Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

DSGE tut nicht weh

Kritiker der modernen gesamtwirtschaftlichen Analyse  haben sich in den vergangenen Jahren auf Modelle eingeschossen, die  auch in vielen Notenbanken eingesetzt werden und damit politische Relevanz besitzen. Ein neues Buch zeigt, was davon zu halten ist.

Wir haben in FAZIT vor fast genau fünf Jahren in einem Gespräch mit Rüdiger Bachmann die Grundlagen erarbeitet – eine Gelegenheit, um sich in die Materie ein wenig einzulesen.

 

Genese und Aufstieg von DSGE

Worum geht es? DSGE-Modelle leiten sich aus der Überzeugung moderner Ökonomen ab, wonach gesamtwirtschaftliche Analysen und damit auch Analysen von Geldpolitik und Finanzpolitik nur Sinn haben, wenn auch das Verhalten der einzelnen Konsumenten und Unternehmen betrachtet wird.1) Daher sind in diesen Modellen Gegenwart und Zukunft verbunden, weil die Menschen heutige Entscheidungen auch unter dem Eindruck ihrer Erwartungen über die Zukunft treffen.2)

Die ersten DSGE3)-Modelle dienten der Analyse eher als der Prognose. Sie beruhten auf der Theorie realer Konjunkturzyklen, in der alle Märkte gut funktionieren und die wirtschaftliche Entwicklung vor allem von technologischen Entwicklungen beeinflusst wird. Das war interessant, aber auch einseitig. In einem zweiten Schritt kamen Elemente der heute dominierenden neokeynesianischen Theorie hinzu, indem die Annahme stets funktionierender Märkte aufgegeben wurde und kurzfristige Störungen (“Friktionen”) vor allem an Güter- und Arbeitsmärkten eingebaut wurden.4)

Nun konnte es in den Modellen zu Phasen wirtschaftlicher Schwäche kommen, für deren Bekämpfung die Geldpolitik taugte. Kein Wunder, dass sich neben Akademikern vor allem Notenbanken für solche Modelle interessierten, wo sie in der Beratung der Geldpolitiker Anwendung finden. Das erklärt das öffentliche Interesse an dem Thema.

 

Mit der Finanzkrise in die Krise

Mit dem Ausbruch der Finanzkrise gerieten die Analyse- und Prognosefähigkeit von Ökonomen in die Kritik.  DSGE-Modelle konnten die Krise nicht voraussehen, weil sie überwiegend ohne Geld oder Banken arbeiteten, denn es hatte jahrzehntelang keine schwere Finanzkrise gegeben. Immerhin, diese Kritik schien nur den Inhalt, aber nicht das Grundprinzip der Modelle anzugreifen. Denn das Grundprinzip erlaubt es, auch Fehlentwicklungen im Finanzwesen zu analysieren.

Potentiell verheerender konnte eine andere Kritik werden, die erhebliche Zweifel an der modernen Theorie übte. Diese Kritik hält die Modelle für Ausdruck verfehlten und/oder übertriebenen Mathematisierens und für einen Beleg von Weltfremdheit. Kritik an neokeynesianischen DSGE-Modellen kam auch von innen (zum Beispiel hier und hier), und eine solche Kritik ist in zunftartigen Organisationen weitaus mächtiger als externe Kritik. Heute kann man sagen, dass die herrschende Schule die Finanzkrise aus zwei Gründen doch sehr gut überstanden hat. Erstens hat es die herrschende Schule vermocht, zumindest Teile der Kritik zum Beispiel von Finanzökonomen anzunehmen. Und zweitens haben es die fundamentalen Kritiker nicht verstanden, eine alternative Schule machtvoll in Stellung zu bringen.

 

DSGE heute: Entzauberung und Entdämonisierung

Ein neues E-Book befasst sich mit der Frage, was heute von den immer noch auch in Notenbanken befindlichen DSGE-Modellen zu halten ist. Die Herausgeber sind auf die sinnvolle Idee gekommen, nicht zuletzt Ökonomen zu fragen, die mit solchen Modellen arbeiten. Es ist eine Übung in Entzauberung wie in Entdämonisierung. DSGE-Modelle sind in Notenbanken nur ein verwendeter Modelltyp – sie sind häufig hilfreich, aber sie sind alles andere als perfekt, und man will sich nicht alleine auf sie verlassen. Auch heute finden in Notenbanken daneben Modelle Anwendung, die aus moderner Sicht veraltet sind. Und dann gibt es mit den  VAR-Modellen moderne Alternativen, die weniger Gewicht auf die Theorie und mehr Gewicht auf die Empirie legen.

Aus dem Buch seien mehrere Beobachtungen hervorgehoben:

  • John Williams von der Federal Reserve Bank of San Francisco gibt zu bedenken, dass trotz des vermeintlich großen theoretischen Gehalts der DSGE-Modelle drei wichtige Größen schwer analysierbar bleiben: Spannungen am Arbeitsmarkt, die Entwicklung der Produktivität und der natürliche Zinssatz einer Wirtschaft.
  • Williams nennt als Schwäche auch den Fokus auf kurz- und mittelfristige Analysen; langfristige Analysen seien adäquat nicht möglich.
  • Marco del Negro und Marc Giannoni berichten von Erfahrungen mit einem eher traditionellen DSGE-Modell bei der Federal Reserve Bank of New York, das seit dem Jahre 2010 auch für Prognosen verwendet wird. “Wir hatten Treffer und Fehlschüsse”, berichten die Autoren. Das Modell hat immerhin den langen, aber nicht allzu dynamischen Aufschwung der amerikanischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren vorhergesehen. Die beiden Ökonomen bezeichnen ihr Modell in vielerlei Hinsicht als verbesserungsfähig. Generell fürchten sie, dass die in Notenbanken verwendeten Modelle schnell veralten.
  • Aber sind modernisierte Modelle immer leistungsfähiger? Alejandro Justiniano, Giorgio, Primiceri und Andrea Tambalotti blicken auf DSGE-Modelle der “zweiten Generation”, die auch den Finanzsektor abbilden. Solche Modelle sind tatsächlich in der Lage, die jüngste Finanzkrise gut zu erklären, aber dafür ist es ihnen anders als Modellen aus der ersten Generation nicht gelungen, die wirtschaftliche Entwicklung seit der Finanzkrise adäquat zu prognostizieren.

Was bleibt? DSGE-Modelle sind nicht so schlecht, wie manche Kritiker behaupten, aber in vielen Texten ist Ernüchterung unverkennbar. Weitere Arbeiten an den Modellen werden als dringend notwendig bezeichnet. Der eine oder andere Autor DSGE-Modelle würde sie aber wohl ohne Mitleid aufgeben – wenn, ja wenn es eine theoretisch wie empirisch befriedigende Alternative gäbe. Aber die scheint es für die herrschende Schule nicht zu geben – oder doch?5)6)

 

 


  1. Das ist die ebenfalls berühmt-berüchtigte “Mikrofundierung der Makroökonomik”.
  2. In diesem Sinne sind die Modelle dynamisch – daher kommt das “D” in DSGE. Weil die Menschen die Zukunft aber nicht vollständig kennen, sind die Modelle auch stochastisch – daher kommt das “S” in DSGE. Und weil man Interdependenzen zwischen verschiedenen Märken untersucht, um eine Gesamtwirtschaft zu analysieren, kann man auch von “Allgemeinen Gleichgewichtsmodellen” sprechen – auf Englisch “General Equilibrium”, und nun hat man auch das “GE” von DSGE.
  3. Hier ist eine kurze Geschichte, wie der Begriff DSGE in die (Ökonomen-)Welt kam.
  4. Das ist ganz wichtig: Hinter DSGE verbindet sich eine Modellierungstechnik, aber das heißt nicht, dass DSGE-Modelle ausschließlich mit einer bestimmten Theorie verbunden sind. Obwohl heute die neokeynesianische Theorie dominiert, sind nicht alle heutigen DSGE-Modelle Ausprägungen dieser Theorie. Brunnermeier/Sannikov (2014) , eine der derzeit am häufigsten zitierten makroökonomischen Arbeiten, enthält keine Friktionen am Arbeitsmarkt und an Gütermärkten, die für die neokeynesianische Theorie essentiell sind, wohl aber Friktionen an Finanzmärkten.
  5. Olivier Blanchard, einer der führenden Makroökonomen, betrachtet diese drei Punkte als wesentlich: “I believe that there is wide agreement on the following three propositions; let us not discuss them further, and move on:
    1. Macroeconomics is about general equilibrium.
    2. Different types of general equilibrium models are needed for different purposes. For exploration and pedagogy, the criterion should be transparency and simplicity, and for that, toy models are the right vehicles. For forecasting, the criterion should be forecasting accuracy, and purely statistical models may, for the time being, be best. For conditional forecasting, i.e. to look for example at the effects of changes in policy, more structural models are needed, but they must fit the data closely and do not need to be religious about micro foundations.
    3. Partial equilibrium modelling and estimation are essential to understanding the particular mechanisms of relevance to macroeconomics. Only when they are well understood does it become essential to understand their general equilibrium effects. Not every macroeconomist should be working on general equilibrium models (there is such a thing as division of labor).”
  6. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn mehr Ökonomen einen Blick auf die sogenannten “Sunspot-Modelle” werfen würden, für die Roger Farmer mit großem Engagement eintritt.