Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die ökonomische Logik des Euro

Erklärungsversuche, wonach die Europäische Währungsunion nur politische Begründungen habe, sind "Mythen". Die Fakten sind anders: Der Euro besitzt ein wirtschaftliches Fundament, das sich aus der dominierenden Rolle des Dollar ableitet. Warum ist in der Währungsunion einiges schief gelaufen? Weil sich die Politiker gegenüber den Experten durchgesetzt haben. Wer behauptet dies alles? Harold James: Der bekannte Währungshistoriker war in Frankfurt zu Besuch. FAZIT war dabei.

Harold James, gebürtiger Brite und seit vielen Jahren Professor an der renommierten amerikanischen Princeton University, hat im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte viel über Banken- und Währungsgeschichte geschrieben – nicht zuletzt über deutsche Themen. Sein neues Buch (“Making the European Monetary Union”), das er am Mittwochabend im Rahmen einer Veranstaltung des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt vorstellte, greift auf die Entstehungsgeschichte der monetären Integration in Europa zurück, die lange vor der Einführung des Euro begann. James thematisiert vor allem die wirtschaftliche Logik des Projekts, die sich aus der amerikanischen Hegemonie ableitet, sowie einen Dauerkonflikt zwischen Politik und Fachleuten.

James unterscheidet drei Phasen auf dem Weg zum Euro, die allesamt mit dem Dollar zusammen hängen und mit der Furcht von Politikern, extreme Schwankungen flexibler Wechselkurse könnten Abwertungswettläufe und Kapitalverkehrskontrollen provozieren und damit die Gefahr eines Rückfalls in das Chaos der Zwischenkriegszeit erzeugen:

 

1. Bretton Woods bricht zusammen – in Europa entsteht der Werner-Plan

Das die ersten Jahrzehnte der Nachkriegszeit dominierende Festkurssystem von Bretton Woods geriet ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in Schwierigkeiten, weil die Amerikaner als Führungsmacht Inflationspolitik betrieben, mit der viele andere Länder unter anderem in Europa nicht einverstanden waren. Zu dieser Zeit entwickelten in Europa Fachleute unter Führung des luxemburgischen Premierministers Pierre Werner den sogenannten Werner-Plan, der eine europäische Währungsunion bis zum Jahr 1980 vorsah. Als Bretton Woods Anfang der siebziger Jahre kollabierte, sah sich die europäische Politik allerdings nicht zu einem so weitreichenden Schritt in der Lage, sondern bevorzugte kurzfristige Arrangements für Wechselkursstabilisierungen wie die sogenannte “Schlange”.

 

2. Ende der siebziger Jahre: Amerika betreibt Abwertungspolitik – in Europa entsteht das EWS

Die Vereinigten Staaten hatten in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg den Eindruck vermittelt, der Wechselkurs des Dollar interessiere sie nicht wirklich. Der Fachbegriff hieß “benign neglect”. Ende der siebziger Jahre entstand allerdings der Eindruck, die Amerikaner strebten einen schwachen Dollar an, um ihren Export zu fördern. Nun sprachen Fachleuten von “malign neglect”. In dieser Zeit verständigten sich der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt auf ein europäisches Festkurssystem mit im Prinzip anpassungsfähigen Wechselkursen und der Absicht, dieses Währungssystem in eine Währungsunion zu überführen: das Europäische Währungssystem (EWS) war geboren. James sieht hier allerdings bereits einen Konflikt zwischen Politik und Fachleuten: Das EWS war ein Projekt der Politiker, aber die Deutsche Bundesbank war davon nicht begeistert und hatte sich das Recht ausbedungen, nicht an Devisenmarktinterventionen teilzunehmen, wenn sie die heimische Geldwertstabilität bedroht sah. Aus der Sicht James war das EWS damit “fundamentally flawed”, auch wenn es lange Bestand hatte.

 

3. Mitte der achtziger Jahre: Die Abwertung des Dollar setzt in Europa Überlegungen in Gang, die zu Maastricht und zum Euro führten

Der amerikanische Dollar wertete in der ersten Hälfte der achtziger Jahre deutlich auf, ab 1985 aber stark ab. Damals versuchten die führenden westlichen Industrienationen, durch internationale Vereinbarungen (“Plaza” und “Louvre”) Zielzonen für die Wechselkurse zu definieren, um übergroße Kursschwankungen zu verhindern. Weil aber der Bau eines stabilen Währungssystems damals global nicht möglich war, versuchte der damalige französische Wirtschafts- und Finanzminister Edouard Balladur ***), einen Plan wenigstens für eine engere währungspolitische Kooperation in Europa zu erstellen. In diesem Dokument, das eher technischen Charakter besaß, sieht James einen wesentlichen Schritt hin zum späteren Euro, da sich in Deutschland Außenminister Hans-Dietrich Genscher und der EU-Kommissionspräsident Jacques Delors für das Projekt erwärmten. Die europäischen Staats- und Regierungschefs installierten die sogenannte Delors-Kommission, die mehrheitlich aus Zentralbankpräsidenten (darunter Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl *) gebildet war und ansonsten drei andere Fachleute umfasste. Diese Kommission legte im April 1989 den sogenannten Delors-Plan vor, der einen dreistufigen Übergang zu einer Wirtschafts- und Währungsunion beschrieb.

Ganz wichtig aus dieser Sichtweise von James: Die auch in Deutschland bekannte Verschwörungstheorie, wonach Frankreich im Zuge der deutschen Einheit die Idee der Europäischen Währungsunion entwickelte, um Deutschland zu entmachten, stimmt zeitlich nicht. Der Delors-Bericht lag bereits im Frühjahr 1989 vor, als kaum jemand an eine deutsche Wiedervereinigung innerhalb kurzer Zeit gedacht haben dürfte.

James zeigt, und das ist interessant, wie innerhalb der Delors-Kommission von Fachleuten bereits zwei Themen diskutiert wurden, die für die Währungsunion spätestens im Verlauf der aktuellen Krise von Bedeutung wurden:

1. Man hatte in der Kommission wenig Vertrauen in die Fähigkeit von Kapitalmärkten, Mitgliedsländer vor einer exzessiven Verschuldungspolitik abzuhalten. Daher hielt man finanzpolitische Regeln für wichtig. Die Politik allerdings beschloss zwar Fiskalregeln in den Maastricht-Verträgen, die aber völlig arbiträr waren – es gibt keine ökonomische Begründung, warum das Limit der Neuverschuldung exakt bei 3 Prozent des BIP liegen soll **) und der Schuldenstand bei höchstens 60 Prozent des BIP – und überdies bald von den Politikern in der Praxis aufgegeben wurden. Heute wird das Thema wieder diskutiert -wobei die Ideen von einer Art Rückkehr nach Maastricht bis zu einer regelrechten Fiskalunion mit der Aufgabe nationaler Hoheitsrechte reichen.

2. In der Kommission gab es Stimmen, die in einem Währungsgebiet mit freien Finanzmärkten die Bildung europäischer Banken und damit die Notwendigkeit einer Bankenregulierung auf europäischer Ebene vorher sahen. Zu diesen Befürwortern gehörten interessanterweise die Briten, während die Deutschen (aber nicht nur sie) bremsten. Nationale Interessen verhinderten den Aufbau einer europäischen Bankenaufsicht. Heute ist auch dieses Thema auf der Agenda – nun aber gleich in Gestalt einer Bankenunion, die über eine Bankenaufsicht hinaus geht.

Heute, in der Krise, muss man somit die Probleme lösen, die Fachleute schon Ende der achtziger Jahre thematisiert hatten, die von den Politikern aber unterschätzt wurden.

 

*) Die Zentralbankpräsidenten waren offiziell als Individuen Mitglied der Kommission und nicht in ihrer Funktion als Zentralbankpräsident. Ursprünglich sollte Pöhl statt Delors den Vorsitz erhalten, um auf diese Weise de facto stärker die Bundesbank in das Projekt einzubringen, aber Pöhl winkte ab.

**) Die Geschichte des 3-Prozent-Kriteriums ist bemerkenswert: Der damalige französische Finanzminister Jacques Delors hatte dieses Kriterium im Jahre 1983 für die französische Finanzpolitik vorgesehen, weil nach Berechnungen von Ökonomen Frankreich bei einer solchen Neuverschuldung damals in der Lage sein sollte, einen stabilen Wechselkurs mit Deutschland im EWS aufrecht zu erhalten. Knapp zehn Jahre später, in Maastricht, holte der französische Verhandlungsführer Jean-Claude Trichet dieses nahezu vergessene Kriterium aus der Schublade und setzte sich durch. Denn das deutsche Konzept des Artikels 115 GG, wonach nur Investitionen durch Schulden finanziert werden dürfen, ließ sich nicht auf Europa üertragen, weil es keine einheitliche Definition des Begriffs öffentliche Investitionen gab.

***) Einer der wichtigsten Mitarbeiter Balladurs war damals Jean-Claude Trichet.