Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Forscher im Profil (2): Justin Wolfers, der Glücksforscher

Geld macht nicht glücklich? So ganz stimmt das nicht. Justin Wolfers erklärt im Video-Interview, warum seine Daten etwas anderes sagen. Von Patrick Bernau

Von Patrick Bernau

Geld macht nicht glücklich? So ganz stimmt das nicht. Justin Wolfers und seine Frau Betsey Stevenson haben vor einigen Jahren mit sorgfältig erarbeiteten Daten genau diesen alten Satz angegriffen. Inzwischen haben sie viel Unterstützung bekommen. Am Rand eines Interviews hat mir zum Beispiel Nobelpreisträger Daniel Kahneman erzählt, dass er selbst zu ähnlichen Schlüssen gekommen sei – nur hätten die beiden ihre Studie zuerst veröffentlicht.

Die Diskussion um ihre Ergebnisse ist inzwischen in vollem Gange. Sie haben Widerspruch von den Vertretern der alten These bekommen, vor allem von Richard Easterlin – und werden demnächst eine neue Studie veröffentlichen, die diesen Widerspruch ausräumen soll.

In diesem Video erklärt Justin Wolfers seine Ergebnisse. Das Interview ist auf Englisch, ich habe es allerdings unten übersetzt.

 

Wir sind hier mit Justin Wolfers von der Pennsylvania-Universität, und wenn ich mich nicht irre, ist er zur Zeit Gast in Princeton.

Das ist völlig richtig. Ich habe dort eine tolle Zeit.

Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis?

Besonders stolz bin ich darauf, dass ich in die Glücksforschung eingestiegen bin. In dieser Disziplin gab es zwei große Revolutionen:

Die erste war, dass die Ökonomen die Glücksforschung überhaupt interessant fanden und in die Forschung einstiegen. Gleich am Anfang gab es viele sehr überraschende Ergebnisse. Das wichtigste ist das „Easterlin-Paradox”. Es entsteht, weil drei Thesen einander widersprechen: Zwar sind in einer Gesellschaft reiche Leute glücklicher als arme zur gleichen Zeit. Trotzdem sah so aus, als ob reiche Länder nicht glücklicher seien als arme – Easterlin schien beim Vergleich unterschiedlicher Gesellschaften keine Beweise dafür zu finden. Und es sah auch nicht so aus, als ob die Menschen im Lauf der Zeit mit zunehmendem Reichtum glücklicher werden. Das war die erste Revolution.

Die zweite Revolution war, dass empirische Ökonomen wie Betsey Stevenson und ich in die Diskussion einstiegen. Wir fingen von vorne an und versuchten, die Fakten zu prüfen, und zwar mit den Werkzeugen der empirischen Ökonomie. Vieles von unserer Arbeit ist nur sehr sorgfältige Datenanalyse. Wir versuchen herauszufinden, was von den Annahmen stimmt, wenn es um den Zusammenhang von Wohlergehen, Glück, Lebenszufriedenheit und wirtschaftlicher Entwicklung geht. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Fakten nicht ganz so sind, wie wir erst dachten. Es stimmt, dass reiche Leute glücklicher sind als arme. Aber reiche Länder sind auch glücklicher als arme – fast in der gleichen Größenordnung. Und wenn die Länder reicher werden, werden sie glücklicher. Da ist überhaupt kein Paradox. Es stimmt, was Ökonomen immer vermutet haben: Wer mehr Chancen im Leben hat – und das messen wir am Einkommen -, der ist glücklicher.

Nun hat das Easterlin-Paradox zu spannenden Theorien geführt: Es hieß, vielleicht gehe es nur darum, ob wir reicher sind als unsere Nachbarn. Oder: Die Wirtschaft solle sich nicht mehr weiterentwickeln. Aber die Fakten dahinter haben sich als falsch herausgestellt. Die Antwort ist ganz einfach: Das Wohlergehen auf der Welt steigt vor allem mit der wirtschaftlichen Entwicklung, mit größeren Chancen im Leben und einem höheren Einkommen.

Easterlin sagt: Das gilt nur kurzfristig. Langfristig ist das Einkommen unwichtig.

Es gab mehrere Antworten auf unsere ersten Ergebnisse. Eine war: „Natürlich ist Einkommen wichtig. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt, vielleicht bis 12.000 oder 15.000 Dollar.” Das ist eine Volksweisheit, die jeder im Kopf hat. Aber es hat sich herausgestellt, dass niemand das je systematisch untersucht hat. Wir haben die ganze Literatur gelesen, niemand hat eine Obergrenze nachgewiesen. Also haben wir wirklich alle verfügbaren Daten noch mal untersucht. Und es hat sich gezeigt, dass zusätzliches Einkommen zusätzliches Glück bringt. Bei jedem Einkommen. Das hört nie auf.  Wir haben festgestellt: Immer wenn das Einkommen um zehn Prozent steigt, steigt das Glück im gleichen Maß. Wenn Sie also sehr reich sind, braucht es viele zusätzliche Dollar, um Sie glücklicher zu machen.  Aber der Zusammenhang zwischen Einkommen und Glück bleibt bestehen.

Es gibt andere Kritik, der zufolge wir nur die Effekte der Konjunktur fanden: Das Glück steigt und fällt mit dem Einkommen im Boom und in der Rezession. Deshalb fänden wir nur ein kurzfristiges Phänomen und kein langfristiges. Das stimmt nicht. Ich gebe mal einen Ausblick auf unsere nächste Studie. Wir haben alle Daten angesehen, mit denen man die Staaten über die Zeit verfolgen kann. Wir schauen, wie sich Glück, Lebenszufriedenheit und Bruttoinlandsprodukt mit der Zeit verändern. Wir können auch den Konjunkturzyklus berücksichtigen – ökonometrisch gesagt, berücksichtigen wir Arbeitslosigkeit und Inflation. Wir können das auch über längere Zeiten ansehen: über fünf oder zehn Jahre. Eines der spannendsten Dinge ist, dass wir Glücks-Umfragen aus den 50ern und 60ern gefunden haben und sie mit Glücks-Umfragen aus den 2000ern verglichen haben. Wir sehen da das Wirtschaftswachstum aus 50, 60 Jahren – länger hat es noch nie jemand untersucht. Das Wachstum vergleichen wir mit der Entwicklung des Glücks in der gleichen Zeit, und wir finden sehr starke und robuste Zusammenhänge. Ich kann es kaum erwarten, diese Untersuchung in den nächsten Wochen herumzuschicken. Dann wird man sehen, dass der Zusammenhang in reichen Ländern genauso stark ist wie in armen.

Was empfehlen Sie jetzt Wirtschaftspolitikern?

Ich möchte von einem Vorschlag abraten und dafür einen anderen unterstützen.
Es gibt einige Vorschläge, die die Leute auf dem alten Wissensstand gemacht haben: Die Leute dachten, Wirtschaftswachstum sei eine schlechte Idee, weil es die Menschen nicht glücklich macht. Wir halten diesen Fakt für falsch, und das gilt auch für die Folgerungen. Es ist gefährlich und falsch, mit Glücksargumente gegen das Wirtschaftswachstum zu  kämpfen, so wie es Richard Easterlin und einige andere getan haben, vor allem in Europa.

Ich würde jetzt auch nicht sagen, dass Geld das wichtigste ist und wir uns nur darum kümmern sollen. Wir [Betsey Stevenson und ich] haben nur festgestellt, dass das Wirtschaftswachstum genau die Wirkung aufs Glück hat, die man [vor Easterlin] immer angenommen hatte. Warum das Einkommen so wichtig ist, ist viel schwieriger zu sagen.
Ich würde Ihnen jetzt auch nicht empfehlen, Ihre alte Stelle zu kündigen und Investmentbanker zu werden. Ich glaube nämlich, Reichtum macht glücklich, weil reiche Leute mehr Chancen haben. Es geht nicht nur um ein höheres Einkommen, sondern auch um Zeit, die wir mit unseren Kindern verbringen können. Oder darum, dass wir einer Arbeit nachgehen können, die uns Spaß macht. Deshalb sage ich nicht, dass wir uns nur um unser Einkommen kümmern sollten.

Aber ich denke, Wirtschaftspolitik kann viel bringen, wenn sie die Chancen für alle verbessert. Das ist vor allem für die ärmsten Länder der Welt wichtig. Dort fehlen die Chancen, die Leute sind arm dran. Denken Sie noch einmal daran, dass ich gesagt habe: Zehn Prozent Einkommenszuwachs bringen jedem das gleiche, überall auf der Welt. Deshalb braucht es nicht viel Geld, um einen Menschen in Burundi glücklicher zu machen. Es ist aber viel Geld nötig, um jemanden in den Vereinigten Staaten oder Deutschland glücklicher zu machen. Entwicklungshilfe kann das Wohlergehen auf der Welt verbessern. Bei den ärmsten können wir am meisten bewirken – in vielen unterschiedlichen Dingen, auch Glück und Zufriedenheit.

Vielen Dank.

Es war mir ein Vergnügen.

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