Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Finanzkrisen lassen sich rechtzeitig voraussehen

Was ist notwendig? Mittelfristiges Denken, eine globale Perspektive und eine umfassende Kenntnis der Einflüsse von Geld und Finanzmärkten auf die Realwirtschaft. Viele Ökonomen sollten neu denken; die Politik benötigt einen zweistufigen Ansatz.

Was ist notwendig? Mittelfristiges Denken, eine globale Perspektive und eine umfassende Kenntnis der Einflüsse von Geld und Finanzmärkten auf die Realwirtschaft. Viele Ökonomen sollten neu denken; die Politik benötigt einen zweistufigen Ansatz.

Von Gerald Braunberger

 

 

“Understanding in economics does not proceed cumulatively. We do not necessarily know more today than we did yesterday, tempting as it may be to believe otherwise. So-called “lessons” are learnt, forgotten, re-learnt and forgotten again. Concepts rise to prominence and fall into oblivion before possibly resurrecting. They do so because the economic environment changes, sometimes slowly but profoundly, at other times suddenly and violently. But they do so also because the discipline is not immune to fashions and fads. After all, no walk of life is.”
Claudio Borio

 

Wer künftig schwere Finanzkrisen verhindern will, benötigt ein besseres Verständnis der Bestimmungsgründe von Aufschwüngen und Niedergängen an den internationalen Finanzmärkten. Dazu gehört ein mittelfristiges Denken, eine umfassende Kenntnis der Einflüsse von Finanzmärkten auf die Realwirtschaft sowie die Erkenntnis, dass Finanzmärkte nur noch aus einer globalen Perspektive betrachtet werden können. Zu diesem Ergebnis gelangt Claudio Borio von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in einer aktuellen Untersuchung mit dem Titel “The financial cycle and macroeconomics: What have we learnt?”

Finanzielle Zyklen dauern sehr viel länger als Konjunkturzyklen. Während Finanzkrisen viele Jahre dauern können, erholt sich die Realwirtschaft üblicherweise schnell aus einer Rezession. Die besten Indikatoren, mit denen sich ein finanzieller Zyklus beschreiben lässt, sind die Entwicklung des Kreditvolumens und die Entwicklung der Immobilienpreise. Es ist auch durchaus möglich, den Aufbau hoher Risiken, die zu schweren Finanzkrisen führen, mit erheblichem zeitlichen Vorlauf zu erkennen. Hierzu empfiehlt Borio, neben den Immobilienpreisen Veränderungen des Verhältnisses von Kreditvolumen und Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Auge zu halten. Sehr zu beachten ist auch die Art und Weise, wie Banken ihr Aktivgeschäft refinanzieren. Betrachtungen früherer Finanzzyklen zeigen, dass dem Ausbruch der Krise oft eine starke Zunahme der Verschuldung von Banken durch die Ausgabe von Wertpapieren und die Aufnahme von Krediten bei anderen Banken nicht zuletzt im Ausland vorausging, während der Umfang der meist dauerhaft zur Verfügung stehenden Einlagen von Privatpersonen sehr viel langsamer wuchs.

 

“The main thesis is that macroeconomics without the financial cycle is like Hamlet without the Prince.”
Claudio Borio

Der BIZ-Ökonom sieht die seit Jahrzehnten herrschende Makroökonomik schlecht auf die neuen Herausforderungen vorbereitet. Das Geld und die Finanzmärkte spielten in diesen Modellen traditionell keine bedeutende Rolle und die derzeitigen Versuche, an die üblichen Modelle einen Finanzsektor anzuflanschen, betrachtet Borio als nicht ausreichend: “It is high time we rediscovered the role of the financial cycle in macroeconomics. In the environment that has prevailed for at least three decades now, it is not possible to understand business fluctuations and the corresponding analytical and policy challenges without understanding the financial cycle. This calls for a rethink of modelling strategies and for significant adjustments to macroeconomic policies.” Stattdessen hält er grundlegend neue Modelle für notwendig und er gibt auch mehrere Hinweise, in welche Richtung die Forschung gehen sollte. Unter anderem sollten Modelle Finanzkrisen als Konsequenz vorangegangener Übertreibungen erkennen.

In der BIZ existiert schon lange Unbehagen über die Vernachlässigung von Geld und Finanzmärkten in der herrschenden Makroökonomik und Geldpolitik *); im vergangenen Jahr hatte Borio mit Piti Disyatat die verbreitete Ansicht, Leistungs- bzw. Kapitalverkehrsbilanzsalden zu betrachten und zu bewerten, herausgefordert (Der Originaltext ist hier und eine Zusammenfassung gibt es hier): “We argue that such a view, with its focus on saving-investment balances, current accounts and net capital flows, calls for reconsideration…Current accounts and net capital flows reveal little about financing.” Statt dessen müssten, um Verwerfungen im Finanzsektor zu identifizieren, die grenzüberschreitenden Brutto-Kapitalbewegungen analysiert werden. Diese Position wird unter anderem auch von dem prominent besetzten Committee on International Economic Policy and Reform in seinem aktuellen Bericht “Banks and Cross-Border Capital Flows. Policy Challenges and Regulatory Responses” vertreten.

 

“In the discussion of policy, the essay pays special attention to the bust phase, which is less well explored and raises much more controversial issues.”
Claudio Borio

 

Was bedeuten diese Schlussfolgerungen für die Politik?

Die erste Lektion lautet: Die Länge und der Verlauf eines finanziellen Zyklus ist nicht vorbestimmt, sondern kann durch die Politik beeinflusst werden. Entscheidend sind der Grad der Liberalisierung von Finanzmärkten, die Frage, ob sich die Geldpolitik auch an der Steuerung von Vermögenspreisen ausrichtet und gute Angebotsbedingungen in der Realwirtschaft. Wenn durch Angebotspolitik die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotential einer Wirtschaft zunehmen, steigt einerseits oft die Nachfrage nach Krediten kräftig, während die Gefahr einer Güterpreisinflation gering bleibt. Richtet sich in einer solchen Situation die Geldpolitik alleine an der Stabilisierung des Güterpreisniveaus aus, kann eine lebhafte Kreditvergabe im Verein mit starken Preissteigerungen von Vermögensgütern einen finanziellen Boom erzeugen, der in einer Krise endet.

Die zweite Lektion lautet: Die Politik muss nach dem Ausbruch einer schweren Krise einen zweistufigen Ansatz verfolgen. Dem Krisenmanagement muss die Krisenbewältigung folgen.
In der ersten Phase eines Krisenmanagements geht es darum, einen Zusammenbruch des Finanzsystems sowie einen schweren Einbruch der Realwirtschaft durch eine aggressive Geldpolitik zu verhindern.
Die anschließende Phase der Krisenbewältigung kann lange dauern, da sich nach aller Erfahrung eine Wirtschaft nach einer schweren Finanzkrise nicht rasch erholen kann: “In crisis resolution, by contrast, the priority is balance sheet repair, so as to lay the basis for a self-sustained economic recovery. Here addressing the debt overhang is essential. And policies need to be adjusted accordingly.” Die Krisenbewältigung besteht vor allem in einer Gesundung des überschuldeten Finanzsystems durch vielerlei Maßnahmen wie die Zuführung von Eigenkapital, die Ausgliederung und Abschreibung fauler Kredite, der Marktaustritt sehr schwacher Banken und eventuell eine vorübergehende Verstaatlichung von Banken. Einfach ist Politik in einer solchen Situation nicht: “A problem is that traditional rules of thumb for policy may be less effective in addressing balance sheet recessions, because of the legacy of the financial booms and the headwinds of the bust. There is a risk that, to different degrees, these policies may buy time but also make it easier to waste it. This may store up bigger problems further down the road.” Vor allem besteht die Gefahr einer Überforderung der Geldpolitik – eine Überforderung, die sich bereits beobachten lässt und eventuell noch zunehmen wird.

 

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*) Geradezu berühmt wurde die Konfrontation zwischen dem damaligen BIZ-Chefökonomen William White und dem damaligen Fed-Vorsitzenden Alan Greenspan auf der Konferenz von Jackson Hole 2003; Stein des Anstoßes war ein Papier von Borio/White, das die Geldpolitik der Fed kritisierte. Die BIZ hatte vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2007 mehrfach deutliche Warnungen ausgesprochen, die aber in den Wind geschlagen wurden.

Dieser Beitrag ist eine erheblich erweiterte Version eines Artikels, der am 22. Dezember 2012 im Finanzmarkt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.