Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Geld oder Zins?

In vielen Blogdebatten wird um die Bedeutung der Geldentstehung für die Geldpolitik gestritten. Viel interessanter wäre eine Debatte um das Verständnis des Zinses.

Die Debatten um das Wesen und die Wirkung des Geldes sind vermutlich fast ebenso alt wie das Geld selbst. Uns interessiert heute ein kurzer Blick in die jüngere Theoriegeschichte. Seit Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts – es hatte bekanntlich viele Vorläufer gegeben – sind postkeynesianische und andere heterodoxe Ökonomen unterwegs, um dem Mainstream beizubringen, wie das Geld entsteht. Die Schlagworte lauten endogenes – also durch die Bedürfnisse der Wirtschaft entstehendes – Geld und “Loans create Deposits and Deposits make Reserves” (Marc Lavoie). Das erste wichtige Buch monetären Denkens aus der postkeynesianischen Schule erschien im Jahre 1988 und stammte von Basil E. Moore: “Horizontalists and Verticalists: The Macroeconomics of Credit Money”.

Die Grundlagen dieses Denkens waren: Das Geld entsteht überwiegend in der Privatwirtschaft durch Kreditvergabe der Banken an Unternehmen. Die Zentralbank kann auf diesen Prozess zwar Einfluss nehmen, aber nicht durch die Steuerung der Geldmenge, sondern durch ihren Leitzins. Das damalige Unterfangen wendete sich offensichtlich gegen die monetaristische Idee exogenen Geldes, bei der die Zentralbank die Geldmenge steuern kann und dies auch tun sollte. An Selbstvertrauen fehlte es Moore nicht: Die Vorstellung endogenen Geldes bedeute “for example, that the entire literature of monetary control and monetary policy, IS-LM analysis, the Keynesian and the money multiplier, liquidity preference, interest rate determination, the influence of public sector deficits on the level of domestic interest rates, growth theory, and even the theory of inflation must be comprehensively reconsidered and rewritten. All models that treat money as exogenous – or virtually everything written in the monetary, macro and growth literature – are either misspecified or incomplete.” Das war 1988.

Aus heutiger Sicht wirkt manches an den damaligen Debatten aufgesetzt. Der Feststellung “Loans create Deposits” hätte auch Milton Friedman nicht widersprochen. “Deposits make Reserves” steht im Widerspruch zur offiziellen monetaristischen Lehre, aber wer die noch weiter zurückgehenden Debatten um die berühmte “reverse causation” ein wenig kennt, weiß, dass auch in dieser Hinsicht Monetaristen in der Lage waren, Wasser in ihren Wein zu gießen. 1)  Im Gegenzug bestritten Postkeynesianer wie Moore keineswegs, dass eine Zentralbank auf die Geldentstehung einwirkt, aber eben durch den Zins und nicht durch die Geldmenge.

Am Ende des Tages ist die Frage “Exogenes oder Endogenes Geld?” geeignet für dogmengeschichtliche Betrachtungen, in denen sie zweifellos eine Rolle spielte, oder für dogmatische Auseinandersetzungen. Wie ich in einem Beitrag vor ein paar Wochen gezeigt habe, haben viele Lehrbücher zur Geldtheorie und Geldpolitik schon vor Jahrzehnten Abstand von dieser Dogmatik genommen und Modelle präsentiert, in denen die Geldentstehung aus einer Interaktion von Zentralbank, Geschäftsbanken und Nichtbanken erklärt und der scheinbare Gegensatz “Exogenes oder Endogenes Geld?” entschärft wird. Das gilt auch für moderne Darstellungen des Themas, zum Beispiel den häufig zitierten Aufsatz der Bundesbank in ihrem April-Monatsbericht: “Bereits die rein buchungstechnische Betrachtung der Entstehung von (Buch-)Geld verdeutlicht, das die Kredit- und Geldschöpfung das Ergebnis komplexer Interaktionen zwischen Banken, Nichtbanken und Zentralbank ist.” 2)

Aber was ist eigentlich mit dem Zins? Die moderne Makrotheorie hat unter dem Einfluss Michael Woodfords an die Tradition Knut Wicksells angeknüpft 3), nach der es zwei Zinssätze zu beachten gibt: einen Geldzins (den nach modernem Verständnis die Zentralbank setzt) und einen “natürlichen” realen Zins, der sich nicht beobachten lässt , aber bei dem sich eine Wirtschaft in ihrem Optimalzustand befände. Ein Musterbeispiel ist die Taylor-Regel, in der sich der optimale Notenbankzins unter anderem mit Bezug auf den “natürlichen” Zins berechnet.

Das Konzept des “natürlichen” Zinses wird seit Jahren häufig in Arbeiten zur Beurteilung der aktuellen Geldpolitik und der ökonomischen Wirkung von Phänomenen wie dem demografischen Wandel, der schwachen Produktivitätsentwicklung oder der Nachfrage nach sicheren Arbeiten benutzt. Wir haben in den vergangenen Jahren in FAZIT eine Vielzahl solcher Arbeiten präsentiert. Viele Unterschungen stehen im Kontext der dominierenden Makrotheorie, andere, wie die Arbeiten Carl Christian von Weizsäckers, in der Tradition der österreichischen Kapitaltheorie.

Doch, um einmal einen Stein ins Wasser zu werfen: Ist das überhaupt ein ökonomisch zuverlässiges, auf festem theoretischen Grunde verankertes Konzept? Wenn ich nicht falsch liege (und kundigere Leser mögen mich korrigieren), haben kapitaltheoretische Untersuchungen der achtziger und neunziger Jahre gezeigt, dass eine eindeutige Ableitung eines “natürlichen” Zinses nicht zwingend möglich ist. Und für so manche Keynesianer ist diese Vorstellung eigentlich auch nicht akzeptabel – Keynes selbst hatte im “Treatise on Money” (1930) noch mit Wicksells Konzept gearbeitet, sich in der “General Theory” (1936) aber davon distanziert (während gleichzeitig sein Lieblingsschüler Richard Kahn eine englische Übersetzung von Wicksells deutschem Text erstellte).

Schaut man auf die Postkeynesianer, so hatte Moore in seinem Buch von 1988 Wicksells “natürlichen Zins” verworfen, weil aus seiner Sicht die kapitaltheoretische Debatte der sechziger Jahre das ganze Konzept zerstört habe. Andererseits erkennen manche Postkeynesianer an, dass sich der Mainstream (wie auch die Geldpolitik in der Praxis) von einer Geldmengen- hin zu einer Zinsorientierung bewegt hat. Wenn ich es richtig verstehe, betrachten Postkeynesianer 4) den kurzfristigen Notenbankzins als eine exogene, von der Geldpolitik vorgegebene Größe, und lassen die Keynes’sche Liquiditätspräferenz in Form von Abweichungen der Marktzinsen vom Notenbankzins eine Rolle spielen. Aber – ist die Liquiditätspräferenztheorie von Keynes mit Wicksells Zinsspannentheorie vereinbar?

 


  1. In seinem bekannten Artikel “Money and Income: Post hoc ergo propter hoc?” von 1970 verweist James Tobin, der sich darin kritisch mit der Position Milton Friedmans befasst, auf ein relativierendes Zitat Friedmans aus einer früheren Arbeit: “These regular and sizeable leads of the money series are themselves suggestive of an influence of money to business but they are by no means decisive.” In einer späteren Kontroverse mit dem Postkeynesianer Nicholas Kaldor äußerte sich Friedman ebenfalls zurückhaltend zu dem Thema. Von den beiden anderen führenden Monetaristen, Karl Brunner und Allan Meltzer, gibt es ein Portfoliomodell mit einer endogenen Bestimmung der Geldbasis.
  2. Es ist auch nicht so, dass moderne Lehrbuchautoren wie Greg Mankiw, die in ihrem Makro-Lehrbuch ein IS-LM-Modell mit Geldbasissteuerung der Zentralbank verwenden,  keine Ahnung hätten, was in der Realität geschieht. Mankiw hat schon vor elf Jahren beschrieben, warum er dennoch am IS-LM-Modell festhält.
  3. In welchem Maße Woodford tatsächlich an Wicksell anschließt, ist ein Thema, das dogmenhistorisch beschlagene Autoren – zum Beispiel Boianowsky/Trautwein oder Laidler – beschäftigt, aber hier nicht unser Thema ist.
  4. Es gibt innerhalb des Postkeynesianismus unterschiedliche Ansätze. Wer etwas Zeit  mit der Lektüre von Papieren verbracht hat, in denen postkeynesianische “Horizontalisten” und postkeynesianische “Strukturalisten” ihre Argumente gegeneinander abwägen, darf sich immerhin die Frage stellen, ob die Ergebnisse die Mühen wert sind. Ein ziemlich aktuelles Beispiel ist Setterfield (2014); es gibt aber auch ältere Arbeiten.