Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

„Solidarisches Grundeinkommen“: Gute Idee mit falschem Namen

Hartz IV ärgert viele Leute. Jetzt gibt es eine neue Idee. Sie heißt „solidarisches Grundeinkommen“ – dabei ist sie gar kein Grundeinkommen, analysiert Jürgen Schupp. Er findet: Die Idee kann den Deutschen trotzdem helfen.

© dpaMitarbeiten im Altersheim – darum geht’s

Seitdem der Regierende Bürgermeister von Berlin unter dem Namen „solidarisches Grundeinkommen“ einen entsprechenden Vorschlag gemacht hat, wird die Idee einer Alternative zu Hartz IV eifrig diskutiert. Der Mechanismus soll Langzeitarbeitslosen helfen, sich wieder aktiv am Erwerbsleben zu beteiligen.

© Detlef Güthenke/DIW BerlinJürgen Schupp ist Professor für Soziologie an der FU Berlin  und Vize-Direktor desSozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wider.

Bezieherinnen und Bezieher eines solidarischen Grundeinkommens sollen zwar nur den gesetzlichen Mindestlohn verdienen, könnten aber ohne Befristung in Vollzeit arbeiten und hätten damit rund 20 Prozent mehr in der Tasche als wenn sie nur Leistungen empfangen – und ein ganzes Stück Würde und Selbstachtung obendrauf. Hier, in der Rückkehr von Langzeitarbeitslosen in die Erwerbstätigkeit, liegt der Pfiff des Vorschlags. Die Glücksforschung belegt, dass selbst schlecht bezahlte Jobs die Lebenszufriedenheit anheben – im Gegensatz zum Verlust des Arbeitsplatzes und dem Bezug von Hartz IV. Für Hartz IV schämen sich viele und Stigma und Scham werden, das belegt auch die Forschung, an Kinder und Kindeskinder vererbt.

Ein Grundeinkommen ist das nicht

Ob der Begriff „Grundeinkommen“ glücklich gewählt ist, mag man allerdings bezweifeln. Denn es geht ja gerade nicht um ein Einkommen ohne Bedingungen und ohne Gegenleistung, sondern um vom Staat zur Verfügung gestellte niedrig bezahlte Job. Vielleicht wäre „solidarischer Beschäftigungssektor“ der treffendere Begriff.

Als Arbeitgeber würden die Kommunen im Grunde nur die gemäß dem neoliberalen Ideal eines schlanken Staats jahrelang abgebauten Stellen wieder aufbauen, vorwiegend im personenbezogenen Dienstleistungssektor, und sie Langzeitarbeitslosen anbieten. Die Einführung eines solchen Modells wäre von seitens der Politik und der Gesellschaft das Eingeständnis, dass der freie Markt nicht alles regeln kann. Und dass die Bereitstellung steuerlich finanzierter Beschäftigungsverhältnissen einen wichtigen – und im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung zunehmend wichtigen – Teil einer kommunalen Daseinsfürsorge darstellt.

Die Idee, vom passiven  Leistungsbezug wegzukommen zugunsten einer aktiven Hilfe durch Erwerbstätigkeit ist alles andere als neu. Sie wird bereits in einigen Bundesländern wie Baden-Württemberg praktiziert, bislang ist aber die Finanzierungsfrage unbefriedigend geregelt.

Mindestens 5000 Euro Kosten pro Arbeitsplatz

Modellrechnungen des DIW Berlin haben ergeben,  dass jede geschaffene „solidarische“ Stelle Nettozusatzkosten (also abzüglich der eingesparten Leistungen) von 5.000 bis 7.500 Euro pro Jahr bedeuten würde. Geht man von 100.000 Menschen aus, die in den Genuss der Maßnahme kommen – angesichts der aktuellen Arbeitsmarktverhältnisse eine realistische Zahl – kommt man auf eine Summe von bis zu 750 Millionen Euro. Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht eh Mittel in Höhe von jährlich etwa einer Milliarde für Langzeitarbeitslose vor, so dass eine Umsetzung der „solidarischen Beschäftigung“ rasch realisierbar wäre.

Was passiert aber, wenn aus derzeit 100.000 Langzeitarbeitslosen bei der nächsten Wirtschaftskrise das Vielfache wird? Dann würden die Kosten in die Höhe schießen, monieren Skeptikerinnen und Skeptiker. Aber genau weil es uns derzeit gut geht, müssen solche neuen Wege jetzt gegangen werden – mit der nötigen Analyse begleitet, damit man in der nächsten Krise weiß, was funktioniert und was nicht.

Als nächster Schritt muss eine konsensfähige „Positivliste“ an geförderten Tätigkeiten aufgestellt werden, auch um Befürchtungen über eine Konkurrenz mit dem regulären Arbeitsmarkt und einem Stellenabbau im öffentlichen Dienst zu zerstreuen. Es gibt jede Menge gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten, etwa in der Kranken- oder Altenpflege, bei denen Fachkräfte Entlastung für einfache Arbeiten dringend nötig hätten. Vieles davon wurde früher von Zivildienstleistenden geleistet, die es nicht mehr gibt. In Alten- und Pflegeheimen hat das Personal keine Zeit, den Patienten einfach nur zuzuhören oder mit denen an die frische Luft zu gehen. Aber es gibt keinen Grund, warum sich eine Gesellschaft hierfür ganz auf Familienangehörige oder Ehrenamtliche verlassen sollte. Die Übernahme solcher Dienstleistungen würde kein Lohndumping darstellen, keine reguläre Beschäftigung beeinträchtigen oder bedrohen. Für den Rentner, mit dem jemand spazieren geht, die Alleinerziehende, die für einigen Stunden auf ein Babysitter zurückgreifen kann, verbessert sich das Leben. Ebenso für die ehemals Langzeitarbeitslosen, die dadurch wieder in ein bescheidenes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis kommen. Wenn dies noch die Sozialgerichte entlastet, die einer Flut von Hartz IV-Prozessen ausgesetzt sind, wäre das ein zusätzlicher erfreulicher Nebeneffekt.

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