Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

„Abschaffung“ des Bargelds – eine irreführende Begriffswahl

Nach wie vor ist in der Öffentlichkeit immer einmal wieder von einer möglichen „Bargeldabschaffung“ die Rede. Doch der Begriff ist irreführend: Bargeld lässt sich gar nicht abschaffen, wie dessen mehr als 2600jährige Geschichte zeigt. Vielmehr schaffen sich politische Systeme selbst ab, indem sie die persönlichen Freiheiten zu begrenzen oder ganz aufzuheben versuchen, die mit dem Gebrauch von Geld verbunden sind. Das totalitäre Sowjetsystem ist ein eindrückliches Beispiel dieses Zusammenhangs.

Von Hendrik Mäkeler

 

Auch finanzielle und insbesondere monetäre Innovationen hat es in der Geschichte des Geldes zahlreich gegeben. Doch diese haben den bereits vorhandenen Zahlungsverkehr stets ergänzt und flexibilisiert, nicht ersetzt. So ergänzte im 7. Jahrhundert vor Christus die Erfindung von Münzgeld im kleinasiatischen Lydien die bereits vorhandenen schriftlichen Aufzeichnungen über Verbindlichkeiten (heute spräche man von Buchgeld). Die ersten Münzen bestanden aus Gold, wurden allmählich aber zunächst um Silber- und dann auch Bronzegepräge erweitert. Im Mittelalter begannen Wechsel als bargeldlose Zahlungsmöglichkeiten den Geldumlauf zu vervielfachen. Die Einführung von Banknoten, die im europäischen Raum erstmals im Jahr 1661 in Schweden erfolgte, erleichterte dort im Wortsinn ein Münzsystem, das vornehmlich aus Kupferplatten hohen Gewichts bestand. Seit dem 20. Jahrhundert machten zunächst Schecks und später auch Bank- und Kreditkarten den Zahlungsverkehr noch bequemer. Es lässt sich also eine Entwicklung hin zu immer abstrakteren Geldformen erkennen. Dabei findet durchaus ein Verdrängungswettbewerb zwischen verschiedenen nicht-baren Geldformen statt, während das Bargeld sich über die Jahrtausende hinweg als besonders nachhaltige Zahlungsform erhalten hat.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Bargeldformen sich nicht unterschiedlich entwickeln könnten. Während der deutschen Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg etwa waren Münzen aufgrund ihres geringen Nominalwerts vorübergehend kaum nutzbar. Gepräge mit einem Nennwert von 200 und 500 Mark wurden 1923 nur zur Beschäftigung der Münzstätten hergestellt. Ein anderes Beispiel für eine unterschiedliche Entwicklung stellte unlängst Stefan Hardt, Leiter des Zentralbereichs Bargeld, beim dritten Bargeldsymposium der Bundesbank vor. Er referierte Angaben von Wertdienstleistern, dass sich die Versorgung mit Münzgeld um 30 Prozent verteuert habe. Einige Kreditinstitute wären daher nicht mehr bereit, die für sie defizitäre Münzversorgung des Kleinhandels zu übernehmen. Es ist erfreulich, dass diese Problematik so deutlich angesprochen wurde, denn selbstredend beeinflusst eine unzureichende oder fehlende Infrastruktur die Bargeldversorgung ebenfalls maßgeblich.

Ein Land kann auch auf eine eigene Bargeldausgabe verzichten, was aber nur selten vorkommt. In dem Fall ersetzen üblicherweise Banknoten und Münzen anderer Länder das einheimische Bargeld. Münzen werden dabei gewöhnlich aus Nachbarländern importiert, Banknoten können aufgrund ihres geringeren Gewichts und des höheren Wertes auch einen weiteren Weg nehmen. Entscheidend ist jedoch, dass der importierende Staat in diesem Fall seine Einnahmen aus dem Schlagschatz verliert, also dem Unterschied zwischen den Produktionskosten des Bargelds und dessen Nennwert. Zudem kann die landeseigene Zentralbank den Bargeldumlauf schlechter kontrollieren und nicht nachhaltig ein Auftreten von Fälschungen vermeiden. Umgekehrt erwächst den Staaten, die das verwendete Bargeld produzieren, ein Gewinn aus dem Schlagschatz, während deren Zentralbankpolitik direkten Einfluss auf den importierenden Staat gewinnt. Ein zentrales Element staatlicher Souveränität geht daher mit der Aufgabe von Bargeld verloren.

Dies geschah etwa infolge der Hyperinflation in Simbabwe, wo seit 2009 anstelle des Simbabwe-Dollars ausländische Währungen den Zahlungsverkehr dominieren. US-Dollar und Südafrikanischer Rand, aber auch das britische Pfund und der chinesische Renminbi übernehmen dort die Funktion des Bargelds. Die Zentralbank demonetisierte 2015 vollständig den Simbabwe-Dollar, so dass alle von ihr ausgegebenen Banknoten Ende September des Jahres ungültig wurden. Bankguthaben stellte man auf Dollar um. Mit anderen Worten verzichtet Simbabwe nunmehr vollständig auf eine eigene Landeswährung.

Bei Aufgabe nationalen Bargelds, wie man anstelle von „Bargeldabschaffung“ zutreffender formulieren sollte, schwindet mithin ein wenig beachteter Unterschied zwischen Erster und Dritter Welt. Während dies zunächst nur eine infrastrukturelle Ähnlichkeit darstellt, kann ein möglicher ökonomisch, technisch oder militärisch bedingter Blackout eines ausschließlich digitalen Systems in der Folge zu einer Angleichung weiterer Lebensbereiche führen. In Schweden, dessen Geldumlauf bereits in relativ hohem Maße bargeldlos ist, zeichnet sich zudem eine weitere Konsequenz ab: Wer kein physisches Geld nutzt, benötigt letztlich auch keine physischen Banken. Dadurch verlieren die Banken mit ihren Filialen einen zentralen Wettbewerbsvorteil, nämlich den etablierten direkten Kundenkontakt. Werden Bankgeschäfte jedoch vermehrt ins Internet verlagert, sind Fintechs und andere Konkurrenten wie etwa Telefongesellschaften oder soziale Netzwerke aufgrund ihrer technischen Kompetenz beziehungsweise der größeren Marktmacht im digitalen Umfeld den klassischen Banken weit überlegen. Die Folgen lassen sich etwa in Kenia beobachten, das weltweit führend im Bereich des Mobile-Payment ist.


 


Der Verfasser ist Leiter des Münzkabinetts an der Universität Uppsala.