Volkswirte bloggen um die Wette. Das belebt die Debatte und hebt die eigene Prominenz.
Von Werner Mussler
Blogger sind krankhaft mitteilungsbedürftige Schwätzer. Blogger sind selbstverliebte Rechthaber. Blogger sind autistische Sonderlinge. Noch ein Vorurteil gefällig? Blogger sind jung, männlich und meinungsbildend. Letzteres hat Meryl Streep kürzlich seufzend dem „Spiegel” anvertraut: Das öffentliche Urteil über einen Film hänge mittlerweile in erster Linie von Bloggern ab – „alles junge Männer”.
Gil t das auch für die Autoren von Wirtschaftsblogs? Und welchen Einfluss haben sie? Eine etwas selbstreferentielle Frage, deshalb wollen wir sie nur auf Blogs akademischer Ökonomen. Viele professionelle Volkswirte sind in den vergangenen Jahren zu mehr oder weniger professionellen Bloggern geworden. Ein deutsches Pendant zu den amerikanischen Pionieren Paul Krugman, Gregory Mankiw, Gary Becker und Richard Posner, die alle ihren eigenen prominenten Blog haben (und alle nicht mehr wirklich jung sind, Mankiw ist mit 54 Jahren der jüngste), gibt es zwar nicht. Aber es gibt mindestens zwei bedeutende Blogs professioneller deutschsprachiger Ökonomen: Oekonomenstimme.org, gegründet von 34 durchweg renommierten Wirtschaftsprofessoren und als Plattform für alle akademischen Ökonomen im deutschen Sprachraum gedacht, und wirtschaftlichefreiheit.de, gegründet vom Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Norbert Berthold, mit einem stärkeren Schwerpunkt auf wirtschafts- und ordnungspolitischen Themen. Hinzu kommen viele journalistische Blogs, die auf wissenschaftliche Gastautoren zurückgreifen oder sich mit deren Fragen beschäftigen. Dazu zählt auch dieses Blog.
Die Blogs verändern (mal mehr, mal weniger) die Kommunikation auch von Wirtschaftswissenschaftlern. Zum einen haben sie die Funktion eines virtuellen Ökonomenstammtischs. Ein Beispiel sind die jüngsten Beiträge auf oekonomenstimme.org. Dort sind im Januar und Februar insgesamt 26 Artikel erschienen, es ging um die Euro-Krise, um unabhängige Zentralbanken, um Bankenregulierung und andere wichtige Themen. Die mit Abstand am meisten gelesenen und diskutierten Artikel stammten indes von zwei Streithähnen, die mit schöner Grundsätzlichkeit noch einmal den 2009 ausgetragenen, angeblich aber längst beigelegten Methodenstreit der deutschen Volkswirte aufleben ließen. Rüdiger Bachmann, einer der Protagonisten jenes Streits, behauptete, die moderne Volkswirtschaftslehre sei ein „dynamisches, offenes und flexibles Wissenssystem”, in dem es „weitestgehend keine methodischen Grabenkämpfe mehr” gebe. Diese Aussage wurde auf dem Blog postwendend widerlegt – durch einen wütenden Antwortbeitrag von Matthias Binswanger, der die VWL in einem „hochgradig dekadenten Zustand” verortete. Beide Artikel lösten – anders als die „gewöhnlichen” Beiträge – heftige Diskussionen aus.
Es kann hier offen bleiben, wer recht hat. Die Tatsache, dass die Leser des Blogs die Beiträge Bachmanns und Binswangers deutlich interessanter fanden als Euro-Krise oder Bankenregulierung, muss noch nicht einmal belegen, dass sich akademische Ökonomen am liebsten mit sich selbst beschäftigen. Sie sind halt auch nur Menschen, die ab und zu Freude an etwas Krawall haben. Mag sein, dass jemand wie Krugman diese Lust am Krawall in seinem Blog produktiver verarbeitet als die deutschen Methodenstreiter. Generell wird jedenfalls niemand die (nicht unwichtige) Stammtischfunktion der Blogs in Abrede stellen.
Die Weltbank-Ökonomen David McKenzie und Berk Özler gehen in einer Studie einer ernsteren, eher wissenschaftssoziologischen Frage nach: Welche Rolle spielen Blogs in der Verbreitung ökonomischer Erkenntnisse? Ergänzen oder ersetzen sie möglicherweise die gängigen akademischen Kommunikationskanäle und deren Qualitätsstandards, die weitgehend durch die Refereeprozesse der Zeitschriften gesetzt werden? Das Ergebnis ihrer auf den englischen Sprachraum bezogenen empirischen Analyse lautet: Blogs haben großen Einfluss auf das Bekanntwerden wissenschaftlicher Studien. Viele Diskussionspapiere werden stärker gelesen, wenn in einem prominenten (Ökonomen-) Blog auf sie hingewiesen wird. Und wer als Ökonom regelmäßig bloggt, wird – gemessen an seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen – überproportional oft als bedeutender Ökonom wahrgenommen.
Was bedeutet dieses nicht sehr überraschende Ergebnis für die Karriereplanung des strategisch denkenden Nachwuchswissenschaftlers? Mehr bloggen, weniger forschen? Eher nicht. Denn Blogbeiträge können im existierenden akademischen Anreizsystem die in den gängigen wissenschaftlichen Medien veröffentlichten Forschungsergebnisse nicht ersetzen. Der Referee-Prozess eines angesehenen Journals ersetzt nicht die Erwähnung in einem Blog. Man möchte hinzufügen: Das ist auch gut so. Auch wenn Blogs wissenschaftliche Erkenntnisse schneller verbreiten mögen als früher, die eigentliche Forschung ersetzen sie nicht.
Wohl auch deshalb werden die prominenteren Blogs von Ökonomen betrieben, die ihre kreativste Forschungsphase schon hinter sich haben und in dieser Hinsicht nichts mehr beweisen müssen. Als Wissensvermittler und als Meinungsmacher taugen sie aber umso besser. Das haben sie übrigens mit Journalisten gemeinsam, von denen viele auch gerne bloggen. Und auf die treffen die Blogger-Vorurteile zu. Denn Sie wissen ja: Journalisten sind oft genug mitteilungsbedürftige Schwätzer und selbstverliebte Rechthaber. Meistens sind sie tatsächlich männlich. Gelegentlich sogar jung.
D.J. McKenzie, B. Özler: The Impact of Economics Blogs, CEPR Discussion Paper No. 8558, September 2011, https://voxeu.org/sites/default/files/file/DP8558.pdf.
Der Beitrag ist der Sonntagsökonom der F.A.S. vom 26. Februar 2012. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.