Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der Preis der Pandemiepolitik

In den USA steigt die Inflation, der Drogenkonsum auch. Und die Schüler lernen weniger.

Von Winand von Petersdorff

 

 
Die Pandemie zwang Regierungen, unter größter Unsicherheit Entscheidungen zu treffen. Sie reagierten unter anderem mit Lockdowns und vor allem in den Vereinigten Staaten mit hohen finanziellen Zuwendungen für Familien und Firmen, um die Folgen von Schließungen abzumildern. Nach zwei Jahren Pandemiebekämpfung ist klar, dass die Regierungspolitik einen hohen Preis von der amerikanischen Gesellschaft forderte. Sozial Schlechtergestellte sind besonders betroffen.
 
Ökonomen haben unter anderem Folgeschäden in drei Bereichen für die USA diagnostiziert. Amerika leidet unter überdurchschnittlich hoher Inflation für ein Industrieland, Rückschlägen in der Bildung und deutlich mehr Drogentoten als in gewöhnlichen Zeiten. Alle drei negativen Entwicklungen stehen im Zusammenhang mit der Pandemiepolitik.
 
Die amerikanische Teuerung übertrifft die anderer Wirtschaftsmächte. Zu Beginn 2021 verabschiedeten sich die USA vom Inflationstrend, den sie zuvor mit wichtigen Industrieländern geteilt hatten. Der von Energie- und Lebensmittelpreisen bereinigte Verbraucherpreis-Index kletterte von unter 2 Prozent auf über 4 Prozent und verharrte dort 2021. In vergleichbaren OECD-Ländern pendelte sich der Index auf 2,5 Prozent ein.
 
Die vergleichbaren Industrieländer waren ebenso wie die USA von Lieferkettenproblemen und Schließungen betroffen. Ein wichtiger Unterschied aber war die Fiskalpolitik, deren Wirkungen sich im verfügbaren Einkommen der Bürger messen lassen. Es stieg erheblich über den langjährigen Trend, als Amerika zwei große Hilfspakete in Kraft setzte. In vergleichbaren Industrieländern blieb es dagegen ungefähr konstant. Forscher der Federal Reserve von San Francisco kommen zum Ergebnis, dass die generöse Fiskalpolitik bis zu drei Prozentpunkte der Inflation in der zweiten Jahreshälfte 2021 erklärt.
 
Bevor der Stab über die Regierung gebrochen wird, gilt allerdings auch, dass manche übertrieben hoch scheinende Ausgabe unvermeidlich ist. Ökonomen fordern nicht zu Unrecht von Regierungen, fiskalisch aus allen Rohren zu feuern, wenn Großkrisen zuschlagen, um Abwärtsspiralen zu stoppen. Allerdings gehen die Folgeschäden einer großzügigen Fiskalpolitik über klassische Teuerung deutlich hinaus. Die Zahl der Drogen- und Alkoholmissbrauch-Toten überstieg während der Pandemie von Anfang 2020 bis Mitte 2021 den Trend um rund 40 000. Der Ökonom Casey Mulligan kommt zum Ergebnis, dass die hohen Aufschläge auf das Arbeitslosengeld den Drogenkonsum beflügelt haben könnten. Die Zahlungen belohnten, nicht zur Arbeit zu gehen. Sie schenkten den Leuten Zeit, sich illegal Drogen zu besorgen und sich von ihnen zu erholen. Und sie brachten den Haushalten schlicht mehr Geld. Durchschnittliche Haushalte hatten plötzlich 30 Dollar mehr im Vergleich zu Zeiten vor der Pandemie – und das jeden Tag.
 
Bei Alkohol kann noch ein zweiter Effekt ins Spiel gekommen sein: Eine unbeabsichtigte Folge der Pandemiepolitik war, dass Leute nicht mehr in Bars tranken, sonders zu Hause. Das war billiger und bequemer. Der Einwand, dass die Leute nicht wegen zusätzlicher Mittel vom Staat, sondern aus verzweifelter Einsamkeit zu tödlichen Drogen griffen, zieht nicht. Wäre Verzweiflung das Hauptmotiv, würde die Statistik auch mehr Selbstmorde verzeichnen. Deren Niveau blieb aber konstant. Der Verdacht, dass generöse Fiskalpolitik Einfluss hatte, wird auch durch das Timing untermauert: Die Zahl der Toten war besonders hoch in den beiden Phasen mit großzügigen Arbeitslosengeld-Zuwendungen aus Washington.
 
Fürsorgliche Vorsorge prägte auch die Politik in den Schulen. Niemand konnte genau sagen, welche Rolle der Schulbetrieb bei der Verbreitung von Covid-19 spielte. Schulbezirke und die Bundesstaaten mussten schwierige Entscheidungen darüber fällen, wie Schülern und Lehrern am besten geholfen werden konnte. Solche Probleme gab es in fast allen Ländern. Überall arbeiteten die Verantwortlichen mit drei Maßnahmen: Entweder sie schlossen die Schulen und verlegten den Unterricht komplett ins Netz. Sie wählten hybride Modelle, bei denen Onlineunterweisungen und Präsenzunterricht sich abwechselten. Oder sie hielten weitgehend am Präsenzunterricht fest.
 
Eine Forschungsgruppe hat die Unterrichtsformen der Schulbezirke in 11 amerikanischen Bundesstaaten dokumentiert und untersucht, welchen Einfluss die Unterweisungsvarianten auf Testergebnisse von Schülern hatten. Den Forschern kam zugute, dass viele amerikanische Schüler regelmäßigen Leistungstests unterzogen wurden, um das aktuelle Bildungsniveau nach von Bildungsexperten formulierten Standards zu messen. Der dafür in verschiedenen bundesstaatlichen Varianten entworfene ELA-Test misst Fertigkeiten in Englisch, Fremdsprachen und Kunst, der Mathematiktest die Fertigkeit im Rechnen und logischen Denken.
 
Das erste Resultat der Forscher: Im Schuljahr 2020/2021 schnitten die Schüler der Klassen 3 bis 8 deutlich schlechter ab als ihre Vorgängergenerationen. Im Mathematiktest sank die Anzahl der erfolgreichen Absolventen um 12,8 Prozentpunkte, im ELA-Test um 6,8 Prozentpunkte. Die elf untersuchten Bundesstaaten schnitten dabei höchst unterschiedlich ab. Virginia schnitt am schlechtesten ab, Wyoming am wenigsten schlecht.
 
Ein Ergebnis aber ist besonders auffällig: Die negativen Abweichungen waren größer in Bezirken, in denen es wenig Präsenzunterricht und besonders viele schwarze Schüler gab. In Virginia fanden knapp zehn Prozent des Unterrichts als Präsenzunterricht statt, in Wyoming knapp 90 Prozent.
Die Forscher identifizierten überdies einen Trend, der politische Sprengkraft birgt: Konservative Schulbezirke und konservative Bundesstaaten – gemessen an Stimmen für Republikaner in der jüngsten Präsidentschaftswahl – hatten deutlich mehr Präsenzunterricht. Aber auch Bezirke mit vergleichsweise hohen Infektionsraten hielten häufiger an Präsenzunterricht fest. Emily Oster, eine der Autorinnen der Studie, hielt in einem Blogbeitrag fest: Die negativen Externalitäten von Präsenzunterricht sind nicht so groß wie die Kosten des Fernunterrichts, der in vielen Bezirken schlicht bedeutet, dass gar nicht unterrichtet wird.
 
 
Literatur:
Òscar Jordà, Celeste Liu, Fernanda Nechio, Fabián Rivera-Reyes: Why Is U.S. Inflation Higher than in Other Countries? 2022
Casey Mulligan: Lethal Unemployment Bonuses? Substitution and Income Effects on Substance Abuse, 2020-21. 2022
Clare Halloran, Rebecca Jack, James C. Okun, Emily Oster: Pandemic Schooling Mode and Student Test Scores: Evidence from US States. 2022