Ärger. Man möchte Debatten, aber keine harte Kritik. Man will den Wein zum Preis des Wassers.
Das ist menschlich nachvollziehbar, aber ich denke, wer einen menschlichen Job will, hat im Journalismus, der noch kommen wird, wenig verloren. Das war früher vielleicht anders, aber die Medienkrise und das Internet sind nun mal keine Streichelzoos. Am Ende muss es wieder Menschen geben, die sagen: Ja, aus diesem und jenem Grund bin ich bereit, für diese Leistung auch im Netz zu zahlen, und wenn es für die Kommentare und diesen speziellen Autor ist, dann finde ich das gut. Alles andere führt in den Abgrund der von Reichen als Machtmittel gekauften Presse, der in Amerika und der Türkei sichtbar wird. Oder in den Gremiensumpf der angeblich öffentlich-rechtlichen Medien mit den verhassten Zwangsabgaben und dem abstoßenden Geschacher der Politiker und ihrer Seilschaften um Macht, Einfluss und Komplizenschaft.
Natürlich ist auch eine zu enge Leser-Autoren-Bildung nicht ohne Risiko, und der Gedanke, für Geld der Leser direkt zu schreiben, ist in meinen Augen nicht schön: Ich hasse bekanntlich alle Menschen gleich und glaube nicht, dass der normale Leser für Unangenehmes empfänglicher als der normale Lokalpolitiker ist. Will man so etwas beruflich machen, ist ein dazwischen geschaltetes Medium meines Erachtens immer noch die beste aller möglichen Welten – mag sein, dass ich da in zwanzig Jahren auch anders denke, denn wenn mir vor 20 Jahren jemand erzählt hätte, ich würde heute zwei recht erfolgreiche Blogs zu einem anderen Medium transferieren, inmitten einer öffentlichen Debatte um meine Person und einer sensationellen Menge der Hilfsbereitschaft – ich hätte das nie geglaubt. Aber ich bin hier auf der Welle der Kommentare geritten und ich weiß auch, was für ein gutes Gefühl es ist, wenn sie heranbrandet. Ich mag das, und es ist etwas schade, dass zumindest in Deutschland momentan eher gebremst wird.
Der eigentliche Punkt ist: Inzwischen ist so gut wie jeder im Internet. Was man als Kunden bekommen kann, hat man, und der Aufwand, der für weitere Zugewinne an Klicks getrieben werden muss, ist immens und führt oft in die Abhängigkeit von Google und Facebook. In einem System, in der so viel für die Gewinnung von Lesern getan wird, muss man sich auch überlegen, wie man die Leser halten kann. Agenturmeldungen und verrammelte Kommentarmöglichkeiten sind da sicher nicht hilfreich, und bei der Entwicklung eines Mediums als eine Art Heimat im digitalen Raum wird man mit Schweigezwängen nicht bestehen. Ich hoffe, ich konnte da zusammen mit den Gastautoren in den letzten Jahren ein Gegenmodell anbieten, den Lesern zum Genuss und den Kommentatoren zum erfreulichen Austausch. Ich bedanke mich bei Frank Schirrmacher, der das alles möglich gemacht hat, und bei den Kollegen Mathias Müller von Blumencron und Michael Hanfeld, deren vollkommen berechtigtes Zähneknirschen bei manchem frechen Beitrag und abseitiger Bemerkung nicht ungehört blieb, und die mir eine grossartige Hilfe waren.
Es war eine phantastisch Zeit, und ich wäre dankbar, den ein oder anderen demnächst an einem anderen Ort wieder als Leser und Kommentator begrüssen zu dürfen.
Diesmal bleiben Kommentare leider unbeantwortet – meine Tätigkeit
endet heute um 24 Uhr, danach kann ich nichts mehr
freischalten, und was noch zu sagen wäre,
geschieht an einem Ort des neuen
Anfangs. Danke für alles,
gern geschehen,
Don Alphonso.