Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wie Anleihekäufe wirken sollen

Die EZB hat am Donnerstag eine Ausweitung ihres Anleihekaufprogramms beschlossen, die unter den Erwartungen der Finanzmärkte lag. Das Ankaufprogramm wird von September 2016 bis März 207 verlängert und die aus den Anleihen zufließenden Zinserträge wieder investieren. Viel bringen dürfte das nicht.

Mit ihrer Geldpolitik will die Europäische Zentralbank die von ihr als zu niedrig eingeschätzte aktuelle Inflationsrate von 0,1 Prozent auf das gewünschte Niveau von knapp unter 2 Prozent bringen. Und wenn sich im Zuge dieses Prozesses das Wirtschaftswachstum beschleunigte, hätte die EZB nichts dagegen. Das Problem der EZB wie anderer Zentralbanken besteht darin, dass sich das Wirtschaftswachstum und die Inflationsrate als Ergebnis inländischer Konsum- und Investitionsausgaben und dem Außenhandel ergeben und die Geldpolitik unmittelbar auf diese Größen keinen Zugriff hat. (Wir haben uns in FAZIT schon mehrfach mit Anleihekäufen befasst, zum Beispiel hier und hier.)  Geldpolitik wirkt indirekt über Finanzmärkte; die Übertragungswege sind kompliziert und schwer einschätzbar. Dies gilt gerade für die Käufe von Anleihen, für die Daten von der Fed, der Bank of England, der Bank of Japan und nun auch von der EZB vorliegen. Anhand der Grafik lassen sich mögliche Übertragungswege beschreiben.

Uebertragungswege-Geldpolitik

Wenn eine Zentralbank von Geschäftsbanken Anleihen kauft, schafft sie zusätzliches Geld, das sie den Geschäftsbanken auf den bei ihr unterhaltenen Konten gutschreibt. Das ist die gerade in Deutschland häufig erwähnte „Geldschwemme“. Eine Idee ist, dass zusätzliche Guthaben bei der Zentralbank die Geschäftsbanken zu einer lebhafteren Kreditvergabe gegenüber Unternehmen und Privatpersonen veranlassen. Dies soll Konsum und Investitionen anregen.

Allerdings lässt sich ein enger Zusammenhang zwischen der „Geldschwemme“ bei der Zentralbank und einer deutlich wachsenden Kreditvergabe in der Privatwirtschaft sowie, in einem weiteren Schritt, einem Impuls für die Inflationsrate in der Praxis kaum nachweisen. (Hier sind ernüchternde Ergebnisse einer neuen Studie aus der Bank of England.) Der Gedanke, dass die Ausstattung mit Zentralbankgeld stark auf die Inflationsrate einwirkt, stammt aus einer Zeit, als Geld überwiegend aus von Zentralbanken geschaffenem Bargeld bestand. Doch schon lange besteht der größte Teil des Geldes aus Guthaben von Unternehmen und Privatpersonen, die durch Kreditvergabe von Geschäftsbanken geschaffen werden. Das Geschehen auf dem Kreditmarkt hängt nicht nur von der Geldpolitik ab, sondern auch von der Lage der Wirtschaft, also etwa von der Solidität der Banken, dem Vorhandensein guter Sicherheiten bei Kreditnehmern und der Stimmung von Unternehmen und Konsumenten. Zuletzt ist die Kreditvergabe im Euroraum langsam gestiegen.

Die Hoffnungen ruhen auf dem Portfoliokanal

Die Hoffnungen vieler  Geldpolitiker – nicht nur bei der EZB, sondern auch früher bei der Fed – ruhen vor allem auf dem „Portfoliokanal“. Anleihekäufe sollen zu Umschichtungen führen, nach denen die Vermögen steigen und die Finanzierungskosten von Unternehmen sinken. Davon verspricht man sich Impulse für Konsum und Investitionen. An der Entwicklung der Portfoliotheorie waren vor einem halben Jahrhundert Nobelpreisträger wie James Tobin und Milton Friedman beteiligt. Später galt sie als gescheitert, während sie heute wieder Beachtung findet (zum Beispiel hier).

So sieht der Plan aus: Die Zentralbank kauft von einem Großanleger langfristige Staatsanleihen. Der Großanleger erhält Geld, aber vermutlich wird er zinsloses Geld nicht als geeigneten Ersatz für die langfristige Staatsanleihe betrachten. Daher kauft der Anleger Unternehmensanleihen oder Aktien, die eher einen Ersatz für Staatsanleihen darstellen mögen. Die Kurse dieser Wertpapiere steigen. Gelegentlich wird der Geldpolitik vorgeworfen, sie verzerre Preise an Finanzmärkten. Aber gerade darauf beruht der ganze Effekt.

Denn höhere Wertpapierkurse wie auch steigende Immobilienpreise bedeuten einerseits einen Vermögenszuwachs bei Anlegern. Wenn die Konsumnachfrage auch vom Vermögen abhängt, steigt der Konsum. Höhere Preise für Unternehmensanleihen und Aktien sind aber auch gleichbedeutend mit niedrigeren Finanzierungskosten für Unternehmen, und zwar für Fremd- und für Eigenkapital. Davon verspricht man sich eine Zunahme der Investitionen.

Ob das funktioniert, ist unsicher

Inwieweit die Theorie in der Praxis funktioniert, bleibt bis heute ungeklärt. Die meisten Ökonomen trauen der Geldpolitik zu, Vermögenspreise zu beeinflussen. Aber auch bei dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit ist Vorsicht geboten: Eine Studie der britischen Käufe von Staatsanleihen konnte einen Einfluss auf die Preise von Unternehmensanleihen nachweisen, aber schon keinen Einfluss mehr auf die britischen Aktienkurse.

Noch viel unbestimmter erscheint der Effekt größerer Vermögen und niedrigerer Finanzierungskosten auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation. Die Ergebnisse von Studien für Amerika und Großbritannien sind widersprüchlich. Dies mag auch auf die Schwierigkeit zurückzuführen sein, die Wirkung von Vermögensumschichtungen auf die wirtschaftliche Entwicklung von anderen Einflüssen zu isolieren. Unternehmen steigern nicht ihre Investitionen, nur weil ihre Finanzierung günstiger geworden ist. Es gibt viele andere Einflüsse, nicht zuletzt die Absatzerwartungen. Kurzum: Der „Portfoliokanal“ mag funktionieren, aber die Wirkungen sind nicht leicht identifizierbar und sollten bis zum Nachweis des Gegenteils nicht überschätzt werden.

Eine sehr deutliche Kursbewegung setzte im Frühjahr 2014 mit einer Abwertung des Euros ein. Damals kaufte die EZB noch keine Anleihen. Statt dessen sagte damals EZB-Präsident Mario Draghi, dass er den Euro für überbewertet halte. Die Marktteilnehmer verstanden dieses Signal unverzüglich und begannen mit einer Euro-Abwertung, die sich im Laufe des Jahres beschleunigte, als Führungsmitglieder der EZB immer häufiger über die Möglichkeit von Anleihekäufen zu reden begannen. Auch dies verstanden die Marktteilnehmer als ein Signal. Diese Signalfunktion der Geldpolitik gilt als ein Instrument, mit dem sich Finanzmarktpreise und damit auch die Höhe von Vermögen und die Finanzierungskosten beeinflussen lassen. Die Grundidee besteht in der Steuerung der Erwartungen: Die moderne Wirtschaftslehre geht davon aus, dass aktuelles wirtschaftliches Handeln stark von den Erwartungen über die Zukunft geprägt ist. Der Signaleffekt passt gut in die moderne ökonomische Theorie.

Wer ankündigt, muss auch kaufen

Im konkreten Falle hatte die EZB für ihre Kommunikation den Wechselkurs gewählt und dies nicht ohne Grund. Denn eine Abwertung des Euros galt im vergangenen Jahr als der vielleicht mächtigste Hebel der EZB, um die Wirtschaft und die Inflation im Euroraum zu stimulieren. Interessanterweise kam die Abwertung im Frühjahr ziemlich genau zu dem Zeitpunkt zu einem Stillstand, als die EZB konkret mit Anleihekäufen begann. In den darauffolgenden Monaten wertete der Euro sogar leicht auf. Eine neuerliche Abwertung begann erst in den vergangenen Wochen, als die Führung der EZB immer unverhüllter über die Notwendigkeit einer weiteren geldpolitischen Lockerung Anfang Dezember zu reden begann. Auch dieses Signal kam an den Finanzmärkten an.

Der Signaleffekt der Geldpolitik ist, wie Studien belegen, in der Lage, Preise an Finanzmärkten zu bewegen. Aber seine Dauerhaftigkeit beruht auf dem Vertrauen in die „Lieferbereitschaft“ der Zentralbank. Wer die Märkte mit der Ankündigung künftiger Anleihekäufe bewegt, muss später auch Anleihekäufe beschließen. Eine Beeinflussung des Wechselkurses kann, wie eine Untersuchung aus dem Internationalen Währungsfonds belegt, eine spürbare Veränderung des Wirtschaftswachstums erzeugen, die gewöhnlich im ersten Jahr am größten ist. Nicht ohne Grund vermuten viele Beobachter, dass Draghi mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik in erster Linie den Euro am Devisenmarkt zusätzlich schwächen will. Der Wechselkurs ist daneben ein Kanal, über den expansive Geldpolitik ins Ausland exportiert wird, wo sie eventuell Schaden anrichtet.

Umstritten bleibt der Einfluss von Anleihekäufen der Zentralbank auf die Marktliquidität. Ein Argument, für das eine neuere Studie Bestätigung in Amerika findet, besagt, dass die Zentralbank in ihrer Rolle als Großkäufer, der nicht immer auf den Preis achten mag, dem Handel Liquidität zuführt. Dem stehen Erfahrungen aus Europa und Japan entgegen, nach denen der Handel auszutrocknen droht, weil die Zentralbanken viele Anleihen ankaufen.

Deutlich erkennbar ist die Wirkung des Vertrauens in eine Zentralbank – zumindest in Krisenzeiten. Draghis berühmte Worte „whatever it takes“ (was immer nötig ist) inmitten der heißen Phase der Eurokrise im Jahre 2012 beruhigten die Finanzmärkte und dürften zur Konjunkturstabilisierung beigetragen haben. Aber diese Wirkung nimmt im Laufe der Zeit ab. Dies bestätigt der Blick nach Amerika: Das erste Anleihekaufprogramm nach dem Kollaps von Lehman Brothers war mit hoher Wahrscheinlichkeit stabilisierend, während nachhaltig positive Wirkungen der nachfolgenden Anleihekaufprogramme bis heute schwieriger nachzuweisen sind.