Fazit – das Wirtschaftsblog

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Bedauerlicherweise bankrott

| 38 Lesermeinungen

Der Parthenon-Tempel in Athen.Der Parthenon-Tempel in Athen.

Mit Staatsbankrotten haben die Griechen in ihrer Geschichte einige Erfahrung gemacht – und auch mit internationalen Finanzaufsehern. Seit der Unabhängigkeit 1830 nach mehr als vierhundertjähriger Besatzung durch die Osmanen sind die Staatsfinanzen chronisch zerrüttet. Ein halbes Dutzend Mal musste Griechenland seine Zahlungsunfähigkeit erklären.

Mit den Worten “Bedauerlicherweise sind wir bankrott” leistete Ministerpräsident Charilaos Trikoupis 1893 den Offenbarungseid. Vier Jahre später – eine Niederlage gegen die Türken hatte die Staatskasse noch mehr belastet – sprangen die europäischen Großmächte ein. Sie garantierten eine Anleihe, verlangten aber zugleich Reformen und die Kontrolle über die Rückzahlung. Eine internationale Kommission wachte darüber. Im Grund war es ein Ausschuss wie heute die Troika, die von den Griechen inzwischen wie eine Besatzungsmacht empfunden wird.

Was heute kaum noch einer weiß: Auch im neunzehnten Jahrhundert bestand schon einmal eine Währungsunion – die Lateinische Münzunion -, die durch die Aufnahme Griechenlands, aber auch innere Konstruktionsfehler in Schwierigkeiten geriet. Warum man die Griechen nur in diese Währungsunion hereingelassen hatte, fragten damals viele. Der amerikanische Ökonom Henry Parker Willis urteilte 1901: “Es ist schwierig, zu verstehen, warum der Beitritt Griechenlands zur Münzunion gewünscht oder erlaubt wurde.” Das Land sei in einem bemitleidenswerten Zustand, wirtschaftlich marode, von politischem Streit gelähmt und finanziell verrottet. Immer offensichtlicher verstieß Griechenland gegen die Fairness-Regeln der Lateinischen Münzunion. Es druckte Papier-Drachmen und tauschte sie gegen die Gold- und Silbermünzen anderer Mitglieder der Währungsunion. Diese waren über die Athener Tricks zur Kaschierung des Bankrotts zunehmend verärgert. Im Jahr 1908 schlossen sie Griechenland schließlich vorübergehend aus der Münzunion aus.

“In keinem Fall ist Griechenland ein wünschenswertes Mitglied der Währungsunion”, hatte Henry Parker Willis geschrieben. Genau hundert Jahre später wurde Griechenland in die aktuelle Euro-Währungsunion aufgenommen – ein denkbar schlechtes Omen. Dabei hatten die beteiligten Politiker – damals wie heute – hochfliegende Erwartungen bezüglich der Währungsunionen. Im Fall der 1865 gegründeten Münzunion ging die Initiative von Frankreich aus. Ihr Vordenker, der Ökonom und Vizepräsident des Staatsrats Felix Esquirou de Parieu, betonte nicht nur die Vorteile, die der Wegfall von Wechselkurs- und Spekulationsrisiken sowie Umtauschkosten dem Handel bringen würde. Er sah die Münzunion als Vorstufe zu einer “europäischen Union” mit einer “europäischen Kommission” als politischer Leitung. Weniger deutlich sagte er, dass die Union indirekt Frankreichs machtpolitischen Interessen dienen sollte. Napoleon III. indes sprach offen darüber, die Münzunion als Instrument zur Erlangung der “Hegemonie über Kontinentaleuropa” einzusetzen. Das klappte aber nicht.

Die Ausgabe von Papiergeld war nicht geregelt

Gegründet wurde die Münzunion im Dezember 1865 mit einem Vertrag zwischen Frankreich, Belgien, der Schweiz und Italien. Diese Staaten vereinbarten feste Wechselkurse zwischen ihren Gold- und Silbermünzen. Wenig später wurde Griechenland Mitglied. Zunächst lobten viele Beobachter den Währungsverbund. Der “Economist” etwa schrieb, es gebe “keinen Grund, warum jedes Land eine separate Währung haben sollte”. Reisende zeigten sich erfreut, dass nun lästiges Geldwechseln unnötig war. Kaum einer erkannte schon zu Beginn die Konstruktionsfehler der Münzunion. Zum einen war problematisch, dass Länder mit sehr unterschiedlicher Finanz- und Wirtschaftskraft zusammengespannt wurden. Die Union umfasste recht weit industrialisierte Länder im Norden und rückständige agrarische Länder im Süden. Asymmetrische Schocks lösten Finanz- und Handelskrisen aus. Zudem kam der sogenannte bimetallische Standard mit einem Tauschverhältnis von Gold zu Silber von 1 zu 15,5 unter Druck, nachdem Goldfunde am Ende des neunzehnten Jahrhunderts die relativen Preise verschoben. Das relativ günstiger werdende Gold verdrängte das Silber.

Das gravierendste Problem war aber, dass die Ausgabe von Papiergeld in den Verträgen nicht geregelt war. Italien war nach seinen Einigungskriegen in finanziellen Schwierigkeiten und inflationierte seine Papiergeldausgabe, die es dann gegen Münzen tauschte. Das so geschaffene Geld strömte in andere Länder und bewirkte auch in Frankreich und Belgien eine Inflation. Die Banque de France suspendierte schließlich für mehrere Jahre die Einlösung der Banknoten in Metallmünzen. Die Griechen tricksten weiter ungeniert mit Papiergeld, bis sie 1908 ausgeschlossen wurden. Zwei Jahre später durften sie zwar wieder eintreten. Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die Münzunion praktisch erledigt. Zum Schluss gab es permanente Konflikte über die Regeln, ähnlich dem heutigen Streit über den Stabilitätspakt. Dass der Vertrag über die Münzunion trotzdem nicht früher gekündigt wurde, lag daran, dass die Länder – wie bei einer zerrütteten Ehe – die hohen Kosten der Auflösung scheuten. Nach langem Siechtum wurde die Lateinische Münzunion 1926 endgültig aufgelöst.

Was kann man aus der Geschichte lernen? Ökonomen und Historiker sind sich weitgehend einig: Zwischenstaatliche Währungsunionen sind instabil, weil souveräne Staaten sich den nötigen Regeln nicht beugen wollen oder können. “Alle Monetären Unionen, die keine vollständigen Politischen Unionen waren, blieben temporäre Arrangements. Sie lösten sich auf”, warnte die Ökonomin Theresia Theurl in einer Studie schon zu der Zeit, als der Maastricht-Vertrag noch nicht ratifiziert war. Der Historiker Dominik Geppert zieht aus dem Scheitern der Lateinischen Münzunion mehrere Lehren. Erstens sei es naiv zu glauben, dass eine gemeinsame Währung machtpolitische Rivalitäten beende. Zweitens sei es problematisch, wenn eine Währungsunion keine geordnete Ausstiegsoption enthalte. Und drittens seien die zwischenstaatlichen Arrangements fragil und nicht unbedingt glaubwürdig. Geschichte wiederholt sich zwar nicht unbedingt, aber die Parallelen der heutigen Euro-Krise zum Scheitern der Lateinischen Münzunion sind doch auffällig.

Literatur:

Theresia Theurl: Eine gemeinsame Währung für Europa. 12 Lehren aus der Geschichte. Österreichischer Studienverlag 1992

Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro. Europa Verlag 2013


38 Lesermeinungen

  1. frox sagt:

    hätte man "no bailout" stur eingehalten, wäre es NIE soweit gekommen !
    auch die amerik. FED rettet keinen Bundesstaat. Hätte natürlich im Fall Griechenland franz., deutsche etc. Banken getroffen bzw. liquidiert.
    Inzwischen haben sich die Banken, Dank EZB aus dem Staub gemacht u. blechen tuts der Steuerzahler.
    Sozialisierung von Bankenrisiken nennt man das.

  2. KeimB sagt:

    Natürlich kann eine gemeinsame Währung funktionieren
    Das beste Beispiel bilden die USA oder auch die Schweiz. In beiden Ländern sind die einzelnen Bundesstaaten bzw. Kantone ziemlich unabhängig. Sie haben eine vergleichsweise hohe Steuersouveränität. Entscheidend ist, dass die Kantone oder Bundesstaaten keine eigene Währungspolitik machen dürfen und die Währung nicht manipulieren können, wie dies bei der Münzunion der Fall war.
    Wie das damals ablief kann man z.B. hier nachlesen: https://www.sueddeutsche.de/geld/europa-vs-usa-fuer-einen-kuhhandel-braucht-es-kuehe-1.1063644

    • Direktus sagt:

      Aber Ihre Beispiele haben einwas: eine Zentralregierung!
      In der BRD funktionierte es auch mit der D-Mark. Weil der Staatenbund eine Zentralregierung (hier: Bundesregierung) hatte. Aktuell wird die EU als Bund souveräner Staaten bezeichnet. Die Währungsunion wird aber dazu führen, dass die Zentralregierung in Brüssel immer mehr Macht bekommt und die Souveränität der einzelnen Staaten immer mehr abnimmt. Kein Kanton ist souverän. Auch kein US-Bundesstaat. Ebenso auch kein Bundesland der BRD. Und bald auch kein EU-Mitgliedsstaat, der der Eurozone angehört.

    • Wolfgang.Rogosch sagt:

      Und die FED
      kauft im Rahmen ihres geldpolitischen Engagements nur Bundesobligationen auf. Überhaupt nicht vergleichbar mit der Euro-Zone, in der jede nationale Notenbank faktisch neben den ganzen Schutzschirmen ganz leicht auch über die Target-2-Salden ihr Geld “drucken” kann. Auch gilt ein zwischenstaatliches Beistandsverbot.

    • Pegasus0911 sagt:

      Ein bischen mehr ist schon nötig
      In der USA können alle Institutionen pleite gehen und die Taget Schulden werden in USA jährlich ausgegliechen mit mit Vermögen.
      In SWZ gibt es nur eine Notenbank und die ist unabhängig und auch gilt No Bail out.

      Das waren auch die EU Grundlagen bis man das retten begann.
      Haftung und Zuständigkeit müssen immer beieinander sein.
      Die Zinsen im Süden waren immer zu niedrig.

  3. ottobumke sagt:

    Und da sieht man wieder...
    …dass man, wenn man die Geschichte nicht kennt und nicht versteht (oder nicht verstehen will), verdammt ist, sie zu wiederholen.

    Meinen bescheidenen Glückwunsch zu diesem Artikel!

  4. Haltenhoff sagt:

    Man lernt aus der Geschichte,
    daß man aus der Geschichte nichts lernt.

  5. Petobel sagt:

    Abgesang?!
    Ein sehr fundierter und erfreulicher Beitrag, den man sich schon vor Jahren gewünscht hätte. Beim Lesen kann man sich gegen sein “retrospektives” Gefühl kaum wehren.

  6. ckdckd sagt:

    Unglaublich
    Ich habe diesen Artikel zunächst für eine Glosse gehalten …

  7. PaulePanter sagt:

    Vielen Dank, Herr Plickert
    Sehr schoen beschrieben, es gehen beim euro fast dieselben Dinge wieder schief. Ich habe noch ein weiteres Beispiel, das einen weiteren Aspekt, warum der euro bereits gescheitert ist, sehr schoen veranschaulicht: der argentinische Peso Peg an den US$, irgendwann in den 90zigern – bis 2001. De facto eine Waehrungsunion, in der ein wirtschaftlich schwaecheres Land mit geringeren jaehrlichen Produktivitaetszuwaechsen als der Partner versucht, Waehrungsparitaet zu halten. Was bekanntlich schief ging – weil die USA sich nicht veranlasst sahen, mit “Geschenken” den Argentienieren zu helfen, den Peg zu halten. Urspruenglich aufgesetzt um die eigene arg. Regierung vom uebermaessigen Gelddrucken abzuhalten, und um auslaendische Investoren anzulocken, ging das ganze bald nach hinten los, weil Argentienen sich mit dem Peg eine Waehrung eingehandelt hatte, die aufgrund des eigenen, relativ schwaecheren Wirtschaftswachstums im INLAND deflationaere Entwicklungen erzwang – um den Peg zu halten, mussten die PesoPreise relativ sinken, um das Produktivitaetsdefizit auszugleichen – das bedeutete a) die Schuldenlast stieg automatisch ohne mehr Schulden i.R. zum BSP und b) die Loehne haetten auch in Peso sinken muessen, um weiter kompetetiv zu bleiben.

    Erinnert das irgendjemanden an die Situation in Italien, Spanien, Frankreich?

  8. tricky1 sagt:

    Als gebürtiger Schweizer bin ich echt verblüfft, nichts über die Lateinische Münzunion ...
    gewusst zu haben. Man kann hier eine Maturität mit Schwerpunkt Wirtschaft oder Physik machen, ohne diesem Thema zu begegnen.

    Nun ist also Griechenland bedauerlicherweise wieder einmal bankrott und der Grexit dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.

    Ich denke, dass dies von beiden Seiten seit langem so geplant war, obschon sie dies natürlich offiziell energisch bestreiten werden.

    Es ist aber bestimmt vorteilhaft, die in den Verträgen fehlenden Bestimmungen nun anhand dieser kleinen Volkswirtschaft in die Praxis umzusetzen.

    • s8191273 sagt:

      Typisch Fensterplatz....
      Wenn man in der (CH-)Schule aufgepasst hätte, wüsste man was die Lateinische Münzunion war und dass der Schweizer Franken im Gegensatz zu all den Ramschwährungen rundherum alle Turbulenzen überlebt hat und immer noch existiert. Die Münzen aus der Union sind in der Schweiz zum Teil immer noch gültig. Der Ruf der Schweizerischen Wirtschaftsmatur ist fast so schlecht wie der der Kunstmatur. Wer das Langzeitgymnasium oder die mathematische Richtung (eine Physikmatur gibts nicht!) nicht schafft, muss halt mit Kunst und Wirtschaft vorliebnehmen…..
      Dann noch: 400 Jahre türkische Kolonie? Dann ist doch automatisch die Kolonialmacht am wirtschaftlichen Schlamassel der Griechen schuld.

  9. vcaspari sagt:

    Nicht nur die Lateinische Münzunion ...
    auch die Skandinavische Münzunion (1872 – 1924) zerfiel, obwohl die drei teilnehmenden Länder (DK,N,S) in vielerlei Hinsicht homogener waren und sind als die gegenwärtige Eurozone. Es bedarf also nicht “Griechenland” um den negativen Ausgang des Experiments zu vermuten. Auch die Tschechische und die Slowakische Republik vollzogen eine Trennung der Währungen, die beiden Volkswirtschaften alles andere als Schaden zufügte.

    • AlexPaladin sagt:

      Aber
      der Unterschied liegt darin, dass Laender wie Daenemark oder sogar die Slowakische Republik inzwischen, Probleme in der Groessenordnung Griechenlands nicht haben. Griechenland ist so gesehen, durchaus ein Garant fuer ein Nichtgelingen einer stabilen Waehrungsunion. Ganz zu schweigen von inneren politischen und wirtschaftlichen Stabilitaet, welche, praktisch, seit der Gruendung eines modernen griechischen Staates, nie wirklich gegeben waren.

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