Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Freiburger Austerität?

Der Ordoliberalismus und die Euro-Krise. Ein Gastbeitrag von Stefan Kolev*)

 

Die Zeiten der Bedeutungslosigkeit sind offenbar für den Ordoliberalismus erst einmal vorbei. Lange galt er als politisch verbraucht und akademisch erledigt. Durch die Euro-Krise hat sich das grundlegend geändert. Die Debatte darüber, ob das deutsche Denken in Ordnungen für die europäische Malaise ursächlich ist, beschäftigt spätestens seit dem im Jahr 2016 erschienenen, viel diskutierten Buch von Markus Brunnermeier, Harold James und Jean-Pierre Landau unter dem Titel “The Euro and the Battle of Ideas” auch die Wissenschaft.

Im Mittelpunkt der Kritik an der deutschen Haltung zur Fiskal- und Geldpolitik steht der schwer greifbare Begriff der Austerität. Ob jemand damit auf die Sparsamkeit der “schwäbischen Hausfrau” anspielt oder auf Leitsätze wie “Schuldenprobleme lassen sich mit neuen Schulden nicht lösen” – der Begriff lässt sich leicht für Polemiken missbrauchen. Operational wird er wohl erst dann, wenn darunter der starke Fokus auf eine von Grundsätzen und Regeln geleitete – und, so die Kritiker, ihrer Spielräume beraubte – Wirtschaftspolitik verstanden wird. Zeigt sich in der deutschen Haltung zum Fiskalpakt oder in der Kritik an der gegenwärtigen Politik der EZB “der lange Schatten” der Freiburger Schule? Lässt sich hierbei ein Gegensatz “Eucken versus Keynes” konstruieren? Beobachten wir gar eine “Ordoliberalisierung” der Eurozone?

Thorsten Beck und Hans-Helmut Kotz versammeln in ihrem Band, den sie ausdrücklich als Fortsetzung der von Brunnermeier, James und Landau angestoßenen Diskussion sehen, hauptsächlich Beiträge von Ökonomen. Die meisten von ihnen, so unterschiedlich sie sonst auch argumentieren, warnen vor einer Überbetonung der Relevanz des Ordoliberalismus. Harold James erläutert in seinem Vergleich von “Kant versus Machiavelli”, dass die deutsche Wirtschafts- und Ideengeschichte viele andere Quellen der Vorliebe für Regelbasierung berge. Lars Feld, Ekkehard Köhler und Daniel Nientiedt zeigen zum einen mit Hinweis auf die Freiburger zeitgenössische, frühe Chicagoer Schule, dass die Regelbasierung keine deutsche Eigenart sei, und zum anderen widersprechen sie dem Mythos, dass der Keynesianismus in der Nachkriegszeit die Bundesrepublik kaum erreicht habe. Auch Michael Burda greift diesen Mythos an sowie die Auffassung, dass deutsche Ökonomen heute eine von internationalen Standards abweichende Wissenschaft praktizierten. Sollte in der Euro-Krise eine “Teutonomik” wahrnehmbar sein, führt Burda diese auf unterschiedliche nationale Interessen und die relativ üppige Nutzung von Werturteilen in der Politikberatung zurück, beispielsweise durch den Sachverständigenrat.

Dessen Vorsitzender, Christoph Schmidt, weist wiederum den Ideologievorwurf zurück und betont den evidenzbasierten Charakter der Empfehlungen des Rates. Adalbert Winkler, Thorsten Beck, Hans-Helmut Kotz und Oliver Landmann zeigen sich in ihren Beiträgen skeptisch, ob das Freiburger Erbe zur makroökonomischen Steuerung und zur Finanzmarktstabilität heute überhaupt Antworten bietet. Für Charles Wyplosz steht der Ordoliberalismus gar für eine “unterentwickelte” Ökonomik, da Euckens Denkgebäude – anders als dasjenige von Keynes – in der Nachkriegszeit den Anschluss an die neuere Theoriebildung verpasst habe.

Thomas Biebricher und Frieder Vogelmann ist zu verdanken, dass in einem weiteren Band zehn Übersetzungen zentraler ordoliberaler Texte in guter Qualität vorliegen. Die internationale Rezeption des Ordoliberalismus hat in den vergangenen Jahrzehnten stark unter der schlechten Verfügbarkeit der Primärliteratur auf Englisch gelitten. Warum der Band “Austerität” im Titel trägt, erschließt sich allerdings nur bedingt: Weder die Einleitung noch die vier sehr heterogenen inhaltlichen Kapitel machen hinreichend deutlich, was genau die ordoliberalen Ideen zur dem “gegenwärtigen Neoliberalismus” geschuldeten Austerität beigetragen haben.

Dass diese Debatten kaum wert- oder emotionsfrei verlaufen, verdeutlicht der Titel der Konferenz, aus welcher ein dritter, von Josef Hien und Christian Joerges herausgegebener Band hervorgegangen ist: Eine “irritierende deutsche Idee” sei der Ordoliberalismus demnach, ohne Fragezeichen. Der Band enthält hauptsächlich Beiträge von Politikwissenschaftlern und Juristen und bietet neue Einblicke in die Rezeption des Ordoliberalismus in Frankreich (Arnaud Lechevalier), den Vereinigten Staaten (William Callison) und Italien (Stefano Solari). Weniger Erkenntnisse bieten andere Beiträge, die sich mit der Ideologie oder der Schuld des Ordoliberalismus befassen – für Maurizio Ferrera reiche Letztere bis zum heutigen italienischen Populismus der Fünf-Sterne-Bewegung. Brigitte Young und Philip Manow fragen, ob die deutsche Wirtschaftspolitik weniger durch (ordoliberale) Ideen als vielmehr durch (materielle) Interessen getrieben ist. Stephan Pühringer untersucht die Verbreitung der Freiburger Ideen durch verschiedene Wissenschaftler-Generationen und durch Think-Tank-Netzwerke. Malte Dold und Tim Krieger plädieren für eine inhaltliche Aktualisierung der Ordnungsökonomik durch Erweiterungen des traditionellen Freiburger Wettbewerbsbegriffs.

Diese Diskussion über die Rolle von Ideen ist faszinierend, obwohl “Austerität” ein recht unbestimmter Begriff bleibt, der oft – ähnlich wie “Neoliberalismus” – als Kampfbegriff benutzt wird. Die Frage, wie sich Ideen wie diejenigen der Ordoliberalen ihren Weg in die konkrete praktische Politik bahnen, bedarf weiterer Untersuchungen. Für deren Konzeption ist zu hoffen, dass sich der interdisziplinäre Dialog weiter intensiviert und dass sich die Kritiker einer der Regelbasierung geschuldeten, ordoliberalen Austerität künftig offener für den Dialog mit Ordnungsökonomen und Praktikern zeigen.

 


 

 

Der Verfasser ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und stellvertretender Vorsitzender des Wilhelm-Röpke-Instituts Erfurt.  Dieser Beitrag erschien erstmals am 15. April 2018 in der Rubrik “Wirtschaftsbücher” in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

 

Literatur:

Thorsten Beck / Hans-Helmut Kotz (Hrsg.): Ordoliberalism: A German Oddity?, CEPR Press, London 2017, 224 Seiten, gebührenfreies E-Book

Thomas Biebricher / Frieder Vogelmann (Hrsg.): The Birth of Austerity: German Ordoliberalism and Contemporary Neoliberalism, Rowman & Littlefield, London 2017, 278 Seiten, 27,95 Pfund

Josef Hien / Christian Joerges (Hrsg.): Ordoliberalism, Law and the Rule of Economics, Hart Publishing, Oxford 2017, 325 Seiten, 85 Pfund