Die Group of Thirty eignet sich ganz hervorragend für Verschwörungstheorien: Ein dreißig Köpfe zählender, exklusiver Club hochkarätiger Finanzfachleute aus allen Teilen der Welt. Zu diesem erlauchten Kreis gehören beispielsweise die aktuellen Notenbankpräsidenten Mario Draghi (EZB) und Mark Carney (BoE), der ehemalige Bundesbankchef Axel Weber (heute UBS), die Ökonomen Paul Krugman und Kenneth Rogoff. Den Vorsitz der Gruppe hat gerade der ehemalige amerikanische Notenbankchef Paul Volcker inne (der von der Volcker-Rule).
Zur Gruppe gehört derzeit auch der gerade als Präsident der israelischen Notenbank ausgeschiedene Stanley Fischer. Fischer ist sozusagen ein alter Hase der internationalen Hochfinanz. Er begann als Professor am MIT und landete nach leitenden Positionen in der Weltbank, im Internationalen Währungsfonds und der Citigroup schließlich auf dem Gehaltszettel in Jerusalem.
Fischer hat sich der sehr wichtigen Frage angenommen, woran man eigentlich erkennt, dass die Schuldenkrise vorbei ist. Noch ist das nicht soweit, darüber sind sich die Experten ja einig – allein der Höhepunkt dürfte mit einiger Gewissheit überschritten sein. Wann aber ist die Krise komplett vorüber?
Fischer liefert dazu folgende Kriterien:
1. Am “simpelsten”: Die Krise ist dann vorüber, “wenn die Schuldenstaaten wieder normalen Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten haben”. Natürlich, schreibt er weiter, sei es nicht leicht, “normalen” Zugang letztgültig zu definieren: Erstens, weil es ohnehin gewöhnlich so ist, dass nicht alle Länder dieselben Zinsen zahlen. Und zweitens, weil mitunter Länder nur deswegen Schwierigkeiten haben, an neuen Kredit zu kommen, weil die (potentiellen) Kreditgeber verstehen, dass steigende Zinsen selbst dazu führen können, dass die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls zunimmt.
2. Pragmatischer als 1.: “Es ist klar, dass die Schuldenkrise einer Lösung zustrebt, wenn unter dem Strich weniger Ressourcen (Finanzmittel) aus den Schuldenländer abfließen.” Dahinter stecke der Gedanke, dass sich der Mittelabfluss vor allem deswegen (netto) verringert, weil Investoren anfangen, wieder zunehmend attraktive Anlagemöglichkeiten zu entdecken und auch tatsächlich anlegen in den Krisenländern.
3. Politik: Die Schuldenkrise ist dann gelöst, wenn die Politiker in den Schuldenländern wieder mehr unter langfristigen Erwägungen entscheiden als mit Blick auf unmittelbar anstehende Schulden-Verhandlungen mit ihren Gläubigern darüber, wer welche Lasten schultert.
4. Die privaten Unternehmen machen wieder langfristige Investitionspläne unter deutlich weniger Unsicherheit und vor allem mit der Gewissheit, dass sie Zugang zu ausländischen Währungen und zu Finanzierung haben können, wenn sie das wollen.
5. Banken geben den Schuldenländern nicht mehr vor allem deswegen neuen Kredit, um damit bereits bestehende Engagements abzusichern. Tatsächlich werden sie in der Lage sein, genau so viel Geld an die jeweiligen Länder zu verleihen, wie sie tatsächlich wollen.
6. Internationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank werden wieder zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückkehren können, nämlich ein stabiles Weltfinanzsystem zu fördern und Entwicklungshilfe zu leisten – sie müssen nicht mehr ständig drohende Pleiten verhindern.
Der Aufsatz “Resolving the International Debt Crisis”, in dem Fischer nicht nur aufschreibt, woran man das Ende der Krise erkennt, sondern auch, wie man seiner Meinung nach dorthin kommt, ist hier nachlesbar.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hat unterdessen ein ebenfalls äußerst lesenswertes Paper geschrieben mit dem Titel “Financing vs. Forgiving a Debt Overhang”. Darin thematisiert er die Frage, wann es für Gläubiger überschuldeter oder durch Überschuldung gefährdeter Länder besser sein könnte, Schulden zu erlassen, und wann es demgegenüber vorteilhaft sein kann, sie trotz erwartbarer Verluste (zunächst) weiter zu finanzieren. Ein Grundproblem dabei bringt Krugman gleich zu Beginn auf den Punkt: Die Weiterfinanzierung enthält – wissenschaftlich gesagt – quasi einen Optionswert: Wenn der Schuldenstaat sich relativ gut erholt, kommen seine Gläubiger um unnötige Abschreibungen herum. Aber, fährt Krugman fort, “eine große Schuldenlast verzerrt die Anreize (des Schuldners), weil die Erträge einer guten Entwicklung überwiegend seinen Gläubigern zugute kommen und nicht ihm selbst.”
Stanley Fischers Aufsatz erschien übrigens im Jahr 1987, Krugmans Paper ein Jahr später. Beide behandelten die vor allem auf Lateinamerika konzentrierte Schuldenkrise der damaligen Zeit. Diese Krise und ihre Lösung liest sich dabei wie eine Blaupause der aktuellen Ereignisse in den westlichen Industrieländern und zumal in der Europäischen Währungsunion. Vielleicht, möchte man da beinahe sagen, ist ja gar nicht schlecht, dass einige Leute, die heute Einfluss haben, auch damals schon dabei waren – und deswegen wissen, dass man das Rad nicht unbedingt immer neu erfinden muss.