Präsident Obama sorgt sich um seine Wiederwahl – auch wegen der Eurokrise. Die Austeritätspolitik hat viele Gegner. Von Kanada lernen?
OECD-Generalsekretär Angel Gurria warnte auf der INET-Konferenz in Berlin davor, die Schwierigkeiten von Haushaltskonsoslidierung (Austerity) und Schuldenverringerung in der aktuellen Krisenbekämpfung zu unterschätzen. Er erklärt, was Studenten in einer Standardvorlesung in Makroökonomie lernen: Deleveraging/Austerity führt zu höherer Ersparnisbildung, diese zu geringerem Konsum, dieser zu einer geringeren Nachfrage, diese zu geringerer Wirtschaftsaktivität, diese wiederum zu niedrigeren Steuereinnahmen, was schließlich die Rückführung von Schulden oder die Verringerung von Defiziten erschwert. “Austerity ist gar nicht so leicht hinzubekommen”, sagt er schmunzelnd. In der aktuellen Krise seie die hohen öffentlichen Schulden natürlich ein wesentliches Problem, aber auch das Herdenverhalten an den Finanzmärkten und mangelhafte Kommunikation (das dürfte vor allem auf die Außendarstellung der Euroraums gemünzt sein). Die Konferenz wird organisiert vom Institute of New Economic Thinking, das der Hedge-Fonds-Manager George Soros mitgegründet hat und wesentlich finanziert (Foto beim Konferenzbesuch: dapd).
Gurria gibt zu, dass zumal jene Staaten, die gerade hohe Staatsdefizite aufweisen, nur schwer weitere Stimuli stemmen könnten. Die expansiven Maßnahmen (QE) der Zentralbanken linderten die Anpassungsprozesse. Die Regierungen sollten sich auf strukturelle Reformen konzentrieren, die mittel- und langfristig Wachstum fördern. “Go social”, sagte er ebenfalls und begründete das mit 50 Millionen mehr Arbeitslosen, die es infolge der Finanzkrise heute in den OECD-Ländern gebe – viele davon langzeitarbeitslos.
Spannend wird demnach wohl das anstehende Treffen des Internationalen Währungsfonds werden. Nachdem die Europäer ihre Rettungsmechanismen gesteigert und den Fiskalpakt verabschiedet haben, darf man gespannt sein, wie vor allem die Vereinigten Staaten reagieren. Gurria wollte sich nicht festlegen und betonte, dass die Europäer grundsätzlich ausreichende Resourcen haben, um ihre Probleme zu lösen. David Smick, Politikberater in Washinton, sagte mit Verweis auf das Umfeld des Weißen Hauses gleichwohl, dass eine Eskalation der Euro-Krise mit als größtes Hindernis für eine gelingende Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten Obama angesehen werde. Wir sind gespannt. Vielleicht kommt ja noch mehr Hilfe aus Amerika.
Die Austeritätspolitik hat noch mehr Gegner auf dem INET-Treffen. „Wir müssen in großem Umfang Schulden abschreiben (also erlassen).” Michael Hudson, Wirtschaftsprofessor an der University of Missouri, sieht keine gangbare Alternative dazu. Austeritymaßnahmen und infolgedessen kontinuierliche Schuldenrückzahlung würden schlicht nicht funktionieren. „Austerity macht die Verschuldungsprobleme nur schlimmer, das wird nicht funktionieren” (siehe die Argumentationskette Gurrias). Die Zumutungen der den europäischen Peripherieländern verschriebenen Austeritätsmaßnahmen für die Menschen seien nicht hinnehmbar. Die Folge werde eine lang andauernde Depression sein und eine wachsende Polarisierung innerhalb der Bevölkerungen zwischen Gläubigern und Schuldnern.
Stattdessen sollten seiner Ansicht nach Schulden erlassen werden, wenn sie nicht vernünftig zurückgezahlt werden können (mithin mit den Möglichkeiten, die sich aus den normalen Einkommen durch geleistete Arbeit ergeben) – analog zu einem entsprechenden Gesetz, wie es das in New York gegeben habe, als es noch eine britische Kolonie war. Hudson argumentiert dabei ähnlich wie der Anthropologe David Graeber, der in seinem Buch “Debt”, auf das sich mehrfach schon Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, lobend bezogen hat, schlicht feststellt: “Schulden, die nicht zurückgezahlt werden können, werden nicht zurückgezahlt.”
Wenn die Schuldenberge so groß sind wie aktuell, ist der Preis natürlich hoch und eine Lösung nicht leicht. “Irgendjemand muss aber verlieren”, sagt Hudson. Er macht daraus für die Vereinigten Staate wie für Europa auch eine Gerechtigkeitsfrage: „Das politische Setting, dass sich hinter den Forderungen nach Austerität um jeden Preis verbirgt, ist, dass dann (mit Blick auf die USA) 99 Prozent der Individuen 1 Prozent ausbezahlen würden, wie das meine Freunde von Occupy Wall Street auf den Punkt bringen.” Lettland, dass immer wieder als Beispiel genannt wird, an dem sich die südeuropäischen Länder orientieren könnten in punkto erfolgreicher Austerität, tauge überhaupt nicht. Hudson führt das in einem Artikel aus, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an diesem Wochenende erscheinen wird.
Vorbild Kanada?
Aber hatte nicht Kanada schon einmal sehr erfolgreich einen Staatsdefizit innerhalb kurzer Zeit in einen Überschuss transformiert – ohne Schuldenerlass? Ja. Der frühere kanadische Ministerpräsident Paul Martin erklärte, wie er das damals in den neunziger Jahren geschafft hatte. Sein Vortrag war sehr lehrreich. Und die erste Antwort lautete: Mit Disziplin, Willen und guter Kommunikation. Entscheidend sei, schnell vorzugehen, und nur Ziele und Zahlen anzusetzen, in die ein ausreichender Puffer eingebaut ist, sollten unerfreuliche Ereignisse eintreten. “Ich habe mit jedem Minister Einsparziele ausgemacht, mit den härtesten zuerst, denn die würden nachher auch genau darauf achten, dass die Kollegen ihre Vorgaben einhalten”, sagte er mit einem Augenzwinkern.
Ganz wichitg gewesen sei aber, die Bevölkerung mitzunehmen und ihre klarzumachen, dass der Abbau der Defizite in ihrem Interesse ist. Sonst funktioniere das nicht – “die Menschen kommen ja nicht typischerweise von der Arbeit nach Hause, und sagen: Oh mein Gott, wie hoch ist denn schon wieder unser Defizit gemessen am Bruttoinlandsprodukt? Sie reden über ihre ganz persönichen Anliegen.” Kanada habe innerhalb weniger Jahre die Schuldenwende geschafft durch eine nationale Kraftantrengung. Können Europa oder die Vereinigten Staaten das auch? Defizit verringern ja, aber nicht so schnell, sagt Martin – auch er findet, dass die Austeritätsprogramme für die Peripherieländer schlicht zu strickt sind. Und dann nannte er noch einen wichtigen Unterschied gegenüber den neunziger Jahren – damals konnte Kanada das tun in einem Umfelnd, in dem die übrigen G7-Länder-Wirtschaften wuchsen und nicht wie heute eher mit der Rezession kämpfen. Martin ist übrigens auch sicher, dass in den Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren höhere Steuersätze anstehen. Die Frage sei nicht ob, sondern angesichts der Schuldensituation nur, welche Generation sie bezahlt. Und zwar unabhängig davon, wer der nächste Präsident werden oder bleiben wird.
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