Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Geld der anderen

Neid ist nicht alles. Wenn andere reich sind, hilft das auch unserem eigenen Glück.

© Alfons HoltgreveIllustration

Nehmen Sie mal an, Sie könnten wählen – was macht Sie glücklicher? Sie können entweder in einem Land leben, in dem jeder 100.000 Euro Einkommen hat – aber Sie bekommen nur 50.000 Euro. Oder Sie leben in einem Land, in dem Sie nur 25.000 Euro bekommen – aber das Einkommen der anderen beträgt nur 10.000 Euro.

Diese Frage haben Ökonomen und Psychologen den Menschen auf der Welt schon viele tausend Mal gestellt. Fast immer entscheiden sich die meisten Leute für das Land mit dem kleineren Einkommen, in dem sie selbst die Reichsten sind. Daraus zogen die Glücksforscher den Schluss, dass den Leuten das eigene Einkommen gar nicht so wichtig ist, sondern dass es ihnen vor allem auf den Vergleich mit anderen ankommt. Wenn das stimmte, würde Wirtschaftswachstum auf Dauer nicht glücklicher machen. Doch jetzt wird diese Idee in Zweifel gezogen.

Der Zweifel leuchtet ein. Wenn es den Leuten so auf den Vergleich mit den anderen ankäme, müssten dann nicht viel mehr Deutsche zu beruflichen Missionen in den armen Entwicklungsländern streben? Müssten dann nicht viel mehr Rentner ihre Sachen packen und in ein Land ziehen, in dem das Wetter wärmer und die Preise kleiner sind? Warum tun das nur so wenige?

Darauf gibt es jetzt eine sinnvolle Antwort. Denn das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup befragt regelmäßig die Menschen auf der ganzen Welt nach ihrem Glück. Drei Psychologen von den amerikanischen Universitäten Purdue, West-Ontario und Illinois haben die Antworten daraufhin untersucht, wie es den Leuten in unterschiedlich reichen Ländern geht.

Glück allein macht nicht glücklich

Das versteht man leichter, wenn man weiß: Glück allein macht nicht glücklich. Schon seit einer Weile haben Ökonomen festgestellt, dass es mindestens zwei unterschiedliche Wege gibt, auf denen die Menschen ihr Glück finden. Das eine ist der eher emotionale, die kurzfristige Laune. Bin ich ausgeschlafen, habe ich Schmerzen, lache ich viel? Diese Laune pendelt bei den meisten Menschen um einen sehr stabilen Wert herum. Am Wochenende ist sie etwas besser, am Sonntagabend aber schon schlechter aus Ärger über die nächste Arbeitswoche, und selbst nach schweren Schicksalsschlägen erholt sich die Laune relativ schnell wieder auf ihren alten Grundwert.

Der andere Weg des Glücks ist der eher rationale, die Bewertung des ganzen Lebens: Bin ich mit meinem Leben zufrieden? Habe ich erreicht, was ich wollte und konnte? Geht es mir gut? Eltern zum Beispiel haben oft schlechte Laune, weil sie unausgeschlafen sind und Kinderbetreuung an sich wenig Spaß macht – dafür aber sind sie mit ihrem Leben viel zufriedener als Leute ohne Kinder.

Diese zwei Wege zum Glück werden auch wichtig, wenn es um das Wohlergehen in reichen und armen Ländern geht. Die amerikanischen Psychologen stellen nämlich fest: Der Reichtum der anderen schadet der Laune der Menschen tatsächlich. Zwar haben die Leute in reichen Ländern meist auch selbst ein höheres Einkommen, das ihre eigene Stimmung schon mal hebt. Doch wer sein Einkommen schon mal fix hat, dessen Laune ist umso besser, je weniger die anderen Leute im Land verdienen. Das muss nicht unbedingt am Neid liegen. Die Psychologen verweisen auch auf Umweltschäden (obwohl heute Industrieländer in ihrem Reichtum ihre Umwelt oft besser schützen können als Schwellenländer) und darauf, dass in reichen Ländern das Leben oft in rasantem Tempo stattfindet, mit wenigen Ruhepausen.

Profitieren vom Reichtum der Landsleute

Doch das ist nur die Hälfte ihrer Ergebnisse. Wenn die Leute nach ihrer Lebenszufriedenheit gefragt werden, dann sieht alles schon ganz anders aus. Plötzlich profitieren die Menschen vom Reichtum ihrer Landsleute – und je mehr Geld die anderen haben, umso zufriedener sind sie selbst mit ihrem Leben.

Woran liegt das? Darauf gibt eine Untersuchung der Industrieländer-Organisation OECD Hinweise. Unter dem Namen „Better Life Index“ hat sie schon seit Jahren eine Website online, auf der die Menschen ihren eigenen Wohlstandsindex basteln können: aus materiellem Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit, Umweltzustand und sieben weiteren Themen. Die Menschen stellen ein, was ihnen am wichtigsten ist, und die Website rechnet dann eine Rangliste der erfolgreichsten Länder aus. Dabei lernt die OECD auch, welche Themen in den Indizes der Menschen besonders viel Gewicht bekommen, auch wenn die Eingaben nicht repräsentativ sind. Und es zeigt sich: Geld allein macht nicht glücklich. Man muss sich auch etwas davon kaufen.

Die Deutschen ticken da ganz ähnlich wie die Menschen im Rest der Welt. Ganz oben stehen für sie die allgemeine Lebenszufriedenheit und die Gesundheit. Danach kommen Bildung, Work-Life-Balance, Sicherheit und Umweltzustand. Arbeit, eine schöne Wohnung und das Einkommen liegen weit hinten – bürgerliches Engagement aber ist mit weitem Abstand am unwichtigsten.

So zeigt sich, dass den Leuten das Einkommen an sich zwar nicht furchtbar wichtig ist. Aber was sie wollen, dafür braucht man Geld, und zwar das Geld von vielen Leuten. Ein gutes Gesundheitssystem gibt es nur dann, wenn sich ein Land viele Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger leistet – und viele Forscher, die neue Arzneimittel und Behandlungen entwickeln. Wer bessere Bildung will, muss Schulbücher kaufen und Universitäten bauen.

Reiche Länder machen glücklicher

Legt man die Prioritäten der Menschen an den „Better Life Index“ an, dann wird schnell deutlich: Je reicher ein Land ist, desto besser schneidet es auch im Wohlstandsindex der Menschen ab. Das gilt sogar innerhalb des Reichenclubs OECD. Nur wenn man sich aus den reichen OECD-Ländern noch mal die allerreichsten 20 heraus-pickt, schrumpft die Rolle des Reichtums.

Und so wird langsam klar, warum die Rentner in Deutschland bleiben. Sie haben Familie und Freunde hier, sie sprechen die Sprache und kennen die Kultur – aber Deutschland bietet ihnen auch einiges an wirtschaftlichen Leistungen: einen einigermaßen funktionierenden Straßen- und Schienenverkehr, sauberes Trinkwasser, ein gutes Gesundheitssystem. Alles Dinge, die sich Deutschland von seinem Reichtum leistet.

Der Beitrag ist der Sonntagsökonom aus der F.A.S. vom 11. Mai 2014.

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