Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Ökonomen im Gespräch (1): Rüdiger Bachmann über die moderne Makroökonomik, DSGE-Modelle und die Rolle von Theorie und Empirie in der VWL

Wie überholt ist die Volkswirtschaftslehre? Der Aachener Ökonom Rüdiger Bachmann gehört zur Generation der Volkswirte, die den Mainstream gut kennen. Im Interview spricht er über die moderne Makroökonomik, die umstrittenen DSGE-Modelle und die Rolle von Theorie und Empirie in der VWL. Von Gerald Braunberger

Seit Ausbruch der Krise hat die Kritik an der Mainstream-Ökonomik zugenommen. Was ist an dieser Kritik berechtigt? Rüdiger Bachmann (Foto: Peter Winandy) ist Mitglied der Generation junger deutscher Makroökonomen, die ihre Karriere in den Vereinigten Staaten begonnen haben – deshalb ist er mit den Positionen des Mainstreams bestens vertraut. Als Forscher interessiert er sich für die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einzelwirtschaftlicher Friktionen und einzelwirtschaftlicher Heterogenität. In letzter Zeit analysiert er verstärkt Umfragedaten, um wirtschaftliche Unsicherheit und Erwartungsbildung besser messen zu können. Seit kurzem hat Bachmann auch begonnen, als “Lumpenökonom” sein eigenes Blog zu betreiben, dem wir an dieser Stelle viel Erfolg wünschen.

 

Von Gerald Braunberger

Herr B Rüdiger Bachmann - Foto: Peter Winandyachmann, Sie waren rund zehn Jahre in den Vereinigten Staaten, haben in Yale Ihren PhD gemacht und unter anderem in Michigan als Assistenzprofessor gearbeitet. Seit Frühjahr 2011 sind Sie Professor für Wirtschaftswissenschaften an der RWTH Aachen. Hat sich die Volkswirtschaftslehre (VWL) in Deutschland in den zehn Jahren Ihrer Abwesenheit verändert?

Ja, eindeutig. Schon aus demografischen Gründen: Zu meiner Studentenzeit waren viele VWL-Professoren gediegene ältere Herren mit Anzug und Krawatte. Heute sind viele Professoren zwischen 30 und 40 und vom Habitus her sehr verschieden. Verändert hat sich auch die Forschungslandschaft. Wer heute eine Professur anstrebt, braucht Publikationen in angesehenen internationalen Fachzeitschriften. Das war früher nicht unbedingt so.

Die Zahl der VWL-Professuren in Deutschland ist rückläufig. Wohin führt das?

Ich vermute eine weitere Konzentration und die Bildung von Forschungsschwerpunkten, wie wir sie heute schon in Köln, Bonn, Frankfurt oder Mannheim haben. An vielen anderen Universitäten wird es möglicherweise irgendwann nur noch zwei oder drei Lehrprofessuren geben, die als Dienstleister arbeiten und kaum forschen. Eine solche Aufgabenverteilung kann durchaus auch sinnvoll sein.

Ist die deutschsprachige VWL in den vergangenen Jahren im internationalen Vergleich wettbewerbsfähiger geworden?

Zum Teil ja. Die deutschsprachige VWL hat sich ausdifferenziert; die Unterschiede zwischen den deutschsprachigen Universitäten sind größer geworden.

Wir wollen nicht zu sehr über die Vergangenheit reden. Aber da Sie eine bedeutende Rolle in dem vor wenigen Jahren ausgetragenen “Methodenstreit” gespielt haben: Hat dieser Methodenstreit die Art und Weise, wie VWL in Deutschland betrieben wird, beeinflusst?

Nein, aber das war auch nicht zu erwarten. Die Wissenschaft entwickelt ihre Methoden organisch aus sich selbst heraus und wird nicht durch die Veröffentlichung von Manifesten beeinflusst, wie wir sie im Methodenstreit gesehen haben.

Gibt es “die” VWL überhaupt oder ist die moderne VWL nicht eher eine Ansammlung von Teilgebieten mit Teiltheorien?

Die VWL ist uneinheitlicher geworden. Angesichts der Komplexität der Fragen liegt das in der Natur der Sache. Allerdings sind wir nicht in der Situation wie vor 50 Jahren, als Mikrotheorie und Makrotheorie zwei völlig verschiedene Gebiete waren. Die Makrotheorie ist heute mikroökonomisch fundiert und ich sehe auch nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Dafür sind Bereiche wie Experimentalökonomik oder Verhaltensökonomik im Mainstream angekommen. Diese Ausdifferenzierung ist für eine reife Wissenschaft typisch.

Eine umfassende volkswirtschaftliche “Grand Theory” ist also nicht zu erwarten?

Eine solche Theorie wird es meines Erachtens nicht geben. Das ist auch nicht der Zweck unserer Arbeit. Zum einen arbeiten Ökonomen an Modellen für Prognosen, aber das ist nicht unsere zentrale Aufgabe. Unsere wichtigste Aufgabe besteht in der Entwicklung von Modellen, um Mechanismen qualitativ und quantitativ zu verstehen. Das könnte eine umfassende Theorie des menschlichen Verhaltens gar nicht leisten.

Gibt es innerhalb des Mainstreams methodologische Debatten? Ich las ein Papier von Harald Uhlig, in dem er beispielsweise den alten Streit um Induktion oder Deduktion für unbedeutend erklärte.

Solche Debatten gibt es durchaus.

Haben Sie Beispiele parat?

Es gibt eine Debatte um Arbeitsweisen in der angewandten Mikroökonometrie. Soll man einfach Kausalzusammenhänge erklären, für die man keine komplizierte Theorie braucht, oder soll man bestehende Theorien testen?

Ich denke, hier brauchen wir ein konkretes Beispiel für Nicht-Experten.

Nehmen wir die berühmte Arbeit von David Card und Alan B. Krueger über die Bedeutung von Mindestlöhnen in der Fast-Food-Industrie in Pennsylvania und  New Jersey, in der die Autoren zu dem Schluss kamen, dass die Einführung von Mindestlöhnen kaum den Arbeitsmarkt beeinflusst. Das war eine empirische Arbeit, der kein komplexes ökonomisches Modell zugrunde lag. Eine andere Herangehensweise bestände darin, von einem komplexen ökonomischen Modell auszugehen und auf der Basis dieses Modells empirisch zu arbeiten. Es gibt Auseinandersetzungen darüber, welcher Ansatz der bessere ist. Umstritten ist auch die Bedeutung von Feldexperimenten in der Entwicklungsökonomik.

Wie sieht es in Ihrem Fachgebiet, der Makroökonomik, aus?

Wir führen kaum noch methodologische Debatten. Umstritten ist nach wie vor, welche politischen Schlussfolgerungen aus der Arbeit mit den makroökonomischen Modellen zu ziehen sind.

In der Makroökonomik dominieren die sogenannten DSGE-Modelle, die bei manchen Beobachtern umstritten sind. Können Sie einem interessierten Laien die Grundlagen eines DSGE-Modells erklären?

DSGE-Modelle bilden bestimmte Elemente der ökonomischen Realität ab wie die Präferenzen von Menschen, die Technologie, die Märkte und die von den Teilnehmern am Wirtschaftsleben abgeschlossenen Verträge. Für den Rest können wir uns an dem Akronym abarbeiten.

Gut, dann fangen wir mit dem “D” von DSGE an.

D (“Dynamic”) heißt, dass wirtschaftliches Geschehen aus der Zukunft betrachtet wird. Man geht davon aus, dass menschliches Verhalten heute von den Erwartungen der Menschen über die Zukunft beeinflusst wird. Das unterscheidet die Ökonomik von allen Naturwissenschaften. Für das heutige Verhalten eines Teilchens in der Physik ist nicht entscheidend, was morgen mit diesem Teilchen geschehen wird.

Verbirgt sich hinter dieser Annahme das Postulat des stets rational handelnden Individuums, das alle verfügbaren Informationen über die Zukunft besitzt?

Für mich ist in DSGE-Modellen entscheidend, dass heutiges Verhalten von Menschen von ihren Erwartungen über die Zukunft beeinflusst wird. Ob man diesen Menschen als voll rational oder mit Informationsbeschränkungen modelliert, ist eine nachgelagerte Frage.

Wofür steht das “S”?

S (“Stochastic”) bedeutet, dass die Menschen die Zukunft nicht perfekt kennen, sondern dass Risiko oder Unsicherheit in wirtschaftlichen Entscheidungen eine Rolle spielt.

Hier würden manche Kritiker streng zwischen Risiko, das sich als Wahrscheinlichkeitsverteilung darstellen lässt, und Unsicherheit im Sinne von Frank Knight und John Maynard Keynes unterscheiden, bei der man schlichtweg nichts kalkulieren kann.

Die normalen DSGE-Modelle berücksichtigen Risiko. Man kann aber auch Unsicherheit in DSGE-Modellen einbauen, wie es etwa Martin Schneider, ein deutscher Ökonom an der Stanford University, gerade tut.

Dann bleibt noch “GE” zu erklären…

GE (“General Equilibrium”) steht für ein allgemeines Gleichgewicht, das aus meiner Sicht auch zu sehr in die Kritik geraten ist. Es geht hier nicht um die Annahme, dass sich Märkte immer in einem Gleichgewicht befinden. Es geht um die Darstellung der Interdependenzen zwischen Einzelmärkten. In einem DSGE-Modell ist es nicht zulässig, zum Beispiel alleine die Folge einer geldpolitischen Änderung für den Geldmarkt zu untersuchen. Man fragt sich auch, welche Folgen eine solche Politikänderung für Arbeits- und Gütermärkte besitzt. Durch die Darstellung dieser Interdependenzen werden die Modelle makroökonomisch. Außerdem bedeutet General Equilibrium, dass man in makroökonomischen Modellen möglichst nichts versteckt im Hintergrund lässt, sondern die Wirtschaft umfassend abzubilden versucht.

Wie stehen Sie zur Kritik an DSGE-Modellen?

Man muss zwischen der Modellierungsphilosophie und den konkreten Modellen, wie sie in der Politikberatung eingesetzt werden, unterscheiden. Für mich ist die Modellierungsphilosophie wichtig: die einzelwirtschaftliche (mikroökonomische) Fundierung, die Rolle von Erwartungen, die Berücksichtigung von Risiko oder Unsicherheit und die Interdependenz von Märkten. Hinter diese Grundsätze sollte die Makroökonomik nicht mehr zurückgehen. Dass die konkreten DSGE-Modelle verbesserungsfähig sein mögen, wird kein Makroökonom bestreiten.

Gibt es Alternativen zu DSGE-Modellen?

Ich sehe zur Zeit kein alternatives Modell, das auf völlig anderen Grundannahmen beruht und von der Mehrheit der Makroökonomen akzeptiert werden könnte.

Kommen wir zu den konkreten DSGE-Modellen. Eine Kritik lautet, dass in ihnen der Finanzsektor eine zu geringe Rolle spielt.

Das Schöne an der DSGE-Modellierungsphilosophie besteht darin, dass man dort zusätzliche Module wie zum Beispiel einen Finanzsektor anbauen kann. Das ist wie ein Baukastensystem. Daran arbeiten Makroökonomen gerade. Übrigens haben sie das auch schon vor der Krise getan. Da gab es unter anderem Arbeiten von Bernanke und Gertler und von Bernanke, Gilchrist und Gertler, aber auch von anderen Autoren.

Und warum hat man diese Arbeiten vor der Krise nicht zur Kenntnis genommen?

Die waren schon damals wichtig, aber ein bisschen etwas für Spezialisten, weil viele nicht zu Unrecht glaubten zumindest in den Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Entwicklung vor der Krise ohne die Berücksichtigung von Finanzmärkten erklären zu können. Man brauchte erst eine Finanzkrise, um die Bedeutung von Finanzmärkten für die Konjunktur in entwickelten Volkwirtschaften auch quantitativ identifizieren zu können.

Eine weitere Kritik an DSGE-Modellen zum Beispiel von radikalen Keynesianern lautet, dass diese Modelle auf der neoklassischen Theorie beruhten. Man wisse aber schon seit den Arbeiten von Léon Walras, dass die Neoklassik nichts Vernünftiges mit Geld anfangen könne.

Natürlich besitzen DSGE-Modelle einen neoklassischen Kern, aber durch die Berücksichtigung von Preis- oder Lohnanpassungsfriktionen spielt auch Geld eine Rolle.

Werden diese Modelle durch solche Erweiterungen nicht irgendwann zu komplex?

Die Gefahr besteht, dass die Modelle intellektuell so komplex werden, dass die hinter den einzelnen Mechanismen stehenden Effekte nicht mehr klar erkennbar sind. In solchen Modellen passiert einfach zu viel. Aus einer rein akademischen Sicht stehe ich daher solchen DSGE-Modellen reserviert gegenüber. Aber mir ist natürlich klar, dass die Realität sehr komplex ist und die Zentralbanken für ihre Geldpolitik Modelle brauchen, die diese Komplexität abbilden. Hinzu kommt, dass die Informationstechnologie immer mehr Möglichkeiten zur Berechnung sehr komplexer Modelle bietet. Hier existiert eine Arbeitsteilung zwischen Ökonomen, die eher Grundlagenforschung betreiben und Ökonomen, die anwendungsorientierte Modelle für Zentralbanken entwickeln.

Wie viel leisten solche Modelle für die Politikberatung? Volker Wieland und Maik Wolters haben kürzlich von einem Vergleich zwischen alten und neuen Modellen berichtet. Etwas vereinfacht: Den Konjunktureinbruch 2008 hat demnach fast kein Modell gesehen, aber so ziemlich alle Modelle haben die Erholung ab 2009 prognostiziert.

Mit den ökonomischen Modellen ist es wie mit den Klimamodellen: In der langfristigen Prognose sind wir gar nicht schlecht. Über die Bestimmungsgründe langfristigen Wirtschaftswachstums wissen wir einiges, und da gibt es kaum noch Auseinandersetzungen zwischen Ökonomen. Auch wenn DSGE-Modelle ganz gut darin sind, die Entwicklung nach einem ökonomischen Schock abzubilden, tun wir uns aber schwer damit, kurzfristige Entwicklungen zu analysieren.

Warum?

Einmal erschwert die Komplexität des wirtschaftlichen Geschehens eine kurzfristige Prognose. Dazu treten Rückkopplungseffekte, die aus der Tatsache entstehen, dass Menschen heutiges Verhalten an ihren Erwartungen über die Zukunft ausrichten. Daher ist die zeitliche Abfolge von Finanzkrisen auch so schwer vorherzusagen.

Da würden Vertreter außerhalb des Mainstreams – Austrians ebenso wie Anhänger von Minsky – einwenden, dass sich alleine durch die starke Zunahme des Kreditvolumens ein schwerer Sturm anbahnte, auch wenn man vielleicht nicht genau den Tag des Ausbruchs des Unwetters vorhersagen konnte.

Der Vorwurf, dass es in der Mainstream-Theorie weder Krisen noch Bubbles gäbe, ist aber falsch. Es gab schon viele Jahre vor der Krise Bubble-Modelle, denen rationales Verhalten zugrunde lag.

Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass der Mainstream vor der Krise kaum mehr auf monetäre Aggregate geschaut hatte, die für die Erklärung der Krise möglicherweise nicht ganz irrelevant sind.

Ich weiß, dass dieser “Frankfurter Monetarismus” Ihr Steckenpferd ist. Kann sein, dass man die Bedeutung von Kreditmengen unterschätzt hat. Der Nobelpreisträger George Akerlof hat aber die berechtigte Frage aufgeworfen, ob man alle notwendigen Daten über Kreditmärkte besitzt. Es kann sein, dass aggregierte Daten nicht reichen und man Mikrodaten benötigt, die schwer zu erhalten sind. Davon abgesehen kann die Makroökonomik sicherlich vom Studium der Vergangenheit profitieren, wie die Arbeiten von Reinhart/Rogoff oder Moritz Schularick zeigen. Die Wirtschaftsgeschichte haben wir möglicherweise zu sehr den Mikroökonomen überlassen.

“This Time is different” von Reinhart/Rogoff ist ein Beispiel für sehr viel Empirie ohne Theorie. Die beiden Autoren sagen: “Die Erfahrung zeigt, dass bei einer Staatsverschuldung ab 90 Prozent des BIP das Wirtschaftswachstum anfängt zu leiden.” Ist dieses theoriefreie Arbeiten ein neuer Trend?

Das ist ein alter Trend. Das Zeitalter der großen abstrakten Theorie ist international seit 30 Jahren vorüber. Das ist ein Grund, warum ich in den Methodenstreit eingegriffen hatte, als unsere Gegenspieler behaupteten, moderne internationale Ökonomik bestehe hauptsächlich aus theoretischer Spielerei. Diese Behauptung ist international schon seit Jahrzehnten falsch. Es mag über einige Zeit einen deutschen Sonderweg gegeben haben, weil die Bonner Theoretiker, die sehr modellbasiert gearbeitet haben, viele Lehrstühle in Deutschland, darunter auch makroökonomische, besetzt hatten. Aber das ist vorüber. So viel empirisch wie heute wurde noch nie in Deutschland gearbeitet. Das hängt auch mit zwei anderen Entwicklungen zusammen: Zum einen werden die Computer besser, und es gelingt Ökonomen immer häufiger, Zugriff auf große Datensätze aus Verwaltungen zu erhalten. In den Vereinigten Staaten arbeiten Forscher mit Datensätzen aus der amerikanischen Sozialversicherung und der Steuerstatistik. Da tun sich völlig neue Möglichkeiten auf.

Und was macht man mit solchen Daten?

Wenn man etwas über Einkommensverteilung wissen will, braucht man in Amerika Daten über die Gruppe der paar hundert Superreichen. Die einzige Möglichkeit, hier zuverlässige Informationen zu erhalten, bietet die Einkommensteuerstatistik, wobei die Daten natürlich anonymisiert sind.

Das bringt mich zu einem anderen Vorwurf an die moderne Ökonomik: Sie beschäftige sich zu wenig mit Verteilungsfragen.

Für die moderne Makroökonomik gilt der Vorwurf zumindest nicht in Gänze. Zum Beispiel hat Dirk Krueger, einer der bekanntesten deutschen Makroökonomen, viel an Verteilungsthemen gearbeitet. Das gilt auch für Nicola Fuchs-Schündeln. Auch hier bewährt sich Arbeitsteilung. Es´gibt aber auch makroökonomische Fragestellungen, bei denen Verteilungsfragen möglicherweise keine so große Rolle spielen.

Gibt es in Ihrer Branche einen Zwang zu konformem Denken? Darf man als junger Ökonom nicht am Mainstream kratzen, wenn man auf wichtige Konferenzen eingeladen werden oder in namhaften Fachzeitschriften publizieren will?

Das ist eine sehr deutsche Kritik, die fehl geht. Früher gab es in Deutschland eine kleine VWL-Gemeinde, in der ein paar Lehrstühle definieren konnten, was wissenschaftlich en vogue war. Heute ist der Wissenschaftsmarkt so international und so groß, dass er sich gar nicht abschotten ließe. Soll man sich etwa vorstellen, dass sich die Herausgeber von Fachzeitschriften wie der American Economic Review, dem Journal of Political Economy und dem Quarterly Journal of Economics gegenseitig anrufen und absprechen, bestimmte Arbeiten nicht abzudrucken? So funktioniert das einfach nicht.

Genau so wird es sích der Verschwörungstheoretiker aber vorstellen, auch wenn er keinen einzigen Herausgeber einer internationalen Fachzeitschrift kennt.

Das ist doch völlig naiv. Natürlich ist es nicht immer leicht, neue Ideen auf Anhieb in Fachzeitschriften zu publizieren. Man muss sich auf den Hosenboden setzen und interessante Arbeiten anbieten über Themen, die andere Ökonomen interessieren. Allerdings gibt es Leute, die gleich die ganze Wirtschaft und Gesellschaft verändern wollen. Dafür eignen sich wirtschaftswissenschaftliche Fachzeitschriften nun einmal nicht. Dort sind eher Themen gefragt wie: Wie hoch ist der Fiskalmultiplikator? Ist er einem Boom ebenso hoch wie in einer Rezession? Spielt es eine Rolle, ob der Staat die Investitionen oder den Konsum verändert? Das sind Fragen, die viele Ökonomen interessieren, auch wenn es auf sie keine endgültige Antwort geben mag.

Von außen wird viel Kritik an der modernen Ökonomik geäußert. Was sagen die Studenten?

An der Technischen Hochschule in Aachen bilden wir keine Volkswirte aus, weil wir Dienstleister für die Wirtschaftsingenieure sind. Aber an Universitäten, an denen Ökonomen ausgebildet werden, gibt es Studenten, die sich deutlich äußern. Grundsätzlich finde ich Studenten gut, die den Laden aufmischen. Nur darf man nicht zu undifferenziert kritisieren.

Was meinen Sie damit?

Beispielsweise sagen Zweitsemester: “Ökonomen beten immer nur den Markt an.” Da sollte man vielleicht erst einmal sein Studium durchziehen und abwarten, ob im Verlauf nicht auch einmal Alternatives wie eine Vorlesung Informationsökonomik oder Experimentalökonomik angeboten wird. Am Anfang muss man die Grundlagen lernen. Anders geht es nicht.

 

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