Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Zu viele Schulden machen arm

Es gibt eine magische Grenze: Ab 90 Prozent Verschuldung wird es für Staaten gefährlich. Jetzt wird klar: Die Staaten bekommen dann oft jahrzehntelang Probleme. Der Sonntagsökonom von Patrick Bernau

Es gibt eine magische Grenze: Ab 90 Prozent Verschuldung wird es für Staaten gefährlich. Jetzt wird klar: Die Staaten bekommen dann oft jahrzehntelang Probleme

Von Patrick Bernau

Soll es in Europa lieber mehr Sparpakete geben oder mehr Wachstumspakete? So geht die Diskussion in der Euro-Krise dieser Tage – seit in Frankreich der Sozialist François Hollande zum neuen Staatspräsidenten gewählt worden ist. Schnell haben die anderen Regierungschefs einen Weg gesucht, wie sie Investitionsprogramme anschieben können, um Hollande entgegenzukommen.

Doch vie Illustration: Alfons Holtgrevelleicht ist die Diskussion gar nicht richtig geführt. Vielleicht sind Sparen und Wachstum gar keine Gegensätze. Jedenfalls scheinen hohe Staatsschulden das Wachstum enorm zu beeinträchtigen – das legt eine neue Untersuchung der amerikanischen Ökonomen Carmen Reinhart, Vincent Reinhart und Kenneth Rogoff nahe.

Zwei der drei, Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, haben einst beim Internationalen Währungsfonds zusammengearbeitet, wo Rogoff Chefökonom war. Dort begannen sie, Finanzkrisen der vergangenen 800 Jahre zu erforschen, und brachten einige Jahre später ein großes Buch über die Geschichte der Krisen heraus – gerade rechtzeitig zur Hypothekenkrise der vergangenen Jahre. Aus ihrem großen Datenbestand haben sie noch weitere Erkenntnisse gezogen – unter anderem die, dass für Industrieländer Staatsschulden über 90 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gefährlich werden. Irgendwo oberhalb dieser Schwelle leidet das Wirtschaftswachstum, und zwar deutlich.

Wuchs die Wirtschaft in den untersuchten Ländern durchschnittlich um mindestens drei Prozent, solange die Staatsschuld unter 90 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt blieb, so erreichten die Länder in den Phasen mit höheren Schulden im Durchschnitt nicht mal mehr die Nulllinie beim Wachstum, sondern schrumpften. Das Problem: Viele Länder liegen heute schon ungefähr bei 90 Prozent, zum Beispiel die Vereinigten Staaten. Deutschland hat noch etwas Abstand, laut Statistischem Bundesamt kamen die öffentlichen Haushalte im vergangenen Jahr auf 81 Prozent.

Das Ergebnis von Reinhart und Rogoff kann Keynesianern nicht gefallen. Denn Keynesianer argumentieren oft wie Hollande: Lieber sollten Staaten mehr Geld ausgeben, um das Wachstum anzukurbeln. Da ist es ungünstig, wenn Staatsschulden dem Wachstum schaden. Also griff Nobelpreisträger Paul Krugman, der wohl öffentlich lauteste Keynesianer der Welt, seinen alten Gegner Rogoff scharf an: “Ich glaube, wir können sagen, dass Ihre Studie vollständig diskreditiert ist”, tönte er und verwies auf ein Gegengutachten aus der den amerikanischen Demokraten nahestehenden Denkfabrik “Economic Policy Institute”. Dessen Autoren sagten: Es sei doch gut möglich, dass ein Land erst in die Rezession sinke und daraufhin die Schulden stiegen. Andere Forscher fanden allerdings bald heraus, dass typischerweise zuerst die Schulden steigen und dann das Wachstum nachlässt.

Jetzt legen auch Reinhart und Rogoff nach. In einer neuen Untersuchung betrachten sie – gemeinsam mit Carmen Reinharts Mann Vincent – Phasen hoher Staatsverschuldung, in denen die 90-Prozent-Marke fünf Jahre in Folge überschritten wird. In den vergangenen 200 Jahren haben sie davon 26 gefunden, die meisten davon in Europa, aber auch in Neuseeland und Japan. In fast allen dieser Fälle war das Wachstum während der Schuldenjahre deutlich geringer als während der Jahre, in denen die Schulden unter der 90-Prozent-Marke blieben. Noch erschreckender: In Zeiten hoher Schulden bleibt das Wachstum nicht nur für ein paar Jahre beeinträchtigt. Wenn ein Land einmal stabil eine hohe Staatsverschuldung hat, kommt es so schnell nicht wieder heraus. Im Durchschnitt vergingen 23 Jahre, bis die Schuldenquote wieder unter 90 Prozent gesunken war – das ist deutlich länger als ein herkömmlicher Konjunkturzyklus. In dieser langen Zeit verlieren die Länder enorm an Wohlstand. Insgesamt sind die verschuldeten Länder am Ende dieser 23 Jahre um ein Viertel ärmer, als sie es ohne Schulden mutmaßlich gewesen wären. Übrigens sind nicht nur Staatsschulden gefährlich, sondern auch private Schulden. Die können nämlich schnell zu Staatsschulden werden, wie die Bankenkrise in Irland und Island gezeigt hat.

Warum drücken hohe Schulden das Wachstum so? Die klassische Erklärung ist der Zins – so wie derzeit in Griechenland. Kreditgeber bekommen angesichts der hohen Schulden Angst um ihr Geld und wollen es dem Land nur noch zu hohen Zinsen verleihen. Diese Zinsen fehlen dem Land, die Staatsausgaben müssen sinken oder die Steuern steigen. Mit den Staatsschulden werden auch Hypotheken und andere Kredite teurer. Menschen werden arbeitslos und können weniger kaufen – so stürzt das Land in eine Rezession, aus der es nur schwer wieder herauskommt.

Diese Erklärung trifft auch in vielen Fällen zu. Doch längst nicht immer, wie die drei Forscher feststellen. In acht der 26 untersuchten Hochschuldenphasen sind die Zinsen gleich geblieben oder sogar gesunken. Dazu kommt: Das Wachstum hat nicht in den Ländern am meisten gelitten, die die höchsten Zinssteigerungen hinnehmen mussten. Es muss also noch andere Gründe für die Wachstumsschwäche verschuldeter Länder geben. Die Autoren allerdings nennen keine.

Carmen und Vincent Reinhart sowie ihr Ko-Autor Kenneth Rogoff beschränken sich auf eine andere wichtige Feststellung: Zwar beweist ihre Untersuchung nicht, dass ein Sparprogramm jetzt der richtige Weg für Griechenland ist – doch auf jeden Fall sollten Länder, die noch unterhalb der 90-Prozent-Marke liegen, auf ihre Staatsschulden achten. Und zwar auch dann, wenn die Märkte den Staaten noch zu niedrigen Zinsen Geld bereitstellen. Das Wachstum leidet wahrscheinlich trotzdem schon, schließen die Autoren. “Wer auf das Warnsignal von den Märkten wartet, könnte ziemlich lange warten.”

Der Beitrag ist als “Sonntagsökonom” in der F.A.S. vom 13. Mai erschienen. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.

 

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