Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Den Erben geht’s gar nicht so gut

Ungleichheits-Forscher Thomas Piketty gerät zunehmend unter Druck. Dabei stammt die wichtigste Kritik ausgerechnet von einem Studenten.

Thomas Piketty© ReutersThomas Piketty

Matthew Rognlie ist 26 Jahre alt, studiert im Doktorandenprogramm an der Elite-Universität MIT und liebt das Rechnen. Noch vor einem Jahr hat er versucht, Mathe-Verweigerern Lust auf das Rechnen zu machen: Die Zahlen seien gar nicht so schwer, es gehe nur darum, sich daran zu trauen. Vielleicht musste jemand wie Matt Rognlie kommen, um dem Ungleichheits-Theoretiker Thomas Piketty seinen größten Fehler nachzuweisen.

Thomas Piketty hat das berühmteste Wirtschaftsbuch des vergangenen Jahres verfasst: „Kapital im 21. Jahrhundert“, eine ausführliche historische Analyse über Zinsen und Wirtschaftswachstum, an deren Ende die Folgerung steht: Solange die Zinsen größer sind als das Wirtschaftswachstum („r>g“), wachsen die Vermögen der Reichen schneller als die der Armen. Das war in der Geschichte meistens so und gehört zur Logik des Kapitalismus. Piketty sieht die Welt auf dem Weg in eine Erbengesellschaft. Das Buch wurde zum Bestseller in den Vereinigten Staaten, in denen das einkommensstärkste Prozent seine Gehälter viel schneller steigert als der Rest des Landes. Rund um die Welt wurde das Buch zur Bibel der Linken.

Aber jetzt kommt ein Doktorand und weist Piketty einen Fehler nach. Das erinnert an den Fall von Kenneth Rogoff: Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds erregte viel Aufmerksamkeit mit seiner Hypothese, dass hohe Staatsverschuldung gefährlich sei. Dann fand ein Student in den Excel-Formeln einen Fehler. Damals ging es um einen Rechenfehler, der die Ergebnisse um ein paar Zehntel weniger deutlich machte, aber an der eigentlichen Aussage nicht viel änderte. Matt Rognlie aber hat bei Piketty nicht nur einen Rechenfehler gefunden, sondern einen Denkfehler, der viele von Pikettys politischen Forderungen ins Wanken bringt.

Alles begann mit einem Blog-Kommentar

Den brachte Rognlie ganz unauffällig im vergangenen Jahr nachts um Viertel vor drei in einem Kommentar auf dem Blog des Ökonomen Tyler Cowen vor. Cowen erkannte die Qualität der Kritik und stellte sie ins Zentrum eines eigenen Beitrags. Rognlie präzisierte seine Kritik auf mehr als 40 Seiten und wurde im März von der renommierten Denkfabrik Brookings zum Vortrag eingeladen. Dort bekam er höchstes Lob von vielen bekannten Ökonomen, auch von solchen wie Brad DeLong, die den Demokraten nahestehen.

Worum geht es inhaltlich? Piketty hat ausgerechnet, dass über Jahrhunderte die Kapitalbesitzer schneller reich wurden als die Leute, die ihr Geld hauptsächlich durch Arbeit verdienen. Im 20. Jahrhundert allerdings war das nicht immer so. Heute ist das Verhältnis zwischen Kapitalrenditen und Arbeitseinkommen deutlich günstiger für die Arbeitseinkommen als vor 100 Jahren. Piketty sagte lange: Das ist eine historische Ausnahme. Künftig werden die Kapitalrenditen wieder wichtiger.

Diese Prognose hängt davon ab, wie stark in Zukunft die Arbeit von Menschen durch Maschinen ersetzt wird – so weit sind sich Piketty und Rognlie noch einig. Aber jetzt findet Rognlie den Denkfehler: Piketty habe in seiner Analyse vergessen, dass einmal investiertes Kapital nicht unbegrenzt Geld bringt. Wer eine Maschine kauft, muss mit der Abnutzung leben. Wer ein Haus baut, muss das irgendwann renovieren. Und wer Software entwickeln lässt, muss sie immer wieder aktualisieren, sonst ist sie bald überholt. Das nennen Ökonomen die „Abschreibung“, und sie fehlt in Pikettys Formel. Sobald die Abschreibung ergänzt werde, bringe das Kapital weniger Rendite, Maschinen ersetzten weniger Menschen, und es werde höchst unwahrscheinlich, dass Kapitaleinkommen die Wirtschaft dominieren.

Zwar gab es in den vergangenen Jahrzehnten durchaus noch Kapitaleinkommen, doch Rognlie rechnet vor: Es sind nicht die Eigentümer von Maschinen und Unternehmen, die davon profitiert haben – sondern es waren die Immobilienbesitzer.

Die Analyse von Matt Rognlie passt besser in die Welt von heute

Wer also überhaupt den Reichtum bremsen wolle, müsse nicht Vermögen besteuern, wie Piketty es vorschlägt, sondern Immobilien, sagt Rognlie. Und über die Ungleichheit der Arbeitseinkommen nachdenken. Die wächst tatsächlich, nur in Deutschland näherten sich Reich und Arm über mehrere Jahre wieder an. Die niedrigen Zinsen halfen, Deutschlands Sonder-Gleichheit entstand wahrscheinlich wegen der Hartz-Reformen.

Rognlies Analyse passt deutlich besser in die Welt von heute: Die Zinsen liegen nahe null. Immobilienbesitzer freuen sich über enorme Preisanstiege. Den schnellsten Weg zum Reichtum aber gehen Start-up-Gründer wie Larry Page oder Mark Zuckerberg mit ihren Unternehmen Google und Facebook, die ihre Milliarden-Vermögen nicht etwa durch kluge Geldverwaltung erschaffen, sondern durch die Arbeit ihrer Gehirne.

Thomas Piketty antwortet: Er wurde missverstanden

Piketty antwortet auf die Kritik, wie er es oft tut: Er sagt, er sei missverstanden worden. Er habe nie behauptet, dass die Ungleichheit „immer wachse“, nur dass sie noch viel größer werden könne, sagte er der „Washington Post“. Kürzlich allerdings hat Piketty einen bemerkenswerten Aufsatz veröffentlicht. Noch im Januar hatte er auf der Jahreskonferenz der amerikanischen Ökonomen den Abwärtstrend der Ungleichheit im 20. Jahrhundert als historische Ausnahme bezeichnet: Er sei durch eine “sehr ungewöhnliche Kombination von Ereignissen” entstanden.

Damals bekam er schon ordentlich Kritik von seinen Fachkollegen. Der konservative amerikanische Ökonom Gregory Mankiw stellte fest, dass es kein Problem sei, wenn die Zinsen das Wirtschaftswachstum übertreffen – sondern dass das sogar zu einer gesunden Wirtschaft gehöre. Der angesehene Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth fasste bei anderer Gelegenheit breite Kritik mit dem Satz zusammen: Pikettys historische Analyse sei weitgehend richtig, doch seine Vorhersagen über die weitere Entwicklung der Ungleichheit ließen sich daraus nicht ableiten.

Als Piketty jedoch seinen Konferenzbeitrag aus dem Januar im März in schriftlicher Form auf seine Website stellte, sprach er seiner Analyse plötzlich die Gültigkeit für die Zukunft ab – relevant sei sie vor allem für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Das passt nicht nur zu Voth, sondern auch zu Rognlie. Ohne dessen Namen zu nennen, nahm Piketty viele seiner Argumente auf: Immobilien seien wichtiger als anderes Kapital. Und dass die Einkommensungleichheit in Amerika wachse, habe wenig mit seiner Analyse zu tun.

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