Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wir brauchen Finanzmärkte – schon allein für den Weltfrieden

Dass die "Occupy"-Demonstranten sauer sind auf Banken und Kapitalmärkte, ist verständlich. Das ist aber kein Grund, die Finanzmärkte zu verdammen. Von Alexander Armbruster.

Von Alexander Armbruster

Gerade die Wall Street. Wenn die Lage nicht so ernst wäre, mutete es beinahe komisch an, dass gerade die internationalen Finanzmärkte und – etwas konkreter – diejenigen, die sie bedeutend verkörpern, im Fokus der aktuellen Protestbewegung „Occupy Wall Street” stehen. Denn grundsätzlich eignet sich kaum etwas mehr, um Macht zu neutralisieren, große Einkommensgefälle zu vermeiden, Freiheit zu vergrößern und Verwirklichungschancen zu schaffen als gut funktionierende Finanzmärkte. Sie sind ihrem Wesen nach, unparteiisch und beurteilen fair – achten beispielsweise nicht auf Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung, Alter, Gesundheit, Bildung, Religion und was sich sonst noch so alles zum Diskriminieren eignet. Was zählt, ist letztlich nur die Idee, der Geschäftsplan und die Fähigkeit, diesen erfolgreich umzusetzen, also aus der Sicht so vieler Menschen einen so hohen Mehrwert zu schaffen, dass sich das Ganze lohnt. Wem das zugetraut wird, der kann befristet Geld leihen und dafür Zinsen zahlen (eine Anleihe emittieren) oder, wenn er will, Teilhaber gewinnen (Aktien verkaufen und an die Börse gehen). Das Ganze ist obendrein ziemlich demokratisch: Niemand wird gezwungen, neue Aktien oder Anleihen zu kaufen – wenn sich also genügend Käufer für eine Aktie finden, gab es offenbar eine genügend große Mehrheit dafür.

We Händler an Wall Street. Foto: APnn die Infrastruktur, auf der sich all das abspielt, gut funktioniert, dann sind gerade Finanzmärkte ein wirkungsvoller Rammbock gegen Besitzstandswahrer, Änderungsverweigerer und Machtzementierer. Sie sind anders gesagt  ein Werkzeug, um eine  „Tyrannei der Sicherheiten” zu verhindern, wie die beiden amerikanischen Ökonomen Raghuram Rajan und Luigi Zingales in ihrem wegweisenden und sehr empfehlenswerten Buch „Saving Capitalism from the Capitalists” bereits im Jahr 2003 geschrieben haben. Zugang zu Finanzierung bekommt  dann theoretisch eben nicht nur derjenige, der schon viel Vermögen, aber wenig Ideen hat, sondern auch der umgekehrte Fall. Das ist eine tolle Sache.

Finanzmärkte sind auch nach dem Börsengang und der Anleiheemission wichtig – als Kontrolleur darüber, wie sich die Unternehmung so im Zeitablauf entwickelt, ob das Geschäft so läuft wie erhofft oder besser (Kurse steigen) oder schlechter (Kurse fallen). Was übrigens nicht nur für das entsprechende Unternehmen gilt, sondern auch für diejenigen, die sich überlegen, in denselben Markt einzutreten. Die Kurse, die sich aus den Einschätzungen der gefühlt unzähligen Anleger zusammensetzen, sind dabei häufig regelmäßig besser als jede Information, die ein zentralisierter Nachdenker zu generieren imstande wäre. Von der Machtfrage einmal ganz abgesehen, die sich stellt, wenn der zentralisierte Nachdenker es nicht beim Denken belässt, sondern auch noch plant und umsetzt – Ideen, den Finanzkapitalismus gegen (realen) Sozialismus eintauschen zu wollen, sind alleine aus diesem Grunde schon Quatsch.

Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Mittlerweile hat sich – vom Jahr 2003 aus betrachtet eine bis zwei Finanzkrisen weiter – natürlich überall herumgesprochen, dass auch die Anlegerschwarmintelligenz gehörig daneben liegen kann. Finanzmärkte funktionieren nicht fehlerfrei. Die Verpackungsorgie auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt und die Euro-Krise sind zwei Paradebeispiele dafür. Das Marktfehlurteil in der Euro-Krise ist dabei übrigens nicht gerade eben erst passiert in Form der höheren Zinsen, die Anleger nun verlangen zum Beispiel für italienische, spanische oder griechische Anleihen. Erklärungsbedürftig ist vielmehr, dass alle diese Länder ähnliche Finanzierungsbedingungen hatten oder  bekamen infolge der Währungsunion. Ein nicht mehr vorhandenes Abwertungsrisiko und irgendwelche Hinterlegungsvorschriften gelten nicht als Ausrede – wer absehbar geliehenes Geld nicht zurückgeben kann, darf von einem Kreditgeber keinen Kredit bekommen – zumal wenn es Banken sind, die ja kein eigenes Geld verleihen.

Ebenfalls, soviel haben wir aus der Krise gelernt, ist nicht jedes Finanzprodukt hilfreich oder sinnvoll. Zum Beispiel kann man durchaus darüber diskutieren, ob die furch die Krise berühmt gewordenen CDS nicht eigentlich eine blödsinnige Erfindung sind. Auch hier übrigens nicht, weil dadurch Griechenland ruiniert worden wäre oder eine Pleite des Landes unkontrollierbare Folgen hätte (die auf CDS basierenden Summen, um die es geht, belaufen sich nach Schätzungen auf 3,7 Milliarden Dollar). Die Frage ist, ob sich im Falle der CDS aufgrund der hohen Vernetzung der Finanzbranche nicht recht eigentlich eine Branche bei sich selbst versichert gegen ein Ereignis, was  sie selbst betrifft. Einerseits.

Andererseits sind aber alle diese Beispiele kein Grund, ungebremst undifferenziert auf „die” Finanzmärkte zu schimpfen und ihnen nun die Verantwortung für die aktuelle Misere in die Schuhe zu schieben. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir uns alle an die Nase fassen. Wir haben in Europa wie in Amerika durch unsere Repräsentanten schlicht zu viele Schulden machen lassen über Jahrzehnte. Unsere Politiker und wir haben dabei eine Situation geschaffen, in der nicht vorübergehend mehr Geld ausgegeben wird als wir haben, sondern permanent. Und in der oft sogar Zinszahlungen und Tilgungen geleistet werden durch neues Geldleihen. Für die hohen Staatsschulden mag es Begründungen geben (Umverteilung, Subventionierungen usw.), die hier nicht Thema sein sollen.

Dass ein solches Finanzsystem aber sehr störanfällig ist, wusste der verstorbene amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky schon in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Ehrlicherweise dürften wir nicht überrascht davon sein, dass die Soziale Frage zum Thema an den Märkten wird, nachdem sie an die Börse gebracht worden ist. Schließlich ist es meist ein Börsengang der Sozialen Frage, wenn Staaten am Kapitalmarkt Geld leihen.

Wir sind aber überrascht und wir tun uns sehr schwer damit – nicht nur an den Märkten. Deswegen ist auch öffentlich demonstrierter Unmut verständlich und sogar hilfreich. Die Wut auf Banken und Börsen sollte aber nicht zum Ziel haben, das wir möglichst beides möglichst flächendeckend einstampfen und abschaffen. Im Gegenteil. Wir brauchen funktionierende, kontrollierende Finanzmärkte gerade in einer Zeit, in der Regierungen eine größere Rolle spielen (müssen) und in der absehbar ist, dass der öffentliche Sektor in vielen westlichen Ländern schrumpfen. Zumal die vielen angeschlagenen Banken zunächst weniger Geld verleihen werden, weil sie sich selbst in Ordnung bringen müssen.

Und eines sollte zum Schluss auch nicht vergessen werden: Die internationale Vernetzung, die wir auf den Weltfinanzmärkten mittlerweile erreicht haben, mag kompliziert und unübersichtlich und vielleicht auch anfällig sein. Sie führt aber auch dazu, dass sich (finanzvernetzte) Länder zweimal überlegen, ob und wie sie miteinander streiten, die vielen Gipfel sprechen Bände. Die hohe Vernetzung erzwingt Zusammenarbeit und die Suche nach gemeinsamen Lösungen und sichert ein Stück weit den Weltfrieden.

 

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