Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Was treibt die Populisten?

Populisten bekämpfen die Globalisierung. Mal von rechts, mal von links. Warum? Von Jürgen Kaube

 

Auf die Frage, weshalb populistische Parteien und Politiker weltweit solchen Zulauf erhalten, sind verschiedene Antworten angeboten worden. Prominent sind Erklärungen, die auf wirtschaftliche Verlierer oder solche Bevölkerungsgruppen abstellen, die ökonomische Verluste zumindest fürchten. Schon die Namensgeber des “Populism” im späten neunzehnten Jahrhundert reagierten auf fallende Agrarpreise durch Freihandel. Heute könnte die Deutung, dass ökonomische Verlustängste ein wichtiges Motiv sind, regionale Ungleichheiten bei Wahlen erhellen: mehr Zulauf für die AfD im Osten als im Westen, höhere Stimmanteile beim Brexit auf dem Land als in der Stadt, größere Machtchancen für Rechtspopulisten in Frankreich und für Linkspopulisten in Griechenland als für beide in Deutschland.

Schaut man sich näher an, wogegen sich populistische Parteien wenden, fällt allerdings auf, dass bestimmte Ursachen für Einkommensunsicherheit nicht weit oben auf ihrer Agenda stehen. Sie sind keine Maschinenstürmer, der technologische und also heute digitale Wandel, beschäftigt sie nicht sehr. Sie sind zumeist auch keine Vertreter einer Wirtschaftspolitik, die binnenwirtschaftliche Konkurrenz im Zaum zu halten verspricht. Stattdessen, so der Harvard-Ökonom Dani Rodrik, konzentrieren sich die linken wie die rechten Angriffe auf die Mitte des politischen Spektrums auf den Freihandel, auf Migration, also den Wohlfahrtsstaat, und auf die Finanzmärkte.

Freihandel ist dabei vor allem in den Vereinigten Staaten des Donald Trump der Hauptgegner. Der Grund, so Rodrik: Die Liberalisierung des Welthandels wirkt sich nicht gleichmäßig auf alle Gruppen aus. Wenn Importpreise fallen, weil keine Zölle mehr auf die Waren erhoben werden, geraten die inländischen Produzenten unter Druck. Insbesondere dann, wenn die Schutzzölle zuvor nicht hoch waren, führt ihr Wegfall zu geringen Effizienzgewinnen, aber erheblichen Einkommensverlusten bei immobilen Beschäftigten in den betroffenen Industrien. Das Lohnwachstum in den vom Handelsabkommen Nafta betroffenen Sektoren blieb zwischen 1990 und 2000 ganze 17 Prozent hinter dem in nicht betroffenen Industrien zurück.

Dabei führte die Verdopplung der Importe aus Mexiko insgesamt nur zu kaum messbaren Einkommenseffekten für die amerikanische Wirtschaft; die letzten Schätzungen belaufen sich auf einen Wohlfahrtsgewinn von 0,08 Prozent. Teilweise werden die Effizienzgewinne durch Freihandel dann durch sozialstaatlichen Ausgleich wieder aufgezehrt, sofern es überhaupt zu solchem Ausgleich kommt. Wenn die Politik hingegen Freihandel mit einer Steuerpolitik zugunsten der oberen Schichten kombiniert, verstärken sich die Verarmungseffekte.

Die Geschichte der Freihandelsabkommen in den Vereinigten Staaten liest sich nach Rodrik so: Die von ihnen Begünstigten bräuchten im politischen Prozess die Zustimmung der späteren Verlierer, weswegen sie ihnen Ausgleich versprechen, woran sie sich aber, wenn erst einmal unterschrieben ist, nicht halten. Damit erodiert nicht zuletzt die Verhandlungsposition organisierter Arbeiterschaft. Insgesamt, so fasst Rodrik den Stand der Forschung zusammen, ist die Konkurrenz durch Importe der wichtigste Faktor, um die relativen Einkommensrückgänge bei den abhängig Beschäftigten seit den späten achtziger Jahren zu erklären.

Dass der Freihandel nicht in gutem Ruf steht, hat außerdem mit dem Gefühl zu tun, dass er auf unfairen Voraussetzungen ruht: die Verlagerung von Produktion in Länder mit lausigen Umweltstandards und kaum Arbeitsschutz beispielsweise. Es sei eines, den eigenen Job an jemanden zu verlieren, der zu denselben Bedingungen arbeitet, ein anderes ihn zu verlieren, weil eine inländische Firma sich diesen Regeln entzieht. Wenn “fair trade” nicht gilt, so die Reaktion, dann lieber weniger davon. Der technologische Wandel, der viel stärker als Handel in die Wirtschaftslage der meisten eingreift, trägt nicht das Stigma des Unfairen.

In Europa wenden sich viele populistische Parteien aber gar nicht gegen den Freihandel, sondern gegen Brüssel und die EU. Feindbilder wie Mexiko oder China – oder die Deutschen mit ihren Autos und anderen Quellen von Exportüberschüssen – werden hier wenig gepflegt. Das europäische Modell der politischen Ökonomie ist für Rodrik nämlich gerade durch die Kombination von Sozialstaat und offener Wirtschaft gekennzeichnet: Umverteilung kompensiert die Folgen des Freihandels. Darum ist es für den europäischen Populismus typisch, in Migranten, denen Ansprüche auf den Sozialstaat eingeräumt werden, oder in Politikern, die solche Ansprüche einräumen, das Feindbild zu sehen. Anders formuliert: Während in den Vereinigten Staaten es die Schwäche der Linksliberalen war, nur noch liberal, aber nicht mehr links zu sein, öffnete in Europa die Sozialdemokratie dem Populismus eine Flanke, weil sie ihre Klientel vergaß. Wenn inzwischen Politiker wie Jeremy Corbin scharfe Töne gegen Migration anschlagen, kann das als Reaktion auf diesen Umstand gewertet werden.

Die Migranten repräsentieren dabei aber nicht nur einen politischen Anspruch. Sie dokumentieren auch Mobilität, die im Verhältnis von Arbeit und Kapital in höherem Maße zumeist Letzterem zugeschrieben wird. Populistische Parteien ernten nicht zuletzt dort Stimmen, wo die Wähler aus Gründen ihrer Ausbildung, ihres Alters oder ihrer Versorgungslage vergleichsweise immobil sind. Mit einer Unterscheidung von Albert O. Hirschman: Vor Abwanderung kommt Widerspruch, und zwar umso heftiger, je weniger Abwanderung überhaupt eine Option ist. Je stärker Wahldistrikte in den Vereinigten Staaten vom Freihandel betroffen waren, desto mehr hatten sich 2016 die dort gewählten Kongressabgeordneten nach links oder rechts bewegt.

In Europa hingegen und in Lateinamerika ist der Populismus “einseitig”. Europäisch ist er bis auf wenige Ausnahmen einer von Rechtsparteien, die in “Fremden” und in Brüssel die gesellschaftlichen Hauptprobleme sehen, in Lateinamerika dominiert der Linkspopulismus, der es auf Wohlhabende und Konzerne abgesehen hat. Dort sind ausländisches Kapital, auswärtige Firmen und der IWF die prominentesten Einwanderer, weil die Migration von Arbeitskräften vor allem aus kulturell ähnlichen Ländern erfolgt. In Europa werden demgegenüber Verteilungskonflikte – etwa über die Verfügbarkeit von öffentlich finanziertem Wohnraum oder Schulplätzen – im Rahmen kultureller Zuschreibungen (“Identität”) geführt. Die Nachfrageseite des Populismus hat überall ähnliche Probleme, die auf Folgen der Globalisierung zurückgehen, nur die Angebote seitens der Populisten sind je nach Weltregion sehr unterschiedlich.

Dani Rodrik: Populism and the Economics of Globalization (https://drodrik.scholar.harvard.edu/publications/).