Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

CIAO STAU!

Staus kosten Geld und Nerven. Dabei wäre die Lösung so einfach.

Die Zukunft der Mobilität gab es vor knapp drei Wochen zu bestaunen. Nicht im Silicon Valley, nicht in einem chinesischen Innovationslabor, sondern auf dem Ingolstädter Rathausplatz. Verkehrsminister Andreas Scheuer und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (beide CSU) präsentierten dort eine Weltneuheit: ein Flugtaxi der Marke Airbus. Das schwarz-weiß lackierte Flugobjekt erinnert optisch an eine riesige Drohne, es bietet vier Passagieren Platz. Beinah lautlos und natürlich autonom schwebt das elektrisch betriebene Flugtaxi über die verstopften Innenstädte hinweg. Weil in der Luft viel mehr Platz ist als am Boden, sind Staus schon bald Geschichte.

Die Sache hat nur einen Haken: Fliegen kann das in Bayern präsentierte Flugtaxi noch nicht. Es musste mit dem Lastwagen zu der medienwirksamen Präsentation transportiert werden. Frühestens im Jahr 2025 wird der City-Airbus kommerziell nutzbar sein, teilte das Unternehmen mit. Bis es so weit ist, braucht die Menschheit also eine andere Idee, um des Stauproblems Herr zu werden. Und das dringender denn je. Jahr für Jahr stehen die Deutschen länger im Stau. 2018 gab es hierzulande im Schnitt täglich 2000 Staus, ermittelte der ADAC. Das waren noch einmal drei Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2017. Den volkswirtschaftlichen Schaden des tatenlosen Herumstehens beziffern Fachleute auf etwa 80 Milliarden Euro im Jahr. Was die Blechlawinen mit der Umwelt und den Nerven der Autofahrer anrichten, ist da noch nicht eingerechnet. Was also tun? Muss man ganz einfach mehr Straßen bauen, um dem immensen Mobilitätsdrang genügend Raum zu geben?

Verkehrsforscher sind skeptisch und zitieren das “fundamentale Gesetz der Straßenverstopfung”. Gemeint ist damit etwas, das wahrscheinlich jeder Berufspendler schon einmal erlebt hat: Kaum wird eine neue Ausweichstraße eingeweiht, die den Verkehrskollaps lindern soll, ist diese schon genauso hoffnungslos verstopft wie die übrigen Routen. Durch die neue Straße wird das Autofahren angenehmer und günstiger, deshalb setzen sich mehr Menschen hinters Steuer. Auch die neuen Fahrdienstleister wie Uber, die Taxifahrten in vielen ausländischen Metropolen erschwinglicher machen, haben sich bislang nicht als Ausweg aus dem Dauerstau entpuppt. Im Gegenteil: Erste Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Menschen wegen der günstigeren Angebote keineswegs massenhaft ihre eigenen Autos verkauft haben. Vielmehr hat der Verkehr in amerikanischen Großstädten durch Uber und Co. noch weiter zugenommen. Verlierer sind dort die öffentlichen Verkehrsmittel.

Ökonomen machen deshalb einen anderen, erst einmal unpopulär erscheinenden Lösungsvorschlag: Wer eine Straße nutzt, soll dafür zahlen – je beliebter die Straße, desto mehr. Nachzulesen ist diese Idee im Grundsatz schon bei Milton Friedman, der betonte, wie hilfreich es wäre, wenn Autofahrer für jeden zurückgelegten Kilometer zur Kasse gebeten würden. Viele wichtige Verkehrsfragen könnten dann beantwortet werden, schrieb der berühmte Ökonom Anfang der fünfziger Jahre. Dass Autos und Treibstoff einen Preis haben, nicht aber das Fahren an sich, sehen viele Ökonomen auch noch 70 Jahre später als Kardinalfehler an. Denn Straßenverkehr verursacht eine ganze Reihe “externer Effekte”, zum Beispiel Lärm, Schadstoffausstoß und eben Stau.

Weil Autofahrer diese Kosten nicht selbst tragen müssen (sondern die Allgemeinheit), werden die Straßen nicht effizient genutzt. Die vielen Staus sind dafür das sichtbarste Zeichen. Würde Milton Friedman noch leben, wäre er heute wahrscheinlich ein glühender Verfechter intelligenter Mautsysteme. Denn diese sind in der Lage, den Verursacher, also den Fahrer, für die Kosten aufkommen zu lassen, Die Möglichkeit, solche Marktsysteme einzuführen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert. Eine kilometergenaue Bepreisung des Straßenverkehrs ist immer realistischer geworden. GPS-Technologie erlaubt es, den Standort von Fahrzeugen exakt und in Echtzeit zu bestimmen, Ökonomen wissen zudem sehr viel besser, wie sie komplizierte (Verkehrs-) Netzwerke bestmöglich steuern. Einer von ihnen ist der Kölner Marktdesigner Axel Ockenfels. Er setzt sich gemeinsam mit zwei Ko-Autoren unter anderem in einem Beitrag für das Fachjournal “Nature” für ein intelligentes Maut-System ein.

Fahrer erhalten dabei in Echtzeit oder sogar schon im Voraus über ihr Navigationssystem oder das Smartphone Informationen über den Preis für ihre jeweilige Wunschstrecke. Erscheint ihnen der Preis zu hoch, können sie zu einer anderen Uhrzeit fahren, einen Umweg oder ein anderes Verkehrsmittel wählen. “Dynamische Preise würden Stau selbst dann reduzieren, wenn die meisten Fahrer nicht auf die Kosten reagieren”, schreibt Ockenfels. Denn viele Staus würden sich schon allein dadurch in Luft auflösen, wenn ein kleiner Anteil der Autofahrer vollbefahrene Straßen meidet. Ein triftiger Einwand gegen ein solches System ist die Sorge, dass Besserverdienende profitieren, während Ärmere auch im Verkehr abgehängt werden. Schon bald würden dann auch in Deutschland Demonstranten in gelben Westen die Straßen bevölkern. Ockenfels hält dem entgegen: “Sogar ein Arbeiter mit wenig Geld, der pünktlich um 8 Uhr bei der Arbeit sein muss und nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann, könnte am Ende besser dastehen.” Sein Argument: In einem System mit kostenlosen Straßen muss der Arbeiter um 6.30 Uhr aufbrechen, da er bei Stau eineinhalb Stunden bis zu seinem Arbeitsplatz braucht. Gibt es ein Mautsystem, kann er sich die für ihn attraktivste Abfahrtszeit um 7.30 Uhr zwar nicht leisten.

Weil der Verkehr jetzt aber deutlich flüssiger laufe, könne er weiter um 6.30 Uhr losfahren. Zu dieser Uhrzeit ist die Fahrt in Ockenfels’ Modell noch kostenlos, die Fahrtzeit beträgt nicht 90, sondern 45 Minuten. Er kommt also schneller an. “Zudem sollten die Einnahmen aus dem System durch Entlastungen an anderer Stelle wieder vollständig zurückgegeben werden. Es geht nicht darum, Steuererlöse zu erhöhen”, sagt Ockenfels. Der Forscher versichert zudem, dass es mit moderner Technik möglich sei, die Autos metergenau zu erfassen, die Autofahrer aber vor Überwachung zu schützen. In Deutschland hat zuletzt auch der Sachverständigenrat die Stimme für ein Städte-Mautsystem erhoben. Unter anderem weil dadurch die Luftqualität besser werden könnte. Dennoch glaubt Ockenfels nicht, dass ein solches System hierzulande in absehbarer Zeit das Licht der Welt erblicken wird. Auf größeres Interesse stoße er bei den Behörden in Singapur, wo die Planungen schon Fahrt aufgenommen haben. Als Positivbeispiel nennt er zudem Stockholm. Dort hätten die Bürger ein Mautsystem zuerst mit großer Mehrheit abgelehnt. Als zwei Jahre die Staus deutlich weniger geworden waren, stimmten rund zwei Drittel der Stockholmer für den Erhalt des Systems.