Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Geldpolitik im Teufelskreis

In der Krise bewegt sich die Geldpolitik auf einem schmalen Grat zwischen Deflation und Inflation. Geldwertstabilität, Finanzstabilität und die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung sind miteinander verbundene Konzepte. Von Markus Brunnermeier und Gerald Braunberger

Von Markus Brunnermeier *) und Gerald Braunberger

Die im Jahre 2007 ausgebrochene Finanzkrise hat Zweifel an zuvor verbreiteten ökonomischen Konzepten genährt. Vor der Krise galt das „Inflation Targeting“ **) als eine empfehlenswerte Strategie zur Sicherung des Geldwerts. Die Inflationsrate war die direkte Zielgröße, die direkt mithilfe des Leitzinses durch die Zentralbank gesteuert werden sollte. Die Stabilität des Finanzsystems und die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung wurden als gegeben angenommen und konnten unabhängig von der Finanzaufsicht und den Regierungen (Fiskalbehörden) abgesichert werden.

Wie die Krise lehrt, sind Geldwertstabilität, Finanzstabilität und die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung jedoch keine voneinander unabhängigen, sondern miteinander verbundene Konzepte. Eine Geldpolitik, die dies nicht erkennt, begibt sich in Gefahr, unter Druck von Regierungen oder Banken zu geraten und eine Geldpolitik zu betreiben, die sie vom Ziel der Geldwertstabilität weg führt. Das Ergebnis kann entweder hohe Inflation oder Deflation sein.

Die Verbundenheit der drei Stabilitätskonzepte ergibt sich aus einer Analyse, die Ineffizienzen von Finanzmärkten berücksichtigt, die Rolle von Banken ernst nimmt und Verteilungseffekte zwischen produktiven und weniger produktiven Wirtschaftseinheiten betrachtet. In dieser Analyse spielt die Verteilung der Vermögen eine Rolle für die Kredittätigkeit und das Wirtschaftswachstum. In der Krise unterbleibt eine optimale Allokation von Ersparnissen, weil unterkapitalisierte Banken in ihrer Kreditvergabe gehemmt sind.

Die bislang dominierenden makroökonomischen Modelle können solche Prozesse nicht untersuchen, weil sie von einem für die Wirtschaft repräsentativen Individuum bevölkert werden. Alternative Modelle unterteilen die Gesamtwirtschaft in Sektoren, deren Ausstattung und Präferenzen verschieden sein können. Um ein Beispiel zu geben: Für deutsche Anleger, die Geldvermögen gegenüber Sachvermögen bevorzugen, spielt Inflation eine andere Rolle als für einen Investor in Spanien, der mit einem Bankkredit den Kauf einer Immobilie finanziert hat.

Passive Geldpolitik in der Krise begünstigt Deflation

Der Auslöser einer Krise kann ein negativer Schock oder auch die gewonnene Erkenntnis sein, daß der bisherige Wachstumspfad nicht nachhaltig aufrechtzuerhalten ist. Eine Geldpolitik, die sich nach dem Ausbruch der Krise passiv verhält, kann schweren Schaden anrichten. Der Schock verursacht Wertverluste auf den Aktivseiten von Banken, zum Beispiel in Gestalt fauler Kredite für Wohn- und Gewerbeimmobilien. Die Banken werden auf diese Wertverluste mit dem Versuch reagieren, ihr Geschäft, sprich ihre Bilanzsumme, zu reduzieren, indem sie Aktiva verkaufen und ihr Kreditvergabe zurückfahren.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ist eine geringere Kreditvergabe gleichbedeutend mit einer rückläufigen Geldschöpfung, da Banken weniger Sichteinlagen produktiv einsetzen. Die Verringerung der Geldmenge erzeugt Deflationsdruck, der den Realwert der Verbindlichkeiten von Banken und Unternehmen beeinflusst.

Beide Seiten der Bilanz schaffen den Banken Probleme: Auf der Aktivseite verlieren ihre Forderungen an Wert, während auf der Passivseite der reale Wert ihrer Verbindlichkeiten zunimmt. Angesichts dieser Malaise werden sie versuchen, ihre Bilanzsumme weiter zu reduzieren, was zusätzlichen Deflationsdruck erzeugt, der wiederum die Bankbilanzen unter weiteren Druck setzt. Es entsteht ein erster Teufelskreis: Wenn die Geldpolitik nicht eingreift, droht die Wirtschaft in eine Deflationsspirale zu stürzen, wie sie in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre von dem amerikanischen Ökonomen Irving Fisher beschrieben wurde.

Die in den Vereinigten Staaten als „Great Depression“ bezeichnete Krise wurde in der Nachkriegszeit von den Ökonomen Milton Friedman und Anna J. Schwartz in ihrer „A Monetary History of the United States“ auf eine zu passive Geldpolitik zurückgeführt: Damals sah die Fed zu, wie Zusammenbrüche von Banken die Geldmenge reduzierten und die sich anschließende Deflation verschuldete Unternehmen und Landwirte in den Bankrott trieb.

Passive Geldpolitik in der Krise ist nicht verteilungsneutral: Die Deflation schadet Banken und verschuldeten Unternehmen. Auf den ersten Blick, scheint es, dass Haushalte mit Ersparnissen zu den Gewinnern der Deflation gehören. Doch diese Umverteilung von produktiven zu weniger produktiven Einheiten ist gefährlich: Wenn als Folge der Deflation die Wirtschaft in eine schwere Krise stürzt, ist damit niemandem gedient.

Aktive Politik darf nicht nur ein Inflationsziel verfolgen

Das Szenario von Fishers Deflationsspirale zeigt, dass eine passive Geldpolitik eine gefährliche Antwort auf eine systemische Krise darstellt. Aber wie sollte eine aktive Geldpolitik beschaffen sein? Ein von vielen Ökonomen vertretener Ansatz besagt, eine Zentralbank solle durch die Ankündigung eines Inflationsziels versuchen, sich dem Deflationsdruck entgegen zu stemmen, wie dies gerade die Bank von Japan angekündigt hat. Dieser Ansatz berücksichtigt jedoch nicht Verteilungswirkungen.

Krisen können sehr unterschiedliche Folgen für die einzelnen Sektoren einer Wirtschaft besitzen: Wie die Charts demonstrieren, hat die in den neunziger Jahren in Japan ausgebrochene Krise vor allem die Unternehmen getroffen, nachdem deren Verschuldung in den achtziger Jahren stark angestiegen war. In den Vereinigten Staaten erfasste die im Jahre 2007 ausgebrochene Krise vor allem die privaten Haushalte, die sich in den vorhergegangenen Jahren stark verschuldet hatten. Damit stellt sich die Frage, inwieweit eine aktive Geldpolitik konkret gegen Verteilungswirkungen vorgehen sollte, die bei passiver Geldpolitik die Wirtschaft in eine Deflationsspirale stürzen ließen.

Grundsätzlich wäre es zur Überwindung der Krise vorteilhaft, jene Wirtschaftssektoren bevorzugt zu unterstützen, die von den Unvollkommenheiten der Finanzmärkte besonders stark betroffen sind. Deren Bilanzen zu reparieren könnte einen wichtigen Beitrag für die Wiederbelebung der Wirtschaft leisten.

Eine Zentralbank, die immer dem in Schwierigkeiten befindlichen Bereich der Wirtschaft aushilft, schlüpft in die Rolle eines Versicherers gegen makroökonomische Risiken. Die Theorie der Versicherung lehrt jedoch, dass Versicherungen einerseits aus gesamtwirtschaftlicher Sicht effizienzsteigernd wirken können, aber gleichzeitig zu Missbrauch durch moralisches Fehlverhalten („Moral Hazard“) anfällig sind.

Die Zentralbank gerät in einen Zielkonflikt. Unterstützt sie die Banken, steigert sie die gesamtwirtschaftliche Effizienz, weil sie einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindert und eine das Wirtschaftswachstum fördernde Kreditvergabe unterstützt. Gleichzeitig aber trägt sie auch dazu bei, „Zombiebanken“ ohne Geschäftsmodell am Leben zu erhalten und sät den Samen für die nächste Krise.

Der Instrumentenkasten aktiver Geldpolitik

Eine Zentralbank verfügt über Instrumente, um von der Krise besonders getroffene Wirtschaftssektoren zu unterstützen. Traditionelle Geldpolitik besteht aus der Steuerung eines kurzfristigen Leitzinses sowie Ankündigungen über die Ausrichtung künftiger Geldpolitik, mit denen die Zentralbank die Inflationserwartungen steuert und damit indirekt auf den langfristigen Zins am Kapitalmarkt wirkt.

Die Zentralbank ist damit in der Lage, die Zinskurve zu beeinflussen. Eine steile Zinskurve, bei der die Zentralbank den kurzfristigen Zins senkt, aber den langfristigen Zins höher hält, begünstigt vor allem die Banken. Denn zu ihrem Kerngeschäft gehört die Fristentransformation. Banken leihen sich kurzfristig Geld zu niedrigen Zinsen, das sie langfristig zu höheren Zinsen verleihen. Andere Verteilungswirkungen stellen sich ein, wenn die Zentralbank die Zinskurve flach hält; das heißt, wenn sich kurz- und langfristige Zinsen auf einem vergleichbaren und niedrigen Niveau befinden. Hiervon profitieren vor allem hoch verschuldete Unternehmen und Privathaushalte, die häufig langfristig verschuldet sind. Im Gegenzug benachteiligen sehr niedrige zehnjährige Renditen Pensionskassen, Versorgungswerke und Anbieter von Lebensversicherungen.

Neben der traditionellen Geldpolitik betreiben Zentralbanken in der Krise auch noch eine unkonventionelle Geldpolitik. Auch sie ist nicht verteilungsneutral.

Ein unter anderem von der Europäischen Zentralbank benutztes Instrument ist eine erhebliche Vergrößerung des Volumens der an die Geschäftsbanken vergebenen Kredite, bei der die EZB zunehmend qualitativ schlechtere Pfänder („collateral“) akzeptiert hat. Hiervon profitieren die Banken in Form eines reichlichen und billigen Zugangs zu Geld. Das Risiko von Verlusten, die im Falle der Verwertung der qualitativ schlechten Pfänder existiert, trägt direkt die EZB und indirekt alle Geldbesitzer im Euroraum, die als Steuerzahler herangezogen werden, wenn die EZB nach hohen Verlusten rekapitalisiert werden müsste.

Ein anderes, von mehreren Zentralbanken genutztes Instrument besteht im Ankauf von Anleihen. Überwiegend handelt es sich um Staatsanleihen, gelegentlich auch um Unternehmensanleihen oder Hypothekenpapiere. Je nachdem, welche Arten von Anleihen eine Zentralbank kauft, betreibt sie Umverteilung. Die Zentralbank (und indirekt hinter ihr die Geldbesitzer im Währungsraum) tragen das mit dem Ausfall der Gläubiger verbundene Verlustrisiko. Werden die oft mit Abschlag auf den Nominalwert erworbenen Anleihen bedient und zum Nennwert getilgt, entsteht für die Zentralbank ein Gewinn.

Die Gefährdung der Unabhängigkeit

Aus reinen Effizienzgesichtspunkten bestehen gute Gründe für eine aktive Geldpolitik, die sich gegen Verteilungswirkungen einer Krise stemmt. Aber eine Zentralbank agiert nicht in einem Vakuum, sondern in einem komplizierten wirtschaftlichen und politischen Umfeld. Eine Geldpolitik, die gezielt Umverteilung betreibt, untergräbt die Unabhängigkeit einer Zentralbank. So ließe sich argumentieren, dass Verteilungspolitik wie auch die Restrukturierung in Not geratener Unternehmen oder Wirtschaftszweige zu den Aufgaben einer Regierung und nicht einer Zentralbank gehört. Was aber soll eine Zentralbank tun, wenn eine Regierung sich unangenehmen Aufgaben, etwa der Restrukturierung von Banken oder der Deregulierung von Arbeitsmärkten, verweigert und darauf baut, dass an ihrer Stelle die Zentralbank als Versicherer gegen eine Wirtschaftskrise bereit steht? Daher betont die EZB häufig, dass ihre Politik nur Zeit kaufen könne, die von den Regierungen für Reformen genutzt werden müssten.

Zentralbank, Regierung und Aufsicht im Spannungsfeld

Eine wichtige Erkenntnis aus der Krise lautet, dass die drei dominierenden Stabilitätskonzepte – Stabilität des Geldwerts, Stabilität des Finanzsystems (Finanzstabilität) und dauerhafte Tragfähigkeit der Staatsverschuldung – miteinander verbunden sind. Die Aufgaben der Zentralbank, der Regierung und der Finanzaufsicht können daher nicht unabhängig voneinander betrachtet werden: Vielmehr müssen die drei Stabilitätswächter kooperieren, wenn verheerende Teufelskreise vermieden werden sollen.

Aus der Sicht der Finanzbranche geht der Krise ein Übermaß an Fristentransformation voraus: So hatten sich zum Beispiel die im Besitz deutscher Banken wie der IKB, der Sachsen LB oder Commerzbank befindlichen Schattenbanken („conduits“) langfristige Wertpapiere erworben, die unter anderem amerikanische Immobilienkredite beinhalteten. Diese langfristigen Aktiva waren refinanziert durch kurzfristige Schuldpapiere der Schattenbanken, die immer wieder erneuert werden mussten. Nach Ausbruch der Krise fiel es den Schattenbanken und in der Folge auch normalen Banken schwer, Abnehmer für ihre kurzfristigen Wertpapiere zu finden – die für Finanzunternehmen essentielle Liquidität wurde zu einem knappen Gut. Die Banken reagierten darauf mit raschen Verkäufen von Aktiva und der Beschränkung ihrer Kreditvergabe, die den eingangs beschriebenen Deflationsdruck auslöste und die Banken zu weiteren Verkäufen von Aktiva und der weiteren Rückführung von Krediten veranlasste, um. Diese starke Nachfrage nach liquiden Anlagen bildet eine Voraussetzung, um einen unmittelbaren Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern.

In dieser Situation ist entscheidend, wie sich Zentralbank und Regierung verhalten – ob sie kooperieren oder ob sie ein Spiel mit dem Untergang („chicken game“) bevorzugen, bei dem jede Seite in der Erwartung still hält, die andere Seite werde als erste reagieren.

Angenommen, in einem ersten Szenario hält die Zentralbank nach Ausbruch der Krise still; man spricht hier von monetärer Dominanz. Die Krise erzeugt dann den eingangs beschriebenen Deflationsdruck, der Zahlungsausfälle von Kreditnehmern der Banken verursacht. Sinkende Steuereinnahmen und eine höhere Bailoutwahrscheinlichkeit der Banken gefährden die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung. Die Wertverluste der Staatsanleihen erweisen sich als eine zusätzliche Gefahr für die Stabilität der Banken, von denen viele üblicherweise Staatspapiere halten. In einer offenen Welt wird es auf der Suche nach sicheren Anlagen zu einem Kapitalabfluss aus dem Land kommen. Im Modell einer passiven Zentralbank, die Deflation akzeptiert, entsteht der zweite Teufelskreis zwischen dem Risiko zusammenbrechender Banken und dem Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des Staates. (Dies zeigt die gestrichelte Linie in der Grafik.)

In einem zweiten Szenario hält die Regierung nach Ausbruch der Krise still, um die Zentralbank zum Handeln zu zwingen. Die Zentralbank greift durch Zinssenkungen und andere Maßnahmen wie Anleihenkäufe ein. Nun wird zwar nicht die Deflation zu einer Gefahr, wohl aber Inflation, weil die Zentralbank in eine Falle zu geraten droht. Zum einen kann die Zentralbank in eine Falle geraten, wenn sie sich mit Rücksicht auf die Gesundheit systemrelevanter Banken nicht traut, auch bei entstehenden Inflationsgefahren die Zinsen nicht zu erhöhen. Hier soll die Zentralbank die Geldwertstabilität zugunsten der Finanzstabilität opfern. Die Zentralbank wird Opfer der „Finanzdominanz“.

Die Zentralbank kann sich aber auch in einer Falle sehen, wenn sie sich mit Rücksicht auf die Regierung nicht traut, trotz Inflationsgefahren ihre Zinsen zu erhöhen. Diese als fiskalische Dominanz bezeichnete Situation wird von den Vertretern der sogenannten Fiskaltheorie des Preisniveaus analysiert, zu denen der an der Princeton University zählende Nobelpreisträger Chris Sims zählt.

Sims hat kürzlich in seiner Ansprache als Präsident der American Economic Association die Gefahren für die Handlungsfähigkeit der Geldpolitik verdeutlicht. In einer Welt, in der Zentralbanken auf Guthaben Zinsen zahlen, werden Zentralbankguthaben aus der Sicht von Geschäftsbanken zu einem Substitut für kurzlaufende Staatspapiere. Für die Vereinigten Staaten bedeutete dies: Sollte die Fed sich gezwungen sehen, ihren Zins auf 6 Prozent zu erhöhen und die Regierung eine Rendite von 6 Prozent auf dreimonatige Schatzwechsel bieten müssen, stiege der Anteil der Zinsausgaben an den gesamten Ausgaben des Bundesstaats von 10 auf 30 Prozent. Dieses Rechenbeispiel gilt unter der Annahme einer Staatsverschuldung in Höhe von 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – ein Schuldenstand, von dem die Vereinigten Staaten nicht mehr weit entfernt sind. Es ist leicht vorstellbar, dass die Fed in einer solchen Situation unter erheblichen Druck geriete, ihren Zins nicht auf 6 Prozent zu erhöhen.

Reagiert die Zentralbank jedoch nicht auf die Inflationsgefahren, bilden sich Inflationserwartungen mit ihren schädlichen Folgen wie zum Beispiel überzogenen Preisanstiegen von Sachgütern wie Immobilien, die Fehllenkungen von Kapital induzieren. Die Zentralbank soll die Geldwertstabilität opfern, um einen Beitrag zur Tragfähigkeit der Staatsverschuldung zu leisten. In diesem Spiel zwischen Regierung und Zentralbank verschlimmerte eine Verzögerungstaktik die Lage.

Die Zentralbank in der Rolle eines Fahrradfahrers

Die vorangegangenen Ausführungen belegen, dass nach Ausbruch einer schweren Krise die Situation für die Zentralbank in jedem Falle misslich ist. Starke Kräfte wirken in entgegengesetzte Richtungen. Kleine Fehler können entweder in eine Inflation mit ihren nachteiligen Folgen oder in eine verheerende Deflationsspirale führen. Ein Vergleich mit einem Fahrradfahrer, dessen Geschwindigkeit sich Null nähert, bietet sich an: Man weiß nicht, ob das Fahrrad eher nach links oder nach rechts stürzen wird. Wohl aber weiß man, dass es für den Fahrer sehr schwierig sein wird, die Balance zu halten. Solange das Fahrrad aber nicht schneller fährt – im Falle der Zentralbank: Solange die Wirtschaft nicht wieder schneller wächst – ist der Balanceakt unvermeidbar.

Rechtzeitige Krisenprävention ist notwendig – und möglich

Es ist daher notwendig, den Ausbruch einer weiteren systemischen Krise in der Zukunft zu vermeiden. Zeiten mit hoher gesamtwirtschaftlicher Stabilität und der Entstehung zahlreicher Finanzinnovationen begünstigen den Aufbau systemischer Risiken. Die Ökonomen müssen wieder lernen, monetäre Analysen ernst zu nehmen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, die Entwicklung von Geld- und Kreditvolumina in der Gesamtwirtschaft, aber auch in den einzelnen Sektoren, genau zu verfolgen, um Überschuldung rechtzeitig zu diagnostizieren. Detailliertere Indikatoren, zur Beispiel zur Messung von Liquidität, können ergänzend hilfreich sein.

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*) Markus K. Brunnermeier ist Edward S. Sanford Professor of Economics an der Princeton University. Der vorliegende Beitrag beruht auf mehreren wissenschaftlichen Arbeiten, die Brunnermeier in den vergangenen Jahren mit seinem ebenfalls in Princeton lehrenden Kollegen Yuliy Sannikov verfasst hat. Diese Arbeiten sind auf Brunnermeiers Homepage einsehbar. Es handelt sich um:
Redistributive Monetary Policy
Three Stability Concepts
The I-Theory of Money
Auf der Homepage befinden sind weitere Arbeiten Brunnermeiers aufgeführt, die sich mit Finanzmärkten, ihren Friktionen und der Bedeutung dieser Friktionen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie das Verhältnis von Zentralbanken, Regierungen und Regulierern befassen. Die von der modernen Makroökonomik vernachlässigte Einbeziehung von Banken und Finanzmärkten in gesamtwirtschaftliche Analyse gehört seit langem zum Forschungsprogramm der Ökonomen in Princeton.

**) Ein brandneues E-Book zum Thema “Inflation Targeting” wurde hier annonciert – es enthält auch einen Beitrag von Brunnermeier/Sannikov. Etwas ältere Überblicke zum Inflation Targeting gibt es zum Beispiel hier und hier und hier.

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Der vorliegende Beitrag ist in der Ausgabe vom 18. April 2013 im Finanzmarkt der F.A.Z. erschienen.