Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Makroökonomen sind gar nicht so schlecht

Die Federal Reserve Bank of New York hat in ihrem Blog Einblicke in ihr Makro-Modell gestattet. Es ist nicht perfekt, aber es ist auch nicht schlecht. Und es erklärt recht gut, warum die amerikanische Wirtschaft nur langsam in Schwung kommt.

Während in amerikanischen und britischen Ökonomenblogs weiterhin schwere Auseinandersetzungen über gesamtwirtschaftliche Analysen (“Macro Wars”) geführt werden – in der aktuellen Runde sind unter anderem Paul Krugman 1), Mark ThomaNoah Smith, Simon Wren-Lewis, Scott Sumner und David Glasner dabei -, haben Ökonomen der Federal Reserve Bank of New York in ihrem Blog “Liberty Street Economics” in einer fünfteiligen Serie und mit vielen Links ihr makroökonomisches Modell präsentiert. In einer Zeit, in der die traditionelle Makroökonomik unter Beschuss steht und erhebliche Zweifel an den Prognosefähigkeiten von Ökonomen bestehen, erlaubt diese  Folge einen interessanten Einblick in Möglichkeiten und Grenzen aktueller Makromodelle. 2)

Es handelt sich um ein modernes DSGE-Modell 3). Grundlagen solcher Modelle haben wir  in einem Interview mit dem mittlerweile an der University of Notre Dame lehrenden Ökonomen Rüdiger Bachmann dargestellt. DSGE-Modelle werden zum Beispiel in Zentralbanken und Wirtschaftsforschungsinstituten verwendet. Details zum Modell der New Yorker Fed gibt es hier.

In der nachfolgenden Grafik ist die Grundstruktur abgebildet, in der es Unternehmen gibt (die sowohl Konsumgüter produzieren als auch investieren), private Haushalte (die arbeiten, konsumieren und sparen), den Staat (der Geld- und Finanzpolitik betreiben kann) sowie die Banken, die den Finanzsektor verkörpern. Banken existieren in diesen Modellen erst seit wenigen Jahren – in dem New Yorker Modell seit dem Jahre 2011, zurück geht der Einbau der Banken auf eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahre 2009. Vor der Krise hatte es in den üblichen DSGE-Modellen keinen Finanzsektor gegeben, weil man davon ausging, dass Banken und Finanzmärkte immer einwandfrei arbeitet. Das führte zu einer schweren Kritik an diesen Modellen nach Ausbruch der Krise und daraufhin um die Erweiterung mit einem Finanzsektor.

Lassen wir die Banken noch einen Moment aus der Betrachtung weg, so sehen wir ein sogenanntes neokeynesianisches Modell in der Tradition der auf diesem Gebiete führenden “Modellbauer” Martin Eichenbaum und Larry Christiano (beide von der Northwestern University). “Neokeynesianisch” heißt, dass Güter- und Arbeitsmärkte nicht völlig flexibel sind, sondern mit Verzögerung auf Schocks reagieren. Das ist Standard,  aber nun spielen zusätzlich die Banken in dem Modell eine aktive Rolle. Im Falle einer Krise erhöhen sie in Anbetracht der Möglichkeit des Zahlungsausfalls von Kreditnehmern ihre Kreditzinsen (in der Grafik als “Spread shocks” bezeichnet). Die höheren Zinsen wirken sich auf die Investitionsnachfrage der Unternehmen aus und erreichen so die Realwirtschaft.

 

© FRBNYDas DSGE-Modell der New York Fed

Mit diesem Modell und vielen Daten haben die Ökonomen der New Yorker Fed  zwei Dinge getan: Sie haben zum einen nach den Ursachen der jüngsten amerikanischen Rezession in der Finanzkrise Ausschau gehalten und sich zum zweiten die Prognosen ihres Modells seitdem angeschaut.

Zwei wesentliche Schocks haben demnach die jüngste Rezession maßgeblich beeinflusst – und das Ergebnis zeigt ein weiteres Mal, dass es keinen Sinn hat, dogmatischer Anhänger einer ökonomischen “Schule” zu werden. Die Realität ist kompliziert und gibt vielen Betrachtungsweisen (teilweise) recht.

1. Eine sehr starke Rolle spielte  der “Spread Shock”, also die vorübergehend sehr hohen Risikoprämien, die Kreditnehmern von den Banken in Rechnung gestellt wurden. Der Anstieg dieser Risikoprämien war vorläufig, allerdings kann der einige Zeit nachwirken. Auf die Dauer müsste die Wirkung allerdings verschwinden. Die erhebliche Bedeutung des “Spread Shock” für die jüngste amerikanische Rezession ist Wasser auf den Mühlen moderner Fachleute, die von der Finanzökonomie kommen und diese mit der Makroökonomie verbinden wollen (“Macrofinance”). 4)

2. Es gab daneben einen vorübergehenden (!) Rückgang der sogenannten Totalen Faktorproduktivität (“TFP-Shock” in der Grafik). Die Totale Faktorproduktivität misst, vereinfacht ausgedrückt, die Effizienz, mit der die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital in den Unternehmen kombiniert werden. Ein wesentlicher, aber nicht der einziger Einflussfaktor ist der technische Fortschritt; andere Einflüsse können von ineffizienten Wirtschaftsstrukturen stammen. Die Erklärung der jüngsten Rezession durch Strukturschwächen in der Produktion von Gütern und Dienstleistungen gehört zum Rüstzeug liberaler Angebotsökonomen. Die Rezession des Jahres 2008 erklärt sich nach dem Modell der New York Fed rund zur Hälfte mit solchen Effekten.

3. Der Krise entgegen wirkte nach dem Modell vor allem eine aggressive Geldpolitik: “According to our model’s accounting, this extra effort is worth 2 to 3 percentage points of annual GDP growth in the middle of 2008, for a total boost to GDP of roughly 2 percent for 2008 as a whole. And this estimate does not even include the effects of the many credit and liquidity programs the Fed engaged in to ameliorate conditions in financial markets at the height of their stress.” Diese Erkenntnis dürfte neokeynesianische Ökonomen in der Tradition Michael Woodfords erfreuen.

An die Rezession hat sich eine lange Phase der Erholung angeschlossen, in der die Wirtschaft der Vereinigten Staaten bis heute langsamer wächst als von vielen Beobachtern erwartet. Im Unterschied zu vielen Konjunkturbeobachtern in der Privatwirtschaft hat das DSGE-Modell der Fed diesen wenig dynamischen Aufschwung bisher recht gut prognostiziert. Auch hier spielen mehrere Effekte eine Rolle.

1. Der negative Produktivitätsschock (TFP) in der Rezession hat sich nur als vorübergehend erwiesen. Das heißt, die Angebotsökonomen liegen mit ihren Erklärungen für die Rezession zumindest zum Teil richtig, aber ihre Behauptung, die Trägheit des Aufschwungs der vergangenen Jahre sei durch nachhaltige Defekte in der Produktionsstruktur begründet, ist im Lichte des New Yorker Modells nicht überzeugend: “In conclusion, this analysis finds little evidence of the permanent structural damage to the economy’s productive potential that many commentators see as the main culprit for the subpar recovery from the Great Recession.”

2. Die dominierende Erklärung für das schwache Wirtschaftswachstum und die unter den Erwartungen liegende Inflationsrate ist eine schwache Investitionstätigkeit der Unternehmen. Dieser “Investment Shock” umfasst in dem Modell alle Einflüsse auf die Investitionstätigkeit, die sich nicht mit hohen Risikoprämien durch Banken (“Spread Shock”) erklären lassen. Der “Spread Shock” des Jahres 2008 ist längst Geschichte; im Gegenteil sind die Zinsen stark gesunken. Es kann viele Gründe für eine schwache Investitionstätigkeit geben. Die Autoren der New York Fed sehen vor allem durch hohe private Verschuldung ausgehende lähmende Effekte auf die Kreditvergabe der Banken und damit das Wirtschaftswachstum. Das sind Effekte, die beispielsweise von Reinhart/Rogoff erwähnt wurden oder in einem aktuellen Buch der Autoren Amir Sufi und Atif Mian, das wir in FAZIT vorgestellt haben.

3. Das Wirtschaftswachstum unterstützt hat nach dem Modell nach wie vor die Geldpolitik, und zwar nicht unwesentlich durch verbale Ankündigungen (“Forward Guidance”).

Das Modell besitzt übrigens eine wenig erfreuliche Botschaft: Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten dürfte auch in der nächsten Zukunft nicht sehr dynamisch wachsen. Mal sehen, ob das stimmt.

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1) Paul Krugman ist der einzige akademische Ökonom, der mit seinem Blog ein breites Publikum außerhalb der Fachwelt erreicht. Da viele Blogs keine Nutzerzahlen ausweisen, lässt sich die Verbreitung näherungsweise über die Zahl der Follower bei Twitter schätzen. Hier sind aktuelle Zahlen (Stand: 29. September 2014) für ein paar Blogs:

Paul Krugman                       1.250.000
Mark Thoma                               20.800
Noahpinion                                  19.900
Marginal Revolution                  19.700
Greg Mankiw                               13.600
Why Nations Fail                        12.100

2) Die Autoren sind sich der Schwächen und Unvollkommenheiten ihres Modells sehr wohl bewusst: “DSGE models in general and the FRBNY model in particular have huge margins for improvement. The list of flaws is long, ranging from the lack of heterogeneity (the models assume a representative household) to the crude representation of financial markets (the models have no term premia). Nevertheless, we are sticking our necks out and showing our forecasts, not because we think we have a “good” model of the economy, but because we want to have a public record of the model’s successes and failures. In doing so, we can learn from both our past performance and readers’ criticism. The model is a work in progress. Hopefully, it can be improved over time, guided by current economic and policy questions and benefiting from developments in economic theory and econometric tools.” Die Wirtschaftsprognosen der New York Fed beruhen auch nicht alleine auf diesem Modell.

3) DSGE steht für “Dynamic Stochastic General Equilibrium”.

4) “This progressive increase in risk is accompanied by deteriorating credit conditions, culminating in two spikes in spreads in the third and fourth quarters of 2008 with the failure of Lehman Brothers. These abrupt increases in the cost of credit account for a decline in quarterly GDP growth of more than 5 percentage points (annualized), which is about half of the total drop in output growth at the nadir of the recession. Inflation is also significantly affected by these shocks, which account for about three quarters of the decline in inflation in the second half of 2008.” “Macrofinance” spielt seit jeher eine wichtige Rolle in FAZIT.